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10 Jahre Tschad-Kamerun-Pipeline: Blick zurück nach vorn auf die Konsequenzen eines gescheiterten Weltbankprojekts

In diesen Tagen schaut Tschad zurück auf zehn Jahre Erdölexport durch den Konzern Exxon Mobil, zu dem in Deutschland die Esso-Tankstellen gehören. Im Oktober 2003 floss das erste Erdöl durch die tschadisch-kamerunische Pipeline zum Hochseehafen von Kribi. Von dort aus wird das schwarze Gold seitdem in die USA verschifft.

Das Öl verseucht Boden und Grundwasser.

Zehn Jahre Tschad-Kamerun-Pipeline – für den Staat Anlass, seinen glorreichen Erfolg zu feiern. Zwar sind Tschads Vorkommen mit 1,5 Milliarden Barrel nur die zehntgrößten Afrikas. Aber für das ansonsten sehr arme Land bedeuten sie einen gewaltigen Reichtum.  Ohne die Öldollars hätte sich das zentralafrikanische Sahelland den prestigeträchtigen Militäreinsatz in Mali im Frühjahr dieses Jahres niemals leisten können. Und schon länger wünscht sich die Regionalmacht einen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Zehn Jahre Tschad-Kamerun-Pipeline haben ihre Spuren hinterlassen. Zum Beispiel in der Hauptstadt N‘Djamena: Abends ist der große Platz der Nation vom Licht der tausend Straßenlampen und übergroßen Fernsehbildschirme beleuchtet, auf denen viele Tschader auch im Freien das Programm des Staatsfernsehens verfolgen. Der Tschad will „Schaufenster Afrikas“ (Präsident Idriss Déby) werden – und die funkelnden Vorzeigebauten  machen dem Vorhaben alle Ehre.

Zehn Jahre Tschad-Kamerun-Pipeline haben ihre Spuren hinterlassen. Zum Beispiel abseits der glänzenden Hauptstraßen. Trotz Ölbooms und Milliarden Petrodollars stagniert das Land an drittletzter Stelle des UN-Index für menschliche Entwicklung. Fast nirgendwo gibt es Strom. Zugang zu Elektrizität haben gerade einmal 3,5 Prozent der Tschader. Und in den Förderregionen kommt es Tag für Tag zu Menschenrechtsverletzungen. Kleinbauern verlieren ihr Ackerland, Dorfbewohner werden willkürlich festgenommen, Geschädigte nur unzureichend entschädigt.

Blick zurück.

Angestoßen hatte die Ölförderung im Tschad vor zehn Jahren die Weltbank. Sie gab Kredite und Bürgschaften, um das tschadisch-kamerunische Pipeline-Projekt zum Laufen zu bringen. Besondere Regelungen sollten dafür sorgen, dass der Reichtum des Landes seiner Bevölkerung zugute kommt, indem die Politikerinnen und Politiker die Einnahmen in Entwicklung investieren: So wurde beispielsweise ein „Fonds für künftige Generationen“ eingerichtet, in den zehn Prozent der Gewinne fließen sollten, und eine lokale Abgabe zugunsten der Region Doba vereinbart, dem Zentrum der Ölindustrie.

Denn Rohstoffreichtum garantiert keinen Sprung nach vorn. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass der Profit meist bei internationalen Unternehmen landet, während in den Entwicklungsländern Korruption, Geldanhäufung in den Händen Weniger, Umweltzerstörung und Gewalt gedeihen. Den Tschad wollte die Weltbank vor diesem „Fluch des Reichtums“ bewahren. Doch die Experten aus Washington scheiterten dramatisch: Ölindustrie und tschadischer Staat arbeiteten bald lieber ohne sie. Vorrang vor Entwicklung bekamen Ausgaben für Prestigeprojekte und Militär. Der Reichtum wurde zum Fluch.

2008 trat die Weltbank aus der Kooperation mit Tschad und Exxon Mobil aus. In einem Gutachten untersuchten ihre Experten den Fehlschlag: „Die Erfahrung mit dem Tschad-Kamerun-Programm sollte die Weltbank nicht von angemessenen Beteiligungen in Rohstoffindustrien abhalten […]. Aber sie sollte bei der Konzeption solcher Beteiligungen die wichtigen Lektionen aus dieser komplexen, umstrittenen Erfahrung beherzigen.“ Gefehlt habe insbesondere ein ausreichendes Engagement seitens der tschadischen Regierung, vor allem im Hinblick auf die gerechte Nutzung der durch die Ölförderung erzielten Gewinne.

Heutiger Richtungsstreit.

Zehn Jahre nach dem Bau der Tschad-Kamerun-Pipeline besteht wenig Konsens, welche Lektionen aus dem Scheitern des „Modellvorhaben zur Armutsbekämpfung“ zu ziehen sind. Zivilgesellschaftliche Gruppen sind gespalten, wenn es um die Rolle der Weltbank geht.

Noch hegen einige starke Erwartungen an den laufenden, von der Weltbank moderierten Beschwerdemechanismus (CAO). Durch ihn soll Exxon Mobil nicht nur zu  gerechteren Entschädigungszahlungen an die Opfer der Ölproduktion gebracht werden, sondern auch zur Wiederherstellung zerstörter landwirtschaftlicher Nutzflächen in der Doba-Region. Vor allem der katholische Bischof Joachim Kouraleyo, Oberhaupt der Diözese Moundou im Süden des Tschad, engagiert sich dafür, dass die Menschen ihr Land wieder nutzen können – und damit ihre Lebensgrundlage zurückerhalten.
Mittlerweile sind die Förderstätten der Rohstoffindustrie längst über die Grenzen Dobas hinausgewachsen. Sie sind in Moundou angekommen, in den Diözesen Lai, Pala und Goré. Die Dörfer der Doba-Region, die der Erdölboom kaputt gemacht hat, geben einen Vorgeschmack davon, was einer Vielzahl von Pipelines und Ölbohrungen folgt: unkultivierbares Ackerland, unwirtliches Lebensumfeld.

Lokale Basisbündnisse versuchen, die betroffene Bevölkerung über ihre Rechte sowie die Risiken der Öl- und Gasförderung aufzuklären. Lobbyarbeit soll helfen, diese Rechte zu verteidigen. Auch mehrere Gruppen der katholischen Kommission Justitia et Pax sind dabei aktiv. Nichtregierungsorganisationen sorgten kürzlich etwa dafür, dass ein Umweltskandal des chinesischen Konsortiums CNPC publik wurde.

Raffinerien

Rohstoffreichtum garantiert keinen Sprung nach vorn.

 

Doch auch nach zehn Jahren Ölförderung und ihrer menschenrechtsverletzenden Folgen sind direkte Auseinandersetzungen mit dem tschadischen Staat selten. Der Grund liegt auf der Hand: Wer in diese Richtung eine kritische Wortmeldung wagt, wie vor einem Jahr der Bischof von Doba, geht ein Risiko ein. Michael Russo hatte angesichts gleichbleibender Armut in seiner Diözese die staatliche Verwendung der Erdöleinnahmen hinterfragt. Daraufhin wurde er des Landes verwiesen und durfte erst Monate später zurückkehren – nach internationalen diplomatischen Bemühungen.

Anfang des Jahres nahm die Tschadische Bischofskonferenz dennoch erneut Stellung zum Missverhältnis zwischen natürlichem Ressourcenreichtum und der fortbestehenden Armut. In ihrer politischen Denkschrift fordern die Bischöfe vom Staat mehr Investitionen in die Landwirtschaft, um die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen.

Blick nach vorne.

Über die Konsequenzen von zehn Jahren Ölförderung berieten vergangene Woche Aktivistinnen und Strategen aus Tschad, Kamerun und Nigeria. Die To-do-Liste ist noch in Arbeit: Antoine Bérilengar vom CEFOD (Centre d’Etude et de Formation pour le Développement) pochte auf eine Debatte über „Afrikas Rohstoffstrategie“. Celestine Akpobari, Sprecher der Ogonis, einer seit langem durch die Ölindustrie betroffenen Volksgruppe aus Nigeria, forderte den gemeinsamen Widerstand gegen die rücksichtslosen Praktiken der extraktiven Industrien. Menschenrechtsanwältin Delphine Djiraibé wies auf die Schutzbedürftigkeit der Opfer der Ölproduktion hin.

Einig waren sich die Aktivistinnen und Aktivisten, dass ihr Einsatz für mehr Transparenz im Rohstoffsektor unbedingt weitergehen müsse. Heutige Mechanismen (etwa die Extractives Industries Transparency Initiative, EITI) seien in dieser  Hinsicht jedoch viel zu begrenzt. Sie seien nicht ausreichend, damit die Bürger ihre Interessen wirksam gegenüber Staat und Industrie vertreten können.

Die Aktivistinnen und Aktivisten haben vor, künftig einen  jährlichen Bericht zu den Auswirkungen der Rohstoffindustrie auf die Lebensgrundlagen der Bevölkerung in der Region zu erstellen. Er würde Missstände systematisch erfassen, aber auch mögliche Fortschritte aufzeigen. Wenn das gelingt, würde das neue Chancen für die Verteidigung der Menschenrechte und Armutsbekämpfung eröffnen.

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Andreas Kahler leitete die Misereor-Verbindungsstelle im Tschad.

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