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Nepal nach dem Erdbeben: „Was dem einzelnen hilft, hilft der ganzen Gemeinschaft“

„Die Menschen hatten Todesangst, standen unter Schock. Es herrschte Chaos.“ So beschreibt Lajana Manandhar die dramatische Situation unmittelbar nach dem schweren Erdbeben in Nepal im April 2015. Lajana Manandhar ist Direktorin der nepalesischen Hilfsorganisation „LUMANTI Support Group for Shelter“, einem langjährigen, erfahrenen Projektpartner von MISEREOR.

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Lajana Manandhar,Direktorin der nepalesischen Hilfsorganisation „LUMANTI Support Group for Shelter“

Ein Vierteljahr nach der Katastrophe steht für die Mitarbeiter von LUMANTI nach der sofortigen Überlebenshilfe für Opfer des Bebens mehr und mehr der Wiederaufbau im Fokus der Arbeit. Matthias Lanzendörfer, MISEREOR-Referent für entwicklungsorientierte Not- und Wiederaufbauhilfe, ist deshalb nach Nepal gereist, um gemeinsam mit LUMANTI mögliche Wiederaufbaumaßnahmen zu erörtern. Dort sprach er mit Lajana Manandhar.

Wie ist die Situation heute vor Ort? Wie geht es den Betroffenen?

Lajana Manandhar: Die Menschen beginnen, sich langsam mit den Veränderungen zu arrangieren. Sie kehren in ihre Häuser zurück. Viele haben ja im Freien campiert, als nach dem ersten Erdbeben ein zweites und drei Wochen später ein drittes Beben folgten. Mittlerweile haben die Nachbeben fast ganz aufgehört. Allerdings haben die Leute auch heute noch Angst, die oberen Räume ihrer Häuser zu betreten. Sie schlafen und kochen im Erdgeschoss. Und wenn sie nach oben müssen, weil zum Beispiel das Badezimmer im ersten Stock liegt, beeilen sie sich, wieder nach unten zu kommen. Aber es gibt auch viele Häuser, die Risse haben. Deren Bewohner fürchten sich davor, ihre Häuser zu betreten und sind bei Verwandten oder in gemieteten Häusern untergekommen.

Welche weiteren Folgen haben die Beben nach sich gezogen?

91 Interview mit Direktorin LUMANTI, Lajana Manandhar

Matthias Lanzendörfer im Gespräch mit Lajana Manandhar

Lajana Manandhar: Weil das Beben Verwerfungen im Untergrund auslöste, hat sich die Gefahr von Erdrutschen erhöht. Hunderte Familien aus höher gelegenen Gebieten haben deshalb ihre Dörfer verlassen und sich in tiefer gelegenen Regionen niedergelassen. So ist eine Reihe von Zeltstädten entstanden. Ganze Dörfer müssen umgesiedelt werden: In einigen Distrikten in den höher gelegenen Gebieten bestand Lebensgefahr wegen der Gefahr von Erdrutschen, und deshalb wurden die Bewohner evakuiert und an sichere Orte gebracht.

Wie unterstützt LUMANTI die Menschen?

Lajana Manandhar: Gemeinsam mit lokalen Gruppen, mit denen wir schon vor dem Beben zusammengearbeitet haben, leisteten wir Nothilfe und stellten Materialien für Notunterkünfte zur Verfügung. Diese Unterstützung wird noch eine Weile weitergehen. Aktuell konzentrieren wir uns zudem auf den Wiederaufbau von Gebäuden. In zwei Gemeinschaften am Stadtrand von Kathmandu laufen dazu schon die Planungen. Außerdem unterstützen wir Planungen in einigen anderen Siedlungen am Rand von Kathmandu. Auf dem Land arbeiten wir zudem in zwei Distrikten. Auch hier stellten wir Notunterkünfte zur Verfügung und unterstützen nun den Wiederaufbau. Es geht dabei nicht nur darum, den Standard vor dem Beben wiederherzustellen. Sondern wir helfen den Menschen, ihre Dorfgemeinschaften auf bessere Art und Weise wiederherzustellen.

Was heißt auf bessere Art und Weise konkret?

Lajana Manandhar: Die Häuser erdbebensicher wiederaufzubauen und insgesamt die Gemeinschaften widerstandsfähiger gegen Katastrophen wie Erdbeben zu machen. Den Menschen Fähigkeiten zu vermitteln, damit sie die Folgen von Katastrophen besser abfedern können. Ihre Möglichkeiten zu verbessern, für ihren Lebensunterhalt sorgen und dabei auch Rücklagen für Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen bilden zu können. Ihnen zu helfen, Ausrüstung und Werkzeuge zu beschaffen, die sie bei möglichen künftigen Katastrophen einsetzen können. Gemeinsame Planungsprozesse anzustoßen, um Siedlungen insgesamt widerstandsfähiger gegen Naturkatastrophen zu machen. Bei einer Siedlung etwa war die Zugangsstraße sehr schmal, so dass dort im Notfall kein Durchkommen war, zum Beispiel auch nicht für Krankenwagen. Jetzt, nachdem durch das Beben die Häuser zusammengestürzt sind, müssen die Bewohner ihre Siedlung neu gestalten und können eine breitere Zufahrt einplanen. Es gibt weitere notwendige Maßnahmen: Etwa, bei der Neugestaltung offene Plätze für das Gemeindeleben einzuplanen, Grünflächen anzulegen, beim Wiederaufbau das traditionelle Aussehen einer Siedlung zu bewahren. Und auch: Die Menschen über die Regelungen und Vorschriften der Regierung für den Wiederaufbau zu informieren. Und ihnen zu helfen, dass sie in die staatlichen Maßnahmen eingebunden und in die Koordination mit einbezogen werden.

Es geht also nicht um Geschenke, sondern darum, sie in der Selbsthilfe zu unterstützen und ihnen Zugang zu staatlicher Unterstützung zu verschaffen?

Lajana Manandhar: Ja, aber die Gemeinschaften sind keine homogenen Gruppen. Es gibt zum Beispiel sehr arme Menschen, die mehr Unterstützung brauchen. Es gibt Familien mit behinderten Angehörigen, Familien mit sehr geringem Einkommen, und es gibt Familien, wo nur noch die alten Mitglieder leben. Wir helfen diesen Familien, ihre Wohnsituation ihren speziellen Bedürfnissen entsprechend zu verbessern, damit sie wie jede andere Familie dort leben können. Wir möchten verhindern, dass die Familien, die ärmer und schwächer sind, vernachlässigt werden und unterstützen sie in besonderer Weise. Das könnte man als Geschenk für sie betrachten, aber in der Gesamtsicht ist es zum Nutzen der ganzen Gemeinschaft.

 

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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