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„I know, I’m going to hell. I know it.“

Die geplante Razzia in der „Crow Bar“ und in der „Miami Bar“ rückt immer näher. Um 15.00 Uhr treffen Tobias und ich uns mit den anderen Mitgliedern des Teams, mit dem wir in die „Crow Bar“ gehen werden. Der Plan ist, dass wir für etwa eine halbe Stunde die Junggesellenabschiedsparty vorspielen werden, bevor die Razzia stattfinden soll.

Die Crow Bar

Wir unterzeichnen Verzichtserklärungen und studieren ein letztes Mal die Fotos von den als minderjährig identifizierten Mädchen, die in der Bar arbeiten. Dann sind wir eigentlich bereit wie geplant um fünf Uhr aufzubrechen. Doch der Plan wird geändert und wir machen unsere ganz persönliche Erfahrung mit der Organisationsstruktur der philippinischen Nationalpolizei (NBI), deren Team von 20 Beamten von Manila aus anreisen soll. Wir erhalten die Nachricht, dass das NBI nicht genügend Fahrzeuge zur Verfügung hat, um die Beamten nach Olongapo zu bringen. Deshalb ist PREDA gezwungen, seine eigenen Privatfahrzeuge zu schicken, um das NBI-Team abzuholen. Der chaotische Ablauf der ganzen Operation erscheint repräsentativ für das Versagen der Behörden im Kampf gegen die Prostitution von Minderjährigen: Die gesamten Ermittlungen, die schließlich zu der heutigen Razzia führten, wurden von PREDA und dem australischen TV-Team geleistet und jetzt, nachdem dem NBI die Ermittlungsergebnisse vorgestellt wurden, ist die Behörde offensichtlich nicht einmal fähig, die Razzia professionell und erfolgreich durchzuführen oder auch nur an den Ort der Razzia aus eigener Kraft zu gelangen. Um halb sieben ist das NBI noch immer nicht eingetroffen und die ganze Operation steht kurz davor abgebrochen zu werden, denn die „Crow Bar“ schließt bereits um 22 Uhr. Schließlich entscheidet PREDA-Gründer Father Shay Cullen ohne die Anwesenheit des NBI zur Bar aufzubrechen, in der Hoffnung, dass die Beamten noch nachkommen werden.

Arthur Benjamin

Die „Crow-Bar“ und Arthur Benjamin

In Calapandayan und Umgebung ist es allgemein bekannt gewesen, dass die Crow Bar eine der „schmutzigeren“ Bars mit besonders abstoßenden Shows ist. Der Mann, der beschuldigt wird, diese Bar zu besitzen und geführt zu haben, heißt Arthur Benjamin und ist US-Staatsbürger.
Arthur Benjamin schätze ich auf ungefähr Ende 40, er trägt eine Brille und ein Hawaii-Hemd. Vor versteckten Kameras der ABC-News-Reporter hat er einige Tage vor der Razzia erklärt, wie sie die Geburtsurkunden von älteren Schwestern der Mädchen benutzen, um diese als Minderjährige in der Bar beschäftigen zu können. Gerne spricht er auch über seine 16-jährige Geliebte, die er seine „Chocolatte“ nennt, weil sie eine sehr dunkle Haut hat. Vor den versteckten Kameras gibt er zu diesem Thema Sätze von sich wie:
„She was hungry. She needed somebody to take care of her. Come here. You know what I want. But if she fucks up, does something I don’t like, I kick her out in a heartbeat, doesn’t bother me.“ And: „She needed a place to stay. I needed a place to do her.”
„Sie war hungrig. Sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmert. Komm her. Du weißt, was ich will. Aber wenn sie Scheiße baut, etwas macht, das mir nicht gefällt, schmeiße ich sie einen Herzschlag später raus. Das kümmert mich nicht.“ Und: “Sie brauchte einen Platz zum Schlafen. Ich brauchte einen Platz, um mit ihr zu schlafen.”¹
Das Mädchen, welches er so abwertend „seine Chocolatte“ nennt, wirkt so dünn und zerbrechlich, reicht mir bis knapp über den Bauchnabel und sieht unglaublich jung aus. Als Arthur Benjamin später dann sagt: „I know, I’m going to hell. I know it“ und laut lacht, wünsche ich mir von ganzen Herzen, dass er damit Recht behält.

Laut Aussage der Mädchen hat Benjamin bereits mit jedem seiner Angestellten geschlafen.

Als wir in der Bar eintreffen, werden wir laut und freudig von ungefähr 15 Mädchen auf der Tanzfläche, sowie der Barmanagerin hinter dem Tresen begrüßt. Alle haben schon auf uns gewartet und auf den Tischen steht Essen bereit. Schnell, offensiv und direkt sprechen uns die Mädchen an, verteilen Getränke und verwickeln uns in Gespräche. Im Verlauf der nächsten 20 Minuten treffen noch mehr Mädchen ein und weitere Gäste betreten die Bar. Diese anderen Gäste entsprechen wiederholt dem Klischee eines Sextouristen und sind abgesehen davon auch sonst recht unangenehme Zeitgenossen. Offen sprechen sie mich an, kommentieren die körperlichen Vorzüge der einzelnen Mädchen und erzählen mir von anderen noch jüngeren Mädchen in anderen Bars. Neben mir sitzt das Mädchen Princess² und unterhält sich mit mir. Ich erkenne ihr Gesicht wieder, als eines der Mädchen, die vor der Operation als Minderjährige identifiziert wurden. Wir unterhalten uns lange, zunächst nur über Belanglosigkeiten und ich erzähle von meinen Urlaubsreisen hier auf den Philippinen. Irgendwann streue ich, wie zufällig die Frage ein: „Wie alt bist du?“ Sie antwortet „16“ und korrigiert sich dann mit einem Augenzwinkern „19…19!“ Die Botschaft ist nur allzu deutlich. Selbstverständlich weiß sie, dass ihre Beschäftigung als Minderjährige illegal ist, doch genauso sind ihr die Vorlieben vieler Kunden bekannt, die besonders junge Mädchen bevorzugen. Danach lenkt sie meine Aufmerksamkeit auf die Bühnenshow, die jetzt beginnt. Was ich dort in den folgenden 20 Minuten sehe ist so unmenschlich grausam, schockiert mich zutiefst und erinnert mich unmittelbar an die Worte des Beschuldigten Arthur Benjamin…das hier ist die Hölle!

Princess

Tatsächlich werden hier die Mädchen zu Dingen gedrängt/gezwungen, die die abstoßensten Fantasien der Kunden eines solchen Etablissements befriedigen und die ich hier auf meinem Blog auch nicht detailliert nacherzählen möchte. Es sind Darbietungen, bei denen sich mir teilweise der Magen umdreht. Princess hingegen bemerkt nichts von meinem Unwohlsein, lacht mich an und zeigt auf die Bühne und sagt: „Ich, später“. Ich lächele gequält zurück und hoffe, dass es zu dieser Präsentation nicht mehr kommen wird. Es sind diese Momente, bei denen ich mir im Nachhinein sicher bin, dass meine gespielte Fröhlichkeit als glücklich feiernder Gast und mein unechtes Lachen aus meinem Gesicht verschwanden. Kurz nach dem Ende der Show spricht mich die Barmanagerin an, die Mamasan, wie sie hier auf den Philippinen genannt wird. Sie fragt mich, ob ich Princess nicht für eine Nacht in mein Hotel mitnehmen möchte, für den Preis von 1.500 Pesos. 1500 Pesos, das sind 30€, schießt es mir durch den Kopf. Weniger, als der Preis einer Tankfüllung in Deutschland. Und weniger, als der Preis meiner Jeans, die ich trage. Das also ist der Preis, den Mann hier für eine Nacht mit einem minderjährigen Mädchen zahlt. Für diese 30€ verkaufen die Mädchen hier ihren Körper… werden verkauft von ihren Zuhältern und Familien, von ihrer Armut, von dem, wer sie sind und von dem Lebe, in das sie hinein geboren wurden.

 

Werbespruch einer Bar in Baretto

Eine von 800.000

Das Schicksal von Princess, ihr Leben und ihre Arbeit als minderjährige Prostituierte ist auf den Philippinen kein Einzelfall. Die Philippinen belegen einen traurigen vierten Platz auf der Liste der Länder mit den meisten prostituierten Kindern weltweit. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 100.000 der 800.000 Prostituierten auf den Philippinen Minderjährige sind. Zudem löste der US – Botschafter auf den Philippinen, Harry Thomas mit seiner Aussage, dass 40% der 1.2 Millionen männlichen Touristen jährlich für Sex auf die Philippinen kommen, eine kontroverse Diskussion in den Philippinen und in den USA aus. Diese Zahl kann nicht belegt werden, entspricht aber den Schätzungen verschiedener NGO’s.
Das große Geschäft mit der sexuellen Ausbeutung in den Philippinen und insbesondere im Raum Olongapo City begann mit der Eröffnung der US-Stützpunkte. Während des Vietnam-Krieges war die 7. US Flotte in Olongapo stationiert und zwischenzeitlich hielten sich bis zu 50.000 kriegsmüde US-Soldaten hier auf, die sich in den örtlichen Sexbars rumtrieben. Somit war der Großraum Olongapo zu diesem Zeitpunkt weltweit der größte US-Stützpunkt außerhalb der USA.
Als 1992 die letzten US-Soldaten abzogen, wurden sie nahezu nahtlos vom aufkommenden Sextourismus abgelöst. Australische, amerikanische und europäische Männer, die auf die Philippinen fliegen um günstigen Sex zu haben mit jungen Frauen…und Kindern.³

Währenddessen geht die Party weiter und immer wieder gehen mir die gleichen Gedanken durch den Kopf. Wie ist es möglich, dass in unserem doch angeblich so zivilisierten 21. Jahrhundert, Mädchen solchen Verbrechen zum Opfer fallen und das mehr oder weniger öffentlich? Was muss mit einem Menschen passieren, dass er zu solchen Taten fähig wird? Und wie kann ein Versagen des öffentlichen Bewusstseins, sowohl in den Herkunftsländern der Täter, als auch auf den Philippinen toleriert werden? Es ist wie eine persönliche Blockade in meinem Kopf, die mich zur Verzweiflung bringt, die mich nicht verstehen lässt, wie diese Zustände real sein können. Das persönliche Unverständnis, wie in dem Land, das ich in den letzten sieben Monaten so lieben gelernt habe; dem Land, in dem ich mich so wohlfühle und dem Land, das so einen immensen Reichtum an wunderschöner Natur und insbesondere an freundlichen und offenen Menschen besitzt, Orte existieren können wie Baretto und Calapandayan und Bars wie die „Crow-Bar“. Ich kenne natürlich die Gründe, wie z.B. die Geschichte des Landes und insbesondere diese allgegenwärtige Krankheit „Armut“. Ich bin selber oft genug in den Slums von Manila gewesen, wenn ich die Jungen aus unserem Heim bei ihren Hausbesuchen in ihren Heimen aus Blech und Pappe begleitet habe und habe gesehen, wie schwerkranke Kinder ohne medizinische Versorgung unter den schlimmsten hygienischen Lebensbedingungen auf der Straße schliefen. Aber auch wenn ich die Gründe für die Existenz des Sextourismus kenne und mich in den letzten Monaten viel mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, versagen für mich all diese rationalen Erklärungen in diesem Moment, in dem ich in der „Crow-Bar“ sitze und auf das Ende dieser Nacht warte. Ich beobachte wie unser Team-Leiter auf die Uhr blickt, wechsle einen kurzen Blick mit ihm und er schüttelt unmerklich den Kopf. Die Party ist jetzt schon zweieinhalb Stunden alt und noch immer gibt es keine Nachrichten von dem Eintreffen der Nationalen Ermittlungsbehörde. Ein Scheitern der Operation ist absehbar.

Sex Tourism is more fun in the Philippines (?)

“There are no happy endings to these trafficking stories.”

¹ Quelle:
² Princess hat ihre Zustimmung zu der Veröffentlichung ihres Namen und ihres Bildes gegeben.

Arthur Benjamin ist in diesem Verfahren angeklagt. Bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung gilt für ihn die Unschuldsvermutung.

[1]


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Geschrieben von:

Luca

Ich bin Luca, 19 Jahre alt und komme aus Kohlscheid bei Aachen. Nachdem ich diesen Sommer mein Abitur bestanden habe freue ich mich jetzt auf meinen 10-monatigen Freiwilligendienst bei der philippinischen Organisation PREDA (Peoples Recovery Empowerment Development Assistance). Für PREDA arbeite ich 4 Autostunden westlich von der Hauptstadt Manila in einem Rehabilitierungsprojekt für jugendliche Kriminelle und Straßenkinder.

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