Vor 65 Jahren verkündeten die Vereinten Nationen die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Doch noch immer kommt es Tag für Tag zu Menschenrechtsverletzungen. Yolanda Herrera ist langjährige Beraterin für MISEREOR in Bolivien und Präsidentin der Menschenrechtsorganisation APDHB. Mit weiteren Menschenrechtsverteidigern aus Lateinamerika ist sie derzeit auf Einladung des Auswärtigen Amts zum Thema „Menschenrechtsschutz in politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Strukturen in Deutschland“ in Berlin.
Wie steht es um die Menschenrechte in Bolivien?
Yolanda Herrera: Es ist ein wichtiger Fortschritt, dass alle Artikel der Menschenrechtserklärung in unserer Verfassung verankert sind. Das müssen wir anerkennen. Doch zwischen Theorie und Praxis besteht eine riesige Kluft! Die Rechte der indigenen Völker werden verletzt und auch der Zugang zu einem funktionierenden Rechtssystem ist nicht gewährleistet.
Was bedeutet das konkret?
Yolanda Herrera: Von zehn inhaftierten Bolivianern sind nur zwei verurteilt worden. Die anderen acht sitzen in Untersuchungshaft, ohne dass ihre Schuld bewiesen wurde. Viele von ihnen warten acht oder zehn Monate darauf, dass ihre Gerichtsverhandlung beginnt. Außerdem sind die Verhältnisse in den Gefängnissen unmenschlich. Mangelernährung und Krankheiten sind verbreitet. Das sind klare Menschenrechtsverletzungen.
Ein weiteres Thema sind die Rechte der indigenen Völker, die missachtet werden. Die indigenen Gemeinschaften leben auf Territorien, die reich an Bodenschätzen sind. Der Staat hat ein großes wirtschaftliches Interesse, diese auszubeuten. Doch vorher müssen die indigenen Völker konsultiert werden, wie es das Gesetz bestimmt. In vielen Fällen hält sich die Regierung aber nicht daran. Deswegen haben wir von APDH zum Beispiel eine Studie herausgegeben, die die Rechtsverletzung im Fall des „Indigenen Territorium Nationalpark Isiboro Sécure“ (TIPNIS) dokumentiert. Diese haben wir der Regierung überreicht.
2011 haben viele indigenen Gemeinschaften gegen den Bau einer Straße durch ihr Territorium und den Nationalpark demonstriert. Der Fall TIPNIS hat auch international große Aufmerksamkeit erregt. Was sagt die Regierung zu Ihrem Bericht?
Yolanda Herrera: Sie akzeptiert den Bericht nicht und behauptet, die Betroffenen vorher angehört zu haben. Trotzdem hat auf der Basis dieses Berichts die Regierung den Plan zurückgenommen, eine Straße durch das Gebiet der indigenen Gemeinschaften von TIPNIS zu bauen. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Regierung nach den Wahlen in einem Jahr erneut versuchen wird, die Straße durchzusetzen. Die wirtschaftlichen Interessen in diesem Gebiet sind einfach sehr groß. Sie wird dann andere Strategien einsetzen, um an ihr Ziel zu gelangen. Zum Beispiel sagt sie zu den indigenen Gemeinschaften: Wenn ihr Straßen akzeptiert, bekommt ihr Bildung und Gesundheit. Das ist nicht richtig und das klagen wir an, denn es ist eine Verpflichtung des Staates, überall in Bolivien die Gesundheitsversorgung und Bildung sicherzustellen – unabhängig vom politischen Willen der Bevölkerung.
Es geht aber nicht nur um TIPNIS. Auch andere Gemeinschaften wie die Guaranís sind betroffen. Es werden Probebohrungen gemacht, um Erdöl zu finden, ohne vorher die dort lebenden indigenen Gemeinschaften zu konsultieren. Aber auch beim Bergbau in den Anden werden Rechte verletzt. Das ist ein sehr großes Problem in unserem Land. Als Menschenrechtsorganisation machen wir diese Fälle öffentlich, versuchen Versammlungen mit den Bürgermeistern, Abgeordneten und Senatoren zu organisieren. Doch niemand in der Regierung will das hören, denn es ist ihre Politik, durch die Ausbeutung der Bodenschätze die Armut zu verringern – da interessieren die indigenen Völker nicht.
Jetzt nehmen Sie am Besuchsprogramm des Auswärtigen Amts mit anderen Menschenrechtsverteidigern teil. Was erwarten Sie sich?
Yolanda Herrera: Es ist für uns eine Ehre. Ich denke Deutschland ist eins der Länder, das ein sehr positives Beispiel für Lateinamerika hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes ist – gerade wegen seiner Vergangenheit. Das Treffen mit anderen Menschenrechtsorganisationen aus Deutschland und der Austausch untereinander sind mir sehr wichtig. Ich bin gespannt darauf zu sehen, wie die Organisationen hier in Deutschland vorgehen, welche Instrumente sie zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen anwenden und was die Politiker aufgrund des Selbstverständnisses ihrer Rolle und Funktion zur Durchsetzung der Menschenrechte beitragen.
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