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„Der Unfreihandel“ – Buchrezension

Das Buch „Der Unfreihandel“ von Petra Pinzler erscheint zu einem optimalen Zeitpunkt. Kurz vor der Großdemonstration in Berlin wird die Diskussion um die geplanten transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaften wieder Auftrieb erhalten. Der Untertitel „Die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien“ verweist auf die Hauptthese der Autorin, wer die Regeln für die Weltwirtschaft und für die Abkommen TTIP und CETA durchzusetzen versucht.teaser_Der Unfreihandel_Petra-PinzlerDer Widerstand gegen das Abkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) und gegen das Abkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) ist immer größer geworden. Am Samstag dem 10. Oktober wird in Berlin demonstriert. Auch MISEREOR begleitet die Debatte seit Jahren kritisch und hat mit vielen anderen Nichtregierungsorganisationen Reformvorschläge eingebracht.

Die studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin ist Hauptstadtkorrespondentin der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Berlin und nimmt schon im Vorwort kein Blatt vor den Mund: „All diese Abkommen werden den Schutz der Umwelt erschweren, den Spielraum der Kommunen verringern, die soziale Sicherheit gefährden.(…) Sie schützen das private Eigentum und die Rechte der Konzerne auf Kosten der Gesellschaften. Sie machen die Demokratie weltmarktkonform.“

Mit leichter Feder belegt sie ihre Annahme anhand vieler Beispiele und schildert die komplexen Zusammenhänge rund um die Abkommen: wie sich solche internationalen Verträge historisch entwickelt haben, um den Welthandel zu steuern, welche Akteure konkret involviert sind als „Schattenregime“ neben den gewählten Regierungsvertretern, wie solche Abkommen in die Zukunft wirken – unwiderruflich. Das ist die schärfste Warnung der kritischen Beobachterin: Sind solche Verträge erst einmal ratifiziert und werden Standards für den Umwelt-, Arbeits-, Verbraucher-, oder Klimaschutz „nach unten“ angeglichen, dann sei dieser Prozess unumkehrbar. Wenn öffentliches Eigentum oder Dienstleistungen privatisiert sind, dann bleibe das so nach bisherigem Recht. Es gebe kein Zurück.

Brüssel und die Netzwerke von Lobbyisten

Petra Pinzler konkretisiert, in welchen Netzwerken und mit welchem Einfluss Konzerne und international agierende Anwaltskanzleien den Politikbetrieb in Brüssel und Washington beeinflussen, um ihre Interessen durchzusetzen. 15.000 Lobbyisten haben in Brüssel ihren Arbeitsplatz, gehen mit den 732 Abgeordneten des EU-Parlaments und ihren Mitarbeitern häufig essen, präsentieren ihre Studien mit voraussehbaren Ergebnissen. Ich staune, was in diesem kaum transparenten Prozess bei der Aushandlung von TTIP so alles passiert: Die Beamten einer Arbeitsgruppe der EU-Kommission hatten sich beispielsweise mit 520 hochbezahlten Lobbyisten von Banken, der Chemie- und Automobilbranche sowie der Landwirtschaft getroffen. Weder Umweltgruppen noch Verbraucherschützer, weder Gewerkschafter noch Vertreter von Künstlerverbänden oder Kommunen bekamen Einladungen und wurden gehört. So wird klar, welcher Geist in TTIP Einzug halten konnte. „Die dabei waren, repräsentieren mitnichten eine Demokratie. Sie vertreten nicht einmal den Kreis der potentiell Betroffenen.“ schreibt Pinzler.

Es liest sich wie ein Krimi, wie Abkommen wie CETA, TTIP, TISA entstehen und auf was sie abzielen. Darin geht es längst nicht nur darum, Zölle zu senken, sondern Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz und soziale Errungenschaften anzugleichen. Die Liste, was alles ein Handelshemmnis darstellt, würde in den letzten Jahren immer länger, meint Pinzler. Fernab jeder Verschwörungstheorie beleuchtet sie in diesem Kontext die so genannten „Drehtürmechanismen“. Manager aus Banken würden mit hohen Prämien ausgestattet in den Politikbetrieb wechseln und umgekehrt. Handelspolitiker von Regierungen würden in der Politikberatung ihre Karriere fortführen.

Schiedsgerichte arbeiten geheim und ohne Berufungsmöglichkeit

Im Zentrum von Pinzlers Kritik stehen die so genannten Schiedsgerichte, die auch als Bestandteil von TTIP vorgesehen sind und aktiv werden könnten. Bereits seit Jahrzehnten gibt es private Schiedsgerichte, vor denen Auslandsinvestoren Klage einreichen können. Die hochspezialisierten Richter und Anwälte werden für die jeweiligen Verfahren von den Streitparteien berufen, mit einem Stundensatz von mehreren hundert Euro. Das Verfahren findet in Räumen statt, auf die man sich geeinigt hat, ohne Zuschauer und ohne höhere Instanz: Ist ein Urteil erst einmal ausgesprochen, dann gilt es. Dieser juristisch einklagbare Investorenschutz ist Bestandteil mehrere Handelsabkommen. Nach Pinzler seien es aber nicht die Mittelständler, sondern die großen Konzerne, die dort Klage einreichen mit dem Argument, dass Gesetze gegen internationale Handelsabkommen verstoßen wie beispielsweise gegen GATS oder NAFTA. Vor diesen Gerichten sei ein Staat immer der Beklagte: er und damit die Steuerzahler könnten nur Geld verlieren aber keines gewinnen beispielsweise durch Schadensersatzzahlungen. Pinzlers These ist nun, dass internationale Anwaltskanzleien die Verfahren vor den Schiedsgerichten als Geschäftsmodell entdeckt hätten – für sich und für große Investoren. In den 90er Jahren habe es einen sprunghaften Anstieg an Klageverfahren gegeben. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) verzeichne aktuell 608 Verfahren! Die international arbeitenden Anwaltskanzleien würden ein Milliardengeschäft daraus machen. Immer mehr Länder hätten entsprechende Schadensersatzklagen am Hals. „Kanada wurde im Frühjahr 2015 zu 300 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt, weil seine Bürger in der Fundy-Bucht in Neuschottland keinen Steinbruch wollten. (…) Da ist das „Who is Who“ der Weltkonzerne aktiv. Die deutsche Bank hat 70 Millionen von Sri Lanka erstritten. Siemens bekam 279 Millionen von Argentinien. Chevron wurden 96 Millionen von Ecuador zugesprochen.“ Konzerne nutzen diese private Gerichtsbarkeit auch, um Regierungen im Vorfeld von Gesetzesänderungen zu drohen. Pinzler nennt es „eine Paralleljustiz“ – es seien geheime Verfahren und sie warnt vor Machtmissbrauch.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Die Autorin gibt aber die Hoffnung nicht auf, dass sich auch im Rahmen freier Marktwirtschaft einiges ändern lässt. Sie kritisiert das Postulat nach mehr freiem Handel angesichts der zunehmenden Umwelt- und Klimazerstörung und angesichts der Ungleichverteilung wirtschaftlicher Entwicklung weltweit. Doch sie sieht Chancen für Reformen und greift am Ende ihres Buches drei Forderungen des „alternativen Handelsmandats“ auf. Daran haben fünfzig Organisationen aus dem Süden und dem Norden vier Jahre lang gearbeitet, darunter MISEREOR: „dass über alle Verhandlungen vorher informiert wird, dass Abkommen kündbar sein müssen, dass sie zur UN-Konvention passen müssen.“ Für die Autorin wäre bereits die Umsetzung dieser Forderungen ein riesiger Schritt, denn sie beträfen den Kern des Problems. „In den vergangenen Jahren sind Handelspolitiker nicht nur immer weiter in wichtige gesellschaftspolitische Bereiche vorgedrungen. Ebenso gefährlich ist es ja, dass sie ein eigenes, global wirksames Recht entwickelt haben, und zwar nicht nur durch die Schiedsgerichte. Sie haben das gesamte Handelsrecht losgelöst von anderen völkerrechtlichen Regeln weiterentwickelt: von den Menschenrechtskonventionen und denen zum Schutz der Umwelt.“

Ganz am Schluss zieht sie ein realistisches Fazit und geht davon aus, dass erst einmal Abkommen scheitern müssten, damit in der Zukunft ein Vertrag aus der Taufe gehoben würde, der beides integriert: Wachstum und gleichzeitig Schutz der Standards und des Völkerrechts.


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Eva Wagner war Mitarbeiterin im Berliner Büro von Misereor.

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