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Burn(ed) Out: Wie wir uns und unsere Umwelt davor bewahren

„Ping“ – und schon wieder leuchtet ein Termin in unserem komplett durchgetakteten Kalender auf. Termin an Termin – die vielen Online-Treffen und die Einsehbarkeit unserer Arbeit machen es möglich, dass jede noch so kleine Lücke effizient gefüllt werden kann. So geht es Vielen. Von überall her berichten Menschen, dass sie durch das Arbeiten im Home-Office nicht mehr, sondern weniger Zeit haben als vor der Corona-Pandemie.

Klimakrise
Unser Planet ist aus dem „Tritt“ geraten; die Menschheit treibt ihn in den Burnout. © Digitalartist / Pixabay

Wir rennen und rennen und kommen doch nicht an. Viele von uns sind am Rande ihrer Belastbarkeit – oder schon längst darüber hinaus. Ausgebrannt. Erschöpft. Burned-out. Gerade in der Pandemie ist die Zahl der psychischen Erkrankungen gestiegen. Mediziner*innen sprechen gar von einem „globalen Problem“. Entsprechend steigt allerorten die Sehnsucht danach, endlich zur Ruhe zu kommen und nicht ständig Vollgas geben zu müssen. Der Wunsch, endlich „anzukommen“ und einfach nur „sein“ zu dürfen, ist überall präsent. Ähnlich geht es auch unserem Planeten. Er ist ebenso aus dem „Tritt“ geraten, denn die Menschheit treibt ihn in den Burnout. Möglichkeiten und Zeit der Regeneration? Auch hier Fehlanzeige.

Planetarer Burnout

Der Erdüberlastungstag steht hier symbolhaft für einen kompletten Burnout des Planeten. Dies ist der Tag, an dem der Ressourcenverbrauch (für das ganze Jahr betrachtet) die Kapazität zur Reproduktion dieser Ressourcen übersteigt. Und dieser „Stichtag“ verschiebt sich Jahr für Jahr weiter nach vorne. Das heißt, wir kommen dem planetaren Burnout immer näher. Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem Burnout der Menschen, insbesondere in den Industrieländern, und dem Burnout der Erde? Gibt es Wege, diesen Burnout abzuwenden oder hinter sich zu lassen, sodass wir zur Ruhe kommen – und die Welt gleich mit?

Mit dem SUV in Dubai

Die Ideen des Hirnforschers Prof. Gerald Hüther könnten hier weiterhelfen. Er nennt zwei Grundbedürfnisse des Menschen: das gefühlte Getrenntsein zu überwinden, also „dazuzugehören“, und das eigenständige, aktive Gestalten. Wenn wir Hüthers Ideen weiterspinnen, ist aber die Erfüllung dieser beiden Bedürfnisse verknüpft mit Zwängen. Um dazuzugehören, verhalte ich mich so, dass ich den Erwartungen der In-Group entspreche, der ich mich zugehörig fühle: meinem Bekanntenkreis, meiner Nachbarschaft, meinem Kolleg*innenkreis. Häufig sorgen Vergleiche und Denken in Statuskategorien für zusätzlichen Druck: „Die fahren einen SUV – da komme ich mit meinem Micro Car schlecht weg; das muss sich ändern.“ Üblich sind auch Vergleiche der Urlaubsziele: „Der fliegt zwei Mal im Jahr nach Dubai! Das will ich auch, sonst bin ich out.“ Die stets nagenden Selbstzweifel („gehöre ich noch dazu?“) verursachen psychischen Stress und Versagensängste, die viele Menschen auf Dauer nicht aushalten. Das sprichwörtliche Hamsterrad führt sie direkt in die Burnout-Falle. Intuitiv spüren viele Betroffene: Das ist nicht meins, tut mir nicht gut – aber der Druck und die Sorge, nicht dazuzugehören, sind so groß, dass der Ausstieg aus dieser Spirale nur sehr schwer gelingt.

Wir rennen und rennen und kommen doch nicht an. Viele von uns sind am Rande ihrer Belastbarkeit. © Timon Studler / Unsplash

Ausstieg aus dem Hamsterrad – aber wie?

Gerald Hüther nennt drei Möglichkeiten, um diesen Mechanismus zu durchbrechen und Veränderung möglich zu machen:

  1. Durch eine Burnout-Erfahrung: Doch nur etwa 1 % aller Menschen, die solch ein Burnout hatten, ändern danach tatsächlich ihren Lebensstil und ihre Einstellung und „kommen zu sich“. Viele Betroffene finden sich schnell wieder „zurück auf Anfang“.
  2. Durch „Sternstunden“: ich werde berührt von einem Buch, Blog, einem Theaterstück, einem Menschen oder einem Augenblick in der Natur – und komme mit meinen wirklichen Bedürfnissen in Berührung und spüre, dass es auch anders gehen kann.
  3. Liebevoll zu sich selbst sein, das zu tun, was uns guttut; und damit zu aktiv Gestaltenden zu werden und nicht Getriebene bleiben. Das scheint der vielversprechendste dieser Ansätze von Hüther zu sein. Zu sich selbst zu kommen und sich selbst anzunehmen; den „ganzen Zirkus“ nicht mehr mitmachen, weil man sich einfach zu schade dafür ist. Stattdessen: Für sich sorgen. Und dann können wir uns mehr für andere Menschen öffnen – und die Fixierung auf (Luxus-)Konsum aufgeben.

Um das Klima und um den Planeten zu schützen, sollen wir weniger Fleisch essen, weniger fliegen, weniger konsumieren. Viele Menschen wehren sich dagegen, wenn sie gesagt bekommen, wie sie sich verhalten sollen. Sie entwickeln eine Art Abwehrhaltung, wenn ihnen von außen etwas „aufgedrückt“ wird. Obwohl die meisten wissen, dass ihr Lebensstil nicht gesund ist – weder für sich noch für den Planeten – ändern sie nichts daran. Der treibende Grund dafür ist häufig, dass sie „dazugehören“ wollen: Weil alle es tun und weil die innersten Bedürfnisse viel zu häufig verschüttet sind.

zur Ruhe kommen
Zu sich selbst zu kommen und sich selbst annehmen; den „ganzen Zirkus“ nicht mehr mitmachen, weil man sich einfach zu schade dafür ist. © Unsplash

Fürsorglich für uns und die Welt

Liebevoll zu sich und zur Mitwelt sein, das ist ein wichtiger Schritt. Denn Veränderung beginnt mit uns selbst. Mit Gandhi sollten wir selbst die „Veränderung sein, die wir uns für diese Welt wünschen.“ Nur in der Summe, millionenfach, würde dies Veränderung „im Großen“ bewirken können. Auch die Politik darf und muss sich den Schritten der Veränderung öffnen. Gemeinsam müssen wir uns und die Politik fragen: Wie könnte eine bewahrende, fürsorgliche Politik für uns und die Welt, in der wir gemeinsam leben, aussehen? Seit über dreißig Jahren wissen wir von der Klimaveränderung. Sie wurde bislang in großen Teilen tatenlos ausgesessen und damit der Burnout unseres Planeten immer weiter vorangetrieben.

Bremser, die keine Veränderung wollen

Nach wie vor gibt es „Bremser“, die kein Interesse an Veränderung haben: Jedes Jahr werden in Deutschland noch immer 60 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen ausgegeben. Das Energieunternehmen RWE verdient nach eigenen Angaben bei der Braunkohleverstromung drei Euro-Cent pro Kilowattstunde. Die Gesundheits- und Umweltschäden schätzt das Umweltbundesamt jedoch auf 19 Euro-Cent pro Kilowattstunde. Das müssen wir besser und klüger organisieren. Ähnliches gilt für die Ernährung. Etwa 100 Milliarden Euro – über 25 % eines Bundeshaushalts – müssen jedes Jahr für ernährungsbedingte Erkrankungen und ihre Folgen aufgewendet werden. Bislang gibt es keine wirksame Ernährungspolitik, die diesen Missstand auch nur in Ansätzen verbessern könnte. Die braucht es aber auf nationaler Ebene. Denn eine gesunde Ernährung für uns ist auch für den Planeten gesund, und Gesundheit bedeutet mehr Lebensqualität.

Politik der Bewahrung und Gesundung

Was sich so viele Menschen wünschen: Mehr Ruhe und Gesundheit in einer lebenswerten Umwelt. Das sollten wir von der Politik und der neuen Regierung einfordern. Fordern wir eine Politik der Bewahrung und Gesundung! Durch die Änderung des Lebensstils einzelner können wir es nicht schaffen. Dafür bedarf es neben der Veränderung auf individueller Ebene vor allem politischer Rahmenbedingungen und Maßnahmen. Damit wir und der Planet wieder zur Ruhe kommen.

Geschrieben von:

Ansprechpartner Portrait

Markus Wolter ist Experte für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor.

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Vielen Dank für die mutmachenden Impulse!

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    Danke für die Gedanken, ankommen bei sich und dem nächsten…

  3. Avatar-Foto

    Neu ausrichten, ankommen. Danke.

    Mon âme se repose en paix sur Dieu seul:
    De lui vient mon salut

    Oui, sur Dieu seul mon âme se repose

    Se repose en paix.

    Taizé

  4. Avatar-Foto

    Markus‘ Blog fordert zum Nachdenken auf, ist unbequem, ist einfühlsam, … wirft neue Fragen auf. DANKE!

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