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Frauen auf der Flucht

Der Krieg in Syrien ist auch nach über zwölf Jahren nicht vorbei. Millionen geflüchtete Syrer wagen es nicht, in ihre Heimat zurückzukehren. Gerade Libanon macht Druck auf die syrischen Flüchtlinge, oftmals Frauen, in ihre Heimat zurückzukehren. Dort drohen ihnen jedoch oft Inhaftierung, Folter und Hunger. Rola Roukbi ist 2016 aus Syrien in den Libanon geflüchtet und leitet dort die Frauenrechtsorganisation „Women Now For Development Lebanon“. Sie hat mit uns über die aktuelle Situation von geflüchteten Frauen im Libanon gesprochen.

Frauen auf der Flucht brauchen besondere Hilfe. So wie diese syrische Frau die bei der Flüchtlingshilfe „Pontifical Mission Lebanon“ im Libanon Zuflucht finden konnte. © Harms | Misereor

Wie geht es den geflüchteten syrischen Frauen im Libanon?

Zehntausend geflüchtete Syrer leben seit vielen Jahren in den informellen Zeltunterkünften der Bekaa-Ebene im Libanon. Sehr viele der hier lebenden syrischen Familien kommen aus einem eng-konservativen Umfeld, das Mädchen und Frauen besonders diskriminiert. Doch Krieg, Vertreibung und die wirtschaftliche Krise im Libanon haben die Rollen verschoben – die Zahl der von Frauen geführten Haushalte syrischer, zunehmend auch libanesischer Familien unterhalb der Armutsgrenze, nimmt zu. Die Schulabbruchsquote von Mädchen ist in der Bekaa-Ebene extrem hoch. Frühehen und Zwangsheirat werden als eine Form der Entlastung des Familienhaushalts gesehen, mit weitreichenden Folgen für die jungen Frauen. Hinzu kommt, dass Frauen vielfältige Diskriminierung erfahren, als Ausländer, als wirtschaftlich und sozial schwach und ohne rechtlichen Status.

Wie können Sie mit Ihrer Organisation die Frauen unterstützen?

Unsere Organisation „Women Now for Development Lebanon” wird von geflüchteten syrischen Frauen geleitet. Sie kennen die schwierige Situation der Frauen und Mädchen aus eigener Erfahrung. Das Team ist entsprechend sensibel und in der Lage, auch mit schwierigen Situationen gut umzugehen. Wir haben ein Schutzprogramm für Frauen, die Probleme und Gewalt innerhalb der Familie erleben und auch eine Kampagne gegen Frühverheiratungen ins Leben gerufen. Hier sprechen wir z.B. mit Imamen, Notaren, aber vor allem mit Familienangehörigen, um sie für die Konsequenzen dieser Frühehen für die jungen Frauen, aber auch für die Gesellschaft zu sensibilisieren.

Darüber hinaus bieten wir Sprachunterricht in Englisch und Arabisch, IT-Kurse und berufliche Qualifizierungskurse in Stricken, Nähen, Handarbeiten und Kosmetik an. Arabisch lesen und schreiben zu können, ist eine wesentliche Fähigkeit, den Zugang zu grundlegenden Rechten zu bekommen, sei es, um ein Einkommen zu erzielen, mit den Behörden zu verhandeln oder am öffentlichen Leben teilzunehmen. Die angebotenen beruflichen Qualifizierungen bieten Möglichkeiten, im heimischen Umfeld Geld verdienen zu können.

Im Libanon koordiniert die Misereor-Partnerorganisation „Pontifical Mission Lebanon“ Hilfe für syrische Flüchtlingsfamilien. © Harms | Misereor

Wie verändert der Krieg in Syrien die Situation der Frauen?

70 Prozent der syrischen Geflüchteten sind Frauen. Ihre Männer wurden im Krieg getötet oder verletzt, sind verschwunden oder haben ihre Familien auf der Suche nach Arbeit zurückgelassen. In vielen Fällen bedeutet dies, dass Frauen nun allein ihren Familien vorstehen und für die Ernährung der Kinder verantwortlich sind. Und hier liegt das größte Problem, denn der Zugang der syrischen Familien zu Lebensmitteln wird durch die Wirtschaftskrise im Libanon immer schwieriger. Viele Frauen können ihre Kinder nicht mehr ernähren, verzichten selbst auf Mahlzeiten. Die internationalen Mittel zur Versorgung der Flüchtlinge müssten daher dringend erhöht und nicht gekürzt werden, wie es gerade weltweit der Fall ist.

Neben allen Schwierigkeiten, psychischen Stress und Problemen, hat die Verschiebung der traditionellen Rollenmuster und Berufstätigkeit der Frauen auch positive Auswirkungen – und zwar nicht nur auf die finanzielle Lage. Frauen, die wirtschaftlich gestärkt sind, sind auch eher in ihren Haushalten und Gemeinden befähigt, sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Dies kann zu langfristigen Änderungen der sozialen Normen führen, von denen die gesamte Gemeinschaft profitieren kann.

Macht es einen Unterschied in der Realität der geflüchteten Frauen, ob sich die Entwicklungs- und Außenpolitik eines Landes wie Deutschland oder Schweden als feministische definiert?

Ja, eine feministisch definierte Politik hilft Frauen weltweit, die durch Krieg, Flucht oder Armut benachteiligt sind. Denn es bedeutet, dass Frauen mehr bei Entscheidungen zu Humanitärer Hilfe, Entwicklung und Friedensförderung mit einbezogen werden. Ihre Bedürfnisse, ihre Perspektiven und Schwerpunktsetzung müssen in alle Entscheidungsprozesse integriert werden. Ein Land kann nur eine positive Entwicklung nehmen, wenn Frauen sich entwickeln können und Zugang zu Arbeit, Lohn, Nahrung und zum Gesundheitssystem haben.

Zu Rola Roukbi

Rola Roukbi stammt aus Syrien, musste das Land 2016 aber aus politischen Gründen verlassen. Sie lebt derzeit im Libanon. Schon lange vor dem Bürgerkrieg engagierte sie sich in Syrien in der Politik für die Rechte von Frauen. Im Libanon leitet sie die Organisation „Women Now for Development Lebanon“, die sich für die Rechte geflüchteter Syrischer Frauen einsetzt und sie psychosozial unterstützt. Vor dem Hintergrund täglicher Überlebensfragen, sozialem Druck und Perspektivlosigkeit nimmt die Diskriminierung von geflüchteten Frauen und Mädchen im Libanon zu. Mit der Hilfe von „Women Now for Development“ werden sie geschult und psychologisch betreut. Sie können sich vernetzen, gegenseitig helfen und so ein selbstbestimmteres Leben führen. Diese Arbeit wird von Misereor finanziell unterstützt.


Hintergrund

Frauen wirken weltweit am gesellschaftlichen Wandel mit, dennoch kämpfen sie in vielen Regionen mit unterschiedlichen Formen von Diskriminierung und Benachteiligung. Besonders in Krisenzeiten und kriegerischen Konflikten wird das Ausmaß der Benachteiligung spürbar: Es sind vor allem Frauen, die sich um die Kinder kümmern, mit ihnen auf der Flucht sind, unter prekären Verhältnissen leben und dadurch häufiger Gewalttaten ausgesetzt sind. Auch wird sexualisierte Gewalt gegen Frauen als gezieltes Kriegsmittel eingesetzt.

Frauen sind selten an Friedensverhandlungen beteiligt, dabei leisten sie einen erheblichen Beitrag an informellen Friedensprozessen: Sie wirken mit bei humanitären Korridoren und kümmern sich um die Ernährungssicherung ihrer Kinder und Familien. So profitieren von dem Schutz von Frauen auch Kinder und Männer.

Um Frauen und anderen marginalisierten Gruppen einen Weg aus der Gewalt und Ungleichheit zu ermöglichen und ihnen besonderen Schutz und Hilfe in Konfliktsituationen zukommen zu lassen, setzt die Bundesregierung seit nun mehr einem Jahr auf eine feministische Entwicklungs- und Außenpolitik. Sie widmet sich vor allem auch dem Aufbrechen von gesellschaftlichen Machtstrukturen, um Frauenrechte zu stärken und Abhängigkeiten zu verringern. Misereor-Partnerorganisationen, wie die libanesische Organisation “Women Now For Development Lebanon” machen sich weltweit für die Stärkung von Frauen, ihrer Rechte und ihrer Rolle in der Gesellschaft stark.


Starke Frauen

Sie sind Visionärinnen. Kämpferinnen. Trägerinnen von Entwicklung. Sie sind „Starke Frauen“. In unserer Reihe stellen wir sie und ihre Geschichten vor. Alle Interviews im Überblick

Benvinda da Costa aus Timor-Leste © Kathrin Harms | Misereor

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Barbara Wiegard arbeitet als Pressesprecherin bei Misereor. Alle Neuigkeiten von ihr gibt es auch bei www.twitter.com/barbarawiegard

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