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Vom Schlachthof zum Kulturzentrum

Was mit dem ehemaligen Schlachthof von Cochabamba passierte, ist ein Paradebeispiel in Sachen Kultur und Entwicklung: Der Ort wurde in das alternative Kulturprojekt mARTadero verwandelt und bereichert die bolivianische Stadt mit seiner kreativen und gemeinschaftlichen Arbeit. Kultur wird hier nicht als Zeitvertreib verstanden, sondern als Weg hin zu einer Zukunft, die sich die Menschen in Cochabamba wirklich wünschen.

Das Wandgemälde „Esperanza“ (zu Deutsch Hoffnung) entstand beim Festival „Cochabamba Urban Art Biennale“ (BAU) von mARTadero. Dort versuchen Künstler*innen die Stadt durch urbane Kunst aufblühen zu lassen. © Soteras | Misereor

Das Kulturzentrum mARTadero ist ein beliebter Ort für kreative Zusammenkünfte im Stadtviertel Villa Cornilla, nahe des Zentrums Cochabambas. Doch das war nicht immer so: Der ehemalige Schlachthof der Stadt, 3.000 Quadratmeter groß und mitten im Rotlichtviertel, war einst die letzte Lebensstation von schätzungsweise sieben Millionen Tieren. Als man 2004 einen geeigneten Platz für ein Kunstevent suchte, weckte das Gebäude das Interesse der Veranstalter*innen. Fernando García machte sich zusammen mit einer Gruppe von Künstler*innen, die das Kunstevent organisierten, an die Aufgabe, den Ort entsprechend herzurichten. „Von Anfang an war beabsichtigt, dass dieser Ort permanent für Kunst und Kultur zur Verfügung steht, deshalb haben wir auch den Namen mARTadero gewählt“, berichtet Fernando. Das Wortspiel mARTadero vereint die Begriffe matadero (zu Deutsch Schlachthof) und arte (zu Deutsch Kunst). Solche Wortspiele sowie kreative Provokationen sind ein Charakteristikum des mARTadero.

Bühne frei für Diversität

Fernando und sein Team konnten die Stadtverwaltung dazu bewegen, den ehemaligen Schlachthof für einen Zeitraum von 30 Jahren als Kulturzentrum nutzen zu können. „Mit fast null Ressourcen, aber euphorischer Lust“, erinnert sich Fernando an die Geburtsstunde des mARTadero. Das Kulturzentrum versteht sich als Brutkasten für eine Kultur der Zukunft, angetrieben von Leuten, die sich dazu berufen fühlen und dem mARTadero Gestalt geben. Es geht darum, kollektive lebendige Kultur zu fördern – Vielfalt statt Tabus oder Ausgrenzung. Dort ist die Bühne frei für die Gesellschaft und all ihre Facetten, von Trans und Bi über Straßenkunst und Nachbarschaft bis zur Jugend. „Alles, was lärmt, weil es am Rand der Gesellschaft steht, hat Platz im mARTadero, so auch provozierende Kunst“, sagt Fernando. „Die richtungsweisenden Botschaften geben Anstöße, um Zukunft zu denken und zu gestalten.“

Das Kulturzentrum mARTadero bietet 15 bis 30 jährigen die Möglichkeit, in Eigeninitiative ihre kreativen Kräfte zu entwickeln. © Almanaque del Futuro

Bandbreite an Kulturangeboten

Im mARTadero finden jährlich mehr als 200 Veranstaltungen statt. Das fängt bei Hip-Hop und Breakdance an, geht über Konzerte von Heavy Metal bis Klassik, schließt Kunst und Ausstellungen ein und reicht bis zu Performances von virtuellen Kollektiven. Zahlreiche Gruppen, Initiativen, Kampagnen und Kollektive aus Cochabamba, aber auch aus dem restlichen Land, kehren beim mARTadero ein und fühlen sich zu Hause. Künstler*innen auf der Durchreise schlagen hier ihre Zelte auf. Die Anziehungskraft des mARTadero geht von seiner offenen, kollaborativen Arbeit und Initiative aus. Viele fühlen sich davon angezogen, weil hier das richtige Ambiente herrscht, um die Zukunft zu transformieren.

Zukunft kreativ gestalten

So ist zum Beispiel das Hackerlab entstanden, ein Kollektiv von Jugendlichen, die als DigitalLab den Internetzugang demokratisieren und mit freier Software arbeiten. Die Nachbarschaftsorganisation hat, durch den mARTadero animiert, eine Plattform des Viertels geschaffen; statt wie vorher um die Lokalmacht zu streiten, ist man nun dabei, das Stigma des Quartiers als Rotlichtviertel zu kippen. Künstler*innen und Stadtplaner*innen entwickeln Ideen zur StadtAkupunktur, um den öffentlichen Raum wieder öffentlich zugänglich zu machen. KUSKA ist ein Kollektiv von Frauen, die Keramikmosaike herstellen und dafür ausschließlich Industrieabfälle verwenden. Damit haben sie bereits Preise gewonnen, und die Stadtverwaltung hat sie unter Vertrag genommen, um größere Wandmosaike zu realisieren. Das Café-Restaurant „Tote Mücke“ oder der Einfachhotelbetrieb „Prana“ werden vom Team des mARTadero direkt gemanagt. Die verschiedenen Programme wie auch alle Veranstaltungen verfolgen einen thematischen Leitfaden: Zukunft konzipieren und gestalten.

Ein weiteres Graffiti-Kunstwerk des BAU-Festivals von mARTadero. „Gute Arbeit als Schuhmacher“ ziert die Wand hinter dem Stand eines lokalen Schuhmachers. © Soteras | Misereor

Auf starke Gefühle setzen

Anstelle von Hierarchie spiegelt das Organigramm des mARTadero die Logik des Zentrums wider: Kollektive Intelligenz erlaubt kollaboratives Arbeiten und stellt das Gemeinwohl ins Zentrum. Fernando erklärt das so: „Der mARTadero setzt auf die Emotivität der Menschen, um Zukunft zu gestalten. Wir sind Pragmatiker*innen, Utopist*innen und Träumer*innen.“ Der Unterhalt des Zentrums ist nach einem System geordnet, das zwischen unterschiedlichen Kapitalen unterscheidet: physisches Kapital (Flächen-, Bau- und Ausrüstungssubstanz), menschliches Kapital (Dienstleistungen, Netzwerke, Beziehungen) und symbolisches Kapital (Vision, Synergie, Allianzen). Im mARTadero werden die Dinge mit einer gesunden Grundskepsis behandelt, um der Gefahr vorzubeugen, dass Erfolg und Führungsdominanz das Projekt schwächen statt zu stärken.

Projektion, Verbindung und Networking: mARTadero 3.0

In der Broschüre „Proyecto mARTadero 2.0“ wird das zugrunde liegende Konzept des Zentrums in die Zukunft katapultiert. Das so gezeichnete Szenarium wird als „mARTadero 3.0“ bezeichnet und diskutiert wichtige Themen wie die notwendige, auf Gegenseitigkeit beruhende Sozialverantwortung, Verbindungen mit dem und ins lokale Lebensumfeld, Networking etc. Fernando bringt es auf den Punkt: „Wir träumen von einer kulturbereichernden Zukunft, mit guter Gesetzgebung und Rahmenbedingungen, die es den Menschen erlauben, ihre Kreativität zu leben. Einer Zukunft, in der mARTadero nur einer von hunderten Hotspots ist, die dem Land Kunst, Kultur und soziale Transformation schenken.“

Von Jorge Krekeler und Charleen Kovac


Frei­wil­li­gen­dienst mit Misereor

Misereor bietet jungen Menschen einen zehnmonatigen Lerndienst bei erfahrenen Partnerorganisationen in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Das Kulturzentrum mARTadero in Bolivien ist eine mögliche Einsatzstelle für den Freiwilligendienst.

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Charleen Kovac ist Presse-Volontärin bei Misereor.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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