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50 Jahre MISEREOR im Tschad: Auf der Suche nach dem ersten von MISEREOR geförderten Projekt

Jubiläen bieten einen starken Anlass, sich der gemeinsamen Grundlagen und Werte zu vergewissern, die die Zusammenarbeit prägen, jedoch im Alltag nicht stets und ständig Gesprächsgegenstand zwischen MISEREOR und seinen Partnern sein können. Im Tschad blicken wir heute auf fünfzig Jahre gemeinsamer Entwicklungskooperation zurück und werden diesen Jahrestag Ende Oktober durch ein Jubiläumsprogramm würdigen.

Tschad altes Bild

Aufnahme des ersten durch MISEREOR geförderten Projektes im Tschad

Anfang des Jahres begann ich, zur Vorbereitung, nach Spuren des ersten MISEREOR-Projekts im Land des Toumaî – so ein auf den Toumaî-Urahne („der erste Mensch2) anspielender Eigenname des zentralafrikanischen Lands – zu suchen. Der freundliche, verbindliche Archivar in der Geschäftsstelle verblüfft mich im Januar nicht schlecht, als er binnen zwei Tagen zur vorhandenen Projektnummer 109-002-0001 die gut erhaltene vollständige Akte aus dem Jahre 1964 zum Vorschein bringt – mit Vertragspapieren, Photographien von Baumwollfeldern, einer Baustelle sowie der nachher fertiggestellten Bauten als auch weitere Projektdokumente.

„Landwirtschaftliches Ausbildungszentrum in Monkara, Fort-Archambault“ steht als Titel auf der Akte des ersten Kooperationsprojekts im Tschad; bewilligt am 24. Juli, Betrag: 51.129, 19 €, ausgezahlt vermutlich im Oktober 1964. Der Zeitenwandel ist unmittelbar ablesbar: Nicht nur hieß das Zahlungsmittel damals Deutsche Mark, vielmehr trug die Stadt und Diözese im Südtschad noch den Namen aus Kolonialzeiten, heute heißt sie Sarh.

Ausgestattet mit Scans der etwas vergilbten Fotos und Unterlagen aus Aachen, fahre ich im August, mitten in der Regenzeit also nach Sarh, um dort auf Spurensuche zu gehen. Sarh wirkt übrigens – scheinbar passend – wie eine Art Freiluftmuseum, wenn man durch eine der alten Straßen spaziert. Die Geschäftszeilen aus französischen Kolonialtagen haben sich teils beeindruckend erhalten.

Auf dem Weg zum Ort des ersten MISEREOR-Projekts

Altes Bild aus dem Tschad

Das alte Ausbildungszentrum

Dieser Ort liegt ziemlich  außerhalb. Den Hinweis auf die genaue Stätte gibt uns in Sarh der Leiter des Entwicklungsbüros, BELACD, der aus dem Nachbarstädtchen Koumra kommt: Auf den mitgebrachten Archivfotos erkennt er das in Koumra-Monkara liegende „Centre de Formation de Developpement Rural“ (CFDR). Wir freuen uns: Offenbar stehen die Gebäude noch.

Und tatsächlich stoßen wir in Monkara auf einen Wegweiser zum CFDR und finden so das alte Ausbildungszentrum. Madame Bekaiuyougoto Yamta Alhéré begrüßt uns und stellt sich als die heutige Leiterin der seit 1992 verstaatlichten Landwirtschaftsschule vor: „Wir haben 160 Hektar Land für die Schulung von 48 Dörfern.“
Sie führt uns umher, und mit gemischten Gefühlen betrachten wir die Reste der Gebäude von unseren Fotos: Zwar immer noch mit ähnlicher Zwecksetzung, erscheinen sie doch arg herunter gekommen, mitunter gänzlich zu Ruinen verfallen; und zur Durchführung von Schulungen stehen keine Mittel bereit, sagt die leitende Animatrice. Seit dem Ausscheiden der Schweizer Kooperationspartner, die sich seit den Anfängen und noch lange nach der MISEREOR-Startförderung beteiligten, zehrt die Einrichtung offensichtlich von ihrer eigenen Substanz und befindet sich im Zerfall.

Madame Bekaiuyougoto Yamta Alhéré, Leiterin der seit 1992 verstaatlichten Landwirtschaftsschule

Madame Bekaiuyougoto Yamta Alhéré, Leiterin der seit 1992 verstaatlichten Landwirtschaftsschule

Frau Yamta Alhéré erklärt uns jedoch nach dem Besichtigung des Komplexes, dass der Niedergang teilweise schlicht dem Zeitenwandel geschuldet sei: Schulten die Ausbilder hier einst die Kleinbauern der umliegenden Dörfer in der Nutzung des Ochsenpflugs zur Bestellung der Felder, so verteile der Staat seit vergangenem Jahr Traktoren in der Region; auch habe sich der Methodenansatz in der Landwirtschaftsförderung weg von Ausbildungszentren hin zu mobilen Animateuren gewandelt, die die Bauerngruppen in ihren Dörfern aufsuchten und unterstützen. (Dass die Dorfbevölkerung andererseits das alte Schulungszentrum rundum positiv im Gedächtnis behalten hat, zeigt die Gründung eines Vereins durch die Dorfältesten der weiteren Nachbarschaft, seit 2012 gilt er dem Ziel, trotz allem die Stätte wieder zu erneuern.)

Wie auch immer: Hätten wir später nicht noch in Koumra einen besonderen Zeitzeugen der ersten Stunde gefunden, wäre mir die Suche nach unserem ersten Tschad-Projekt wohl als eine Tragikomödie in Erinnerung geblieben.

Ebenfalls dank der Hinweise aus Sarh fragen wir uns Stadtteil für Stadtteil durch nach Herrn Célestine Ndoringué. Erst nach Sonnenuntergang finden wir ihn in einer wenig befestigten Wohnsiedlung am Rande der Kleinstadt Koumra, genannt Binda 1: Im Dunkeln sitzt er vor seiner Hütte und kümmert sich um mehrere seiner kleinen Enkelkinder. Er bestätigt sofort seine Mitwirkung am Anfang der Landwirtschaftsschule und ist bereit, sich mit uns am nächsten Morgen weiter darüber zu unterhalten.

„Sie fragten mich, ob ich beim Bau helfen könne.“

Bescheiden, wie es ihm zu Eigen ist, beschreibt Célestine Ndoringué am nächsten Morgen, wie er damals zum Projekt stieß. Der jung gebliebene Jugendbildner und Landwirt schildert seine Rolle beim Aufbau des Zentrums in Monkara und wie es da zuging. Wir treffen ihn mitten in der Regenzeit, an diesem sehr frühen Sonntagmorgen, noch vor Sonnenaufgang.

Eine Besonderheit des Zentrums bestand darin, dass in der Regel junge Ehepaare gemeinsam an den Schulungen über mehrere Monate teilnahmen, wobei Männer und Frauen dann gemeinsam beizeiten auf den Feldern die neuen Methoden anwandten und erlernten. Es muss damals ein spezielles Gemeinschaftserlebnis gegeben haben, so, wie er es erzählt.

Célestin Ndoringué, Jugendbildner und Landwirt in Monkara

Célestin Ndoringué, Jugendbildner und Landwirt in Monkara und seine Frau

Célestin Ndoringué, hier geboren und bis heute in Koumra ansäßig, kam in den sechziger Jahren über die Pfadfinder zur Landjugendbewegung, Jeunesse Agricole Chrétienne (JAC), zunächst in Koumogo, östlich von Sarh. Dann wirkte er maßgeblich an der Verbreitung dieser aus Burkina Faso stammenden Bewegung im Tschad mit. Mitglied geworden, kümmerte er sich zunächst als Gruppenleiter um die Weiterbildung anderer Jugendlicher in der Landwirtschaft; später führte er die gesamte JAC als langjähriger Präsident und Ehrenpräsident.

Beim Abschied, als wir ein Foto mit ihm und seiner Familie machen dürfen, fallen mir die vielen dicken Bücher auf, die durch den Türspalt seiner Rundhütte zu sehen sind. Für die ländlichen Verhältnisse im Südtschad völlig außergewöhnlich, merkt man dem jung gebliebenen Senior seine profunde Bildung an.

Unsere Verabredung endet noch während des Sonnenaufgangs, weil Célstine Ndoringué danach in eine Nachbargemeinde fährt, um der ersten Messe seines soeben zum Priester geweihten Sohns Charles beizuwohnen. – Angesichts von Familiengeschichten wie dieser, bin ich sicher, dass das Jahr 1964 Ausgangspunkt vieler kleiner Entwicklungsgeschichten war; und, wer weiß, vielleicht auch aufgrund eines Projekts mit der Nummer 109-002-0001? Jedenfalls lässt sich die Wirkung eines Projekts nach fünfzig Jahren nicht an Gebäuderesten ablesen.

Ich glaube übrigens, auf dem ersten Foto in diesem Beitrag aus dem MISEREOR-Archiv Herrn Ndoringué als jungen Mann zu erkennen. Zusammen mit mehreren anderen jungen Erwachsenen ist er dabei, die Baugrube für die Grundsteinlegung auszuheben. – Bei nächster Gelegenheit hoffe ich ihn danach fragen zu können.

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Andreas Kahler leitete seit April 2012 die MISEREOR-Verbindungsstelle in N`Djaména/Tschad. Seit 2018 ist er Leiter der Verbindungsstelle in Abuja/Nigeria. In seiner Arbeit kümmert er sich um den guten Dialog mit den Partnern von MISEREOR und begleitet die Projekte.

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