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Ende einer mörderischen Trockenzeit

In diesen Tagen ziehen immer häufiger dunkelgraue Wolken von Westen über Mumbai hinweg, aber noch kündigen nur ein paar Tropfen vom nahenden Monsun. Gleichzeitig rollen immer öfter schwere Tanklaster durch die eh schon verstopften Straßen der Stadt – sie versorgen die Bewohner der Megastadt mit Trinkwasser. Wenn der Regen des Monsuns endlich kommt, wird er eine der schlimmsten Dürrezeiten der letzten Jahrzehnte Indiens beenden – über 300 Millionen Menschen sind von ihr betroffen.

Wolken über der Skyline von Mumbai kündigen die nahende Regenzeit an

In den vorhergehenden zwei Jahren war der Monsun extrem schwach ausgefallen, sodass Grundwasserstände zu niedrig waren und sich die Trinkwasserreservoirs nicht vollständig gefüllt hatten. Insbesondere die Bauern in den zentralen Regionen Indiens leiden darunter. Aufgrund von Ernteausfällen müssen sich viele von ihnen verschulden, um ihr Überleben zu sichern und nicht wenige verpfänden dafür ihr Land. Für immer mehr Bauern werden der Druck und die Hoffnungslosigkeit zu groß und sie sehen keinen Ausweg mehr: die hohe Suizidrate unter indischen Farmern ist grundsätzlich ein Problem; in den letzten Monaten hat die Anzahl der Selbstmorde allerdings aufgrund der Dürre noch einmal deutlich zugenommen. Alleine in Marathwada, dem schlimmsten betroffenen Distrikt, haben sich seit Beginn des Jahres mehr als 400 Farmer das Leben genommen. Insgesamt geht man alleine für den Bundesstaat Maharashtra von mehr als 3200 Suiziden von Kleinbauern aus seit Januar 2015.

Ausgetrocknete Landschaft im Zentrum des Bundesstaates Maharahstra.

Ausgetrocknete Landschaft im Zentrum des Bundesstaates Maharahstra.

Andere suchen einen Ausweg in der Migration in die Städte. Die Times of India berichtet für die Stadt Bangalore im Bundesstaat Karnataka, dass in der Hochzeit der Dürre pro Woche über 5000 Menschen in Kleinbussen in der Stadt Zuflucht vor der Trockenheit suchten. Aus anderen Städten wird Ähnliches berichtet. Mein indischer Kollege kommentierte dies so: „Früher kamen die Menschen in die Stadt, um Arbeit zu suchen, heute für Wasser“. Für die Armen ist die Situation in den Städten allerdings häufig auch nicht viel besser, wie wir bei einem Feldbesuch nach Ahmednagar erfahren. In den Sommermonaten ist es normal in Indien, dass der Wasserzugang rationiert wird auf einige Stunden am Tag. Von den Bewohnern eines Slums erfahren wir, dass sie nur zwei Stunden pro Tag Wasser bekommen – zwischen zwei und vier Uhr nachts. Ein anderes Armenviertel erhält nur alle vier Tage Wasser, dafür dann aber mehrere Stunden.

Dürren sind in Indien, wenn auch nicht in dieser Heftigkeit, ein bekanntes Phänomen, auf das man sich vorbereiten kann. Dabei ist Wassermangel in erster Linie eine Frage von Verteilungsgerechtigkeit, die mit der Zunahme der Effekte des Klimawandels an Dringlichkeit gewinnen wird. Welches Konfliktpotenzial hinter dem Problem steht deutet sich an folgendem Beispiel an: der Distrikt Latur konnte ab einem Zeitpunkt nur noch durch einen Zug mit einer Ladung von 500.000 Litern Wassern versorgt werden. Unterwegs wurde der Zug mehrfach von Menschen gestoppt, die auch dringend Wasser benötigten.

Zwei Frauen holen Wasser in einem Slum in Ahmednagar. Meistens verfügen die Wasserpumpen nicht über Trinkwasserqualität sondern können nur zum Waschen verwendet werden. In Trockenzeiten besteht die Gefahr, dass es dennoch getrunken wird und sich Krankheiten ausbreiten.

Die Ungleichheit in der Verteilung von Wasser bleibt ein großes Problem. So verbraucht ein Bewohner der Stadt Mumbai rund vier Mal so viel Wasser, wie ein Bewohner des Distrikts Latur; in der Stadt Pune sind es sogar sechs Mal mehr. Die ungleiche Zuweisung von Wassermengen ist dabei sogar per Gesetz legitimiert. Nach dem Code of Basic Requirements des Bureau of Indian Standards aus dem Jahr 1993 sind alleine für die Toilettenspülungen in Megacities mehr Liter Wasser pro Person pro Tag vorgesehen (45), als für einen Bewohner eines Dorfes insgesamt pro Tag (40 Liter). Derselbe Code of Basic Requirements sieht vor, dass in Städten unter bestimmten Bedingungen (wie Trockenheit) die Wasserversorgung der ökonomisch schwächeren Bevölkerung von 200 Litern pro Tag auf 135 Liter reduziert werden kann – für wohlhabendere Schichten ist dies nicht zugelassen. Es gibt zwar eine neue Empfehlung des Kelkar Kommitees aus dem Jahr 2015, die 140 Liter pro Person unabhängig von Einkommen und Wohnort vorsieht, die aber noch nicht umgesetzt wird.

Bisher beschränkt man sich eher auf Symbolpolitik. So hat das Oberste Gericht (High Court) in Mumbai entschieden, dass in Maharshtra keine Spiele der indischen Kricketliga im Sommer stattfinden dürfen aufgrund des hohen Verbrauchs beim wässern der Rasenflächen. Das ist sicher eine richtige Entscheidung – das Problem, den ausreichenden und gleichen Zugang zu Wasser für die mehr als 110 Millionen Einwohner des Staates Maharashtra zu gewährleisten, wird man so nicht lösen. Es gibt verschiedene Studien, die belegen, dass mit dem Klimawandel die Anzahl und Stärke der Trockenzeiten in Indien zunehmen werden. Neben den direkten Auswirkungen auf die Landwirtschaft werden sie zu einer verstärkten Migration in Städte beitragen, die schon jetzt nicht in der Lage sind ausreichend Infrastruktur für ihre arme Bevölkerung bereitzustellen.

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Vincent Möller hat bis zum Mai 2014 bei Misereor als Referent für Energie- und Klimapolitik gearbeitet. Derzeit lebt er in der indischen Megastadt Mumbai und berichtet von dort über seine Arbeit und den Abenteuer Alltag in Indien. Seine Aufgabe vor Ort ist es, Misereor-Partnerorganisationen in den Themen Zugang zu Energie für die Armen und klimaorientierte Stadtentwicklung zu beraten.

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