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Misereor-Unternehmerforum: Rote Nasen zum Mitnehmen

Das Misereor-Unternehmerforum beschäftigt sich mit Flüchtlingen. Auch auf ungewöhnliche Weise.

Roten Nasen zum Mitnehmen

Eckart von Hirschhausen brachte für jeden eine rote Nase zum Mitnehmen mit.

Da lagen sie plötzlich auf dem Tisch. Ganz viele rote Schaumstoffnasen. Kostenlos zum Mitnehmen. Und das fernab von irgendwelchen Zirkusarenen oder Narren-Hochburgen. Es war einfach nur eine Geste von Eckart von Hirschhausen. Der vielbeschäftigte Show-Moderator, Künstler, Journalist und Autor, der in jungen Jahren auch als Arzt gearbeitet hatte, war zum Unternehmerforum von MISEREOR gekommen – übrigens ganz ohne Honorar. Dort setzte er mit einem Vortrag unter dem Motto „Gutes besser tun“ einen ganz besonderen Akzent.

Gutes besser tun

Eckart von Hirschhausen

Eckart von Hirschhausen lieferte viele Ideen, wie man „Gutes besser tun“ kann.

Dieser war umso ungewöhnlicher, als das Thema der von gut 80 Gästen besuchten Veranstaltung in den Räumen der Deutschen Telekom in Bonn nicht gerade zum Lachen animiert. „Migranten willkommen?“, war dieser Tag überschrieben, es gab viele ernste Diskussionen und auch ein paar Kontroversen zu jenem Thema, das die deutsche und europäische Innenpolitik seit gut einem Jahr wie kein anderes beschäftigt, herausfordert und vielen Menschen Sorgen macht. Und da kam nun der Herr Doktor Hirschhausen mit seinen roten Nasen um die Ecke.

Helfen steigert die Lebenserwartung

Passte das überhaupt? Ja, das passte! Die launigen Randbemerkungen Hirschhausens, der 2008 eine Stiftung namens „Humor hilft heilen“ gegründet hatte, verströmten eine Menge Tiefgang, hatten aber im Kern eine vergleichsweise einfache Botschaft: Nehmt die Dinge gelassener und nicht zu ernst und kümmert Euch um Euren Nächsten. Denn: „Ökonomisch ist es das Intelligenteste, was wir tun können, uns für andere zu engagieren.“ Helfen tue gut und steigere die Lebenserwartung. Hirschhausen ist überzeugt: „Am Ende zählt im Leben nicht, wieviel Geld ich bekommen habe, sondern: Habe ich das, was ich verändern konnte, auch getan?“ Es erfordere ein wenig Mut, Dinge humorvoll und doch deutlich anzusprechen. Etwa seine These, dass dem ökonomischen Wettbewerb viel zu viel Raum gegeben werde – auf Kosten der Menschlichkeit. Statt etwa Krankenhäuser zu „Orten der Gastfreundschaft“ zu machen, seien diese vielfach von wirtschaftlichem (Spar-)Denken geprägt. „Die Beschränkung auf das Ökonomische macht uns arm“, postulierte Hirschhausen. Auch ein stark individualistischer Ansatz mache nicht glücklich, es gelte kommunikativer und dialogischer zu agieren. Damit schlug er den Bogen zu den in Deutschland lebenden Flüchtlingen. „Die werden uns nicht ruinieren, sondern Chancen und Perspektiven eröffnen“, zeigte er sich überzeugt. Langfristig koste ein Flüchtling die deutsche Gesellschaft sieben Euro pro Monat, sagte er, was sicherlich zu verkraften sei. Alles im Kern ernste Aspekte, aber stets mit einem Augenzwinkern vorgetragen. So wie er auch zwischendurch nüchtern feststellte, dass „MISEREOR nicht gerade nach Lebensfreude klingt“. Mit roter Nase darf man eben (fast) alles sagen. Und alle bleiben gelassen, auch wenn man sich gerade aufregen könnte…

„Ich bin, weil wir sind“

Bild vom Misereor-Unternehmerforum

Der Sprecher des Misereor-Unternehmerforums, Johannes Zurnieden, zwischen den Misereor-Geschäftsführern Pirmin Spiegel (r) und Martin Bröckelmann-Simon

Hirschhausens Botschaften fügten sich in der Tat gut in den Gesamtkontext des Unternehmerforums ein, bei dem auch in diesem Jahr führende Vertreter ganz unterschiedlicher Branchen – von der Bauunternehmung über den Elektromotorenhersteller bis zur Bank und Versicherung – miteinander diskutierten. Auch MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel appellierte leidenschaftlich an die Bereitschaft aller, aufeinander zuzugehen und solidarisch zu sein. Er zitierte hierzu aus einem afrikanischen Sprichwort: „Ich bin, weil wir sind, und damit wir sind, bin ich.“ Und ergänzte diese Aussage mit einem Spruch aus dem biblischen Buch Levitikus: „Liebe den Fremden, denn er ist wie Du!“. Wenn Leid und Mangel existierten, nehme das jedem von uns ein Stück Menschlichkeit, sagte Spiegel. „Die Armen und Ausgegrenzten, die Situation von Flüchtlingen zeigen das Bild einer Welt, die es so nicht geben sollte.“ Spiegel sagte das alles mit noch ganz frischen Erinnerungen von einer Jordanien-Reise, die er wenige Tage zuvor absolviert hatte. Das kleine Land habe mittlerweile 1,4 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, 35 Prozent davon im schulpflichtigen Alter. Eine schwere Last, die zeige, wie stark Syriens Nachbarstaaten von den Folgen des Krieges betroffen seien. Der Misereor-Chef betonte zudem, dass der weitaus größte Teil aller Flüchtlinge gar nicht nach Europa komme. 38 Millionen seien etwa innerhalb ihres eigenen Landes auf der Flucht, eine große Zahl habe in Nachbarländern Schutz gesucht.

Wie wird aus der Krise eine Chance?

Dass auch in Deutschlands Wirtschaft viel Bereitschaft besteht, konstruktiv und entgegenkommend auf die aktuelle Flüchtlingskrise zu reagieren, wurde beim Unternehmerforum an zwei Beispielen deutlich: Martin Iffert vom Essener Aluminiumhersteller Trimet erklärte, seine Firma biete in Kooperation mit der ortsansässigen Diakonie 66 Flüchtlingen aus Syrien, Irak, Eritrea und Afghanistan einen Ausbildungsplatz im gewerblich-technischen Bereich. Unternehmenschef Heinz-Peter Schlüter hatte dies anlässlich seines 66. Geburtstages zugesagt. Iffert sieht mit Blick auf ein solches Engagement nun die Politik gefordert: „Wer auf diese Weise investiert, hat natürlich ein Interesse daran, dass die Flüchtlinge auch in Deutschland bleiben können. Nur so wird aus der Krise eine Chance.“ Dafür freilich müssten einige rechtliche Grundlagen noch angepasst werden.

100 Praktika, 10 Stipendien

Gabriele Kotulla von der Deutschen Telekom stellte das Informationsportal ihres Unternehmens für Flüchtlinge  vor – „refugees.telekom.de“. 250.000 Zugriffe pro Monat zählt die Telekom auf der in acht Sprachen verfügbaren Internetseite. Kostenloses W-LAN in Flüchtlingsheimen, 100 Wohnungen für Flüchtlinge in Telekom-Immobilien, über 100 Praktika und 10 Stipendien an der Hochschule für Telekommunikation in Leipzig – das sind nur einige Beispiele für das umfangreiche Engagement des Konzerns, der seine Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft sehr ernst nehme, so Kotulla.
Laszlo Trankovits, langjähriger Redakteur der Deutschen Presseagentur (dpa), sagte voraus, dass die aktuellen Migrationsbewegungen noch lange nicht zu Ende seien – im Gegenteil:  „Wir stehen am Anfang der  größten Umwälzungen seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Er vermisse eine schlüssige Antwort des Westens auf die gegenwärtige Situation, sagte Trankovits und prophezeite, dass Fluchtursachen nur dann wirksam zu bekämpfen seien, wenn sich in den Herkunftsländern der Flüchtlinge die politischen Strukturen durchgreifend änderten. Und das bedeute eben auch, gegen korrupte Eliten vorzugehen. Damit sei es momentan jedoch nicht weit her.

„Einiges wird auf den Kopf gestellt“

Matthias Drobinski, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, findet, dass der berühmt gewordene Satz von Kanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das“ erweitert werden müsste: „Wir schaffen das, aber es wird Probleme geben“. Letztere dürften in der Flüchtlingskrise nicht unter den Tisch gekehrt werden, auch wenn es uns in Deutschland „ganz gut“ gehe und wir keineswegs am Abgrund stünden. So müsse die Gesellschaft etwa zur Kenntnis nehmen, dass längst nicht alle Flüchtlinge hoch qualifiziert seien. „Das ist eher eine Minderheit, unter ihnen befinden sich auch Analphabeten.“ Viele Flüchtlinge hätten zudem eher das Ziel, schnell einen Job zu bekommen und Geld zu verdienen und nicht eine Ausbildung für einen geringen Verdienst zu absolvieren. „Wir stehen also vor einer sehr großen und schwierigen Bildungsaufgabe“, und es sei absehbar, dass es ein bis zwei Generationen dauern werden, bis die Integration geschafft sei. Es sei auch klar, dass gesellschaftlich einiges auf den Kopf gestellt werde, wenn eine Million Menschen aus einem anderen Kulturkreis zu uns kommen. Doch trotz aller Schwierigkeiten gebe es viele gute Gründe, sich der Situation positiv zu stellen und diese in Ruhe zu bewältigen. Kreative Ideen seien gefragt – „nicht etwa Steuererhöhungen, sondern zum Beispiel eine Sonderbriefmarke, von deren Ertrag 25 Cent in die Flüchtlingshilfe fließen.“ Und eins sei noch sehr wichtig: „Wir dürfen nicht die Armen hier in Deutschland vergessen.“

Die Welt wird immer fragiler

MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon berichtete abschließend von einer Reise nach Afghanistan, die ihm noch einmal verdeutlicht habe, wie prekär die Lage in diesem Land sei: „Die Sicherheitslage hat sich dort extrem verschlechtert, und es gibt auch nach jahrzehntelangem Kriegszustand keine Aussicht auf kurzfristige Besserung.“ Die grassierende Gewalt zwinge viele Menschen zur Flucht. Er konstatierte eine zunehmende Fragilität der Welt: „In den vergangenen fünf Jahren sind global gesehen 15 neue Konflikte dazugekommen.“

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Ralph Allgaier ist Pressesprecher bei Misereor.

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