Bioenergie war im letzten Jahr in aller Munde. E10, ein Kraftstoff mit einem gewissen Anteil an Ethanol aus Biomasse (v.a. Zuckerrohr) kam an die Tankstelle. Der Verbraucher nahm ihn nicht an und Bundesregierung und Tankstellen schoben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu.
Heute und morgen richten der Bundesverband Bioenergie (BBE) mit der Union zur Förderung von Öl und Proteinpflanzen (UFOP) den neunten „Internationalen Fachkongress für Biokraftstoffe“ aus. Eines wird deutlich:
Die Branche steht unter Druck… Gut so, denn der rasante Boom, Äcker und Wald in Treibstofffelder umzuwandeln, führt zu Vertreibung von Kleinbauern, Verarmung und Hunger in Entwicklungsländern.
Wenn Energie Hunger macht
Rückblick auf meine Indonesienreisen im September: Dort sah ich den Wald vor lauter Palmen nicht. Stunde um Stunde, Tag um Tag sahen wir Ölpalmplantagen. Grausig, vor allem weil ich nicht die Augen davor verschließen konnte, dass hier einst Menschen vom Wald oder von ihren Feldern lebten. Am meisten berühren mich nach wie vor die Zelte auf einer Plantage – was sag ich – winzige Planen gaben dort einigen Indigenen Schutz. Sie besetzen seit bald zwei Jahrzehnten ihr Land, das ein Palmölkonzern ihnen genommen hat – bisher ergebnislos.
Die Menschen wurden Opfer von Landraub – unter dem englischen Wort „Landgrabbing“ derzeit Thema auf allen großen Konferenzen. Landraub für Agrosprit (aber auch für Futtermittelanbau sowie Nahrungsmittelanbau) nimmt weltweit zu. Grund sind ungeklärte und nicht verbriefte Landnutzungsrechte oder gar Landrechtstitel der Landbevölkerung in fast allen tropischen Entwicklungsländern. Regierungen verschleudern bewohntes Land an Investoren, die einfach alles platt machen, was sich ihrer Plantage in den Weg stellt – auch wenn sie – wie die Zeltbewohner, seit Jahrtausenden das Land bewohnen.
Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen
Zwar geschieht das Ganze unter dem Mäntelchen des Klimaschutzes. Aber: Der Klimanutzen von Diesel aus Palmöl ist nicht nachgewiesen. Ganz im Gegenteil: Häufig ist die Bilanz extrem negativ, da Wälder gerodet oder gar Moore trocken gelegt werden, deren Böden besonders viele Treibhausgase einlagern. In der EU muss Sprit und Diesel nach einer Beimischungsquote mit Ethanol oder Biodiesel vermischt werden. Es werden nur Biokraftstoffe auf die Quote angerechnet, die „nachhaltig“ erzeugt worden sind. Soziale Kriterien spielen dabei aber erschreckenderweise keine Rolle!
Immerhin: Die schlechte Klimabilanz könnte nun den Import von Biodiesel aus Indonesien und anderen Ländern uninteressant machen. Bisher darf nichts auf die Quote angerechnet werden, wenn dafür Wald gerodet wurde oder die Klimabilanz zu schlecht ist (ich glaub noch nicht, dass dies wirklich auszuschließen ist…). Was bisher nicht erfasst wird ist das, was wir in Brasilien beobachten: Zuckerrohr verdrängt Nahrungs- und Futtermittelanbau sowie die Viehzucht in andere Regionen, wo diese dann Wald zerstört und Menschen vertreibt.
Das soll sich ändern – unter dem Stichwort „indirekte Landnutzungsänderungen“ oder ILUC (für Indirect Land Use Change). Bei zu schlechter Klimabilanz würde der Verkauf von Ethanol und Biodiesel in die EU uninteressant. Das hat auch Herr Kliem von der Union zur Förderung von Öl und Proteinpflanzen UFOP bemerkt. Laut klimaretter.info sagte er: „Dies wäre das Ende von Biodiesel in der EU.“ Das Erneuerbare Energien-Ziel für den Verkehrssektor sei dann nicht mehr zu halten.
Das mag stimmen. Aber ein Gesetz lässt sich ändern und durch sinnvollere Klimaschutzmaßnahmen ersetzen – oder etwa nicht?!
BBE in der Defensive: Wo bleibt Unterstützung aus der Politik?
Herr Kliem spricht vor mehr als 500 Teilnehmern aus 26 Ländern. 400 bis 650 Euro zahlen die Teilnehmer. Zudem wurden „Gold- und Silberpartner“ (Evonik und BP), „Mitveranstalter und Förderer“ gefunden, welche das Event finanziell und ideell unterstützen. Medienpartner vervollständigen das Bild – Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit wie es im Lehrbuch steht. Unter den Förderern ist auch das Bundeministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – ob ideell oder finanziell kann ich leider nicht erkennen..
Auf deren Webseite finde ich den Hinweis auf den Internationalen Agrarministergipfel in Berlin, auf dem sich grad erst über 60 Staaten zum entschlossenen Kampf gegen den Hunger bekannt haben. Neben sehr guten Passagen zur Stärkung der Bauern und ihrer Rechte und mit Verweis auf die Gefahren von Agrartreibstoffproduktion kommt leider auch dieses: Landraub soll allein durch freiwillige Maßnahmen der Investoren und Regierungen begrenzt werden. Zumindest werden keine anderen Maßnahmen benannt.
Dieses reine Fordern der Freiwilligkeit macht deutlich, dass der Import von Biodiesel aus Ländern wie Indonesien im Namen des Klimaschutzes einfach ausgeschlossen gehört.
„Helmut Lamp“ vom Bundesverband Bioenergie BBE kritisiert laut klimaretter.info die Bundesregierung für ihr Stillhalten nach den E10-Protesten. Er fordert mehr Unterstützung für die Branche ein. Er adressiert die Kanzlerin direkt: Die Kanzlerin solle pfeifen, nicht nur die Lippen spitzen.
Fast Ihrer Meinung Herr Lamp. Allerdings sollte die Bundeskanzlerin die Lobbyverbände „zurück– pfeiffen“ und eine sinnvolle Klimaschutzpolitik stärken, die ein würdevolles Leben für alle auf diesem Planeten ermöglicht.
Nach jetzigen Erkenntnissen wird Bioenergie dabei eine wichtige Rolle zu spielen haben, nicht aber im Verkehrsbereich!
Tank oder Teller bewegt die Gemüter in Deutschland. Auch Ihres?
ILUC: Wenn die Guillotine fällt
Das neue Jahr beginnt für die Biokraftstoffhersteller wenig erfreulich: Super E10 bleibt weiterhin ein Ladenhüter und zum Jahresende fällt die Steuerfreiheit für reinen Biodiesel. Zudem fürchten die Unternehmen, dass sie für Emissionen aus Landnutzungswechseln gerade stehen müssen. Die Branche steht an einem Scheideweg.
Lieber Herr Weise,
vielen Dank für diese Ergänzung – es ist wirklich erschreckend, wie weitreichend die Folgen sind!
Wer Wasser woanders hinleitet, nimmt es woanders weg – und zwar Kleinbauern und Fischer, deren Lebensweise direkt am Tropf des Flusses hängt. MISEREOR unterstützt die Landlosenbewegung sowie die katholische Landpastorale im Kampf gegen diese Umleitung. Außerdem machen wir zu dem Projekt Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, z.B. 2008 im Rahmen der Kinderfastenaktion.
Viele Grüße,
Anika
Im Nordosten Brasiliens verbindet sich die Vertreibung von Kleinbauern durch Großgrundbesitzer mit der fatalen Umleitung des Flusses Sao Francisco, der ohnehin notleidend ist. Die Gewinnerwartungen aus Ethanol lassen die Großgrundbesitzer sogar nicht vor Morden zurückschrecken.