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Friedensarbeit auf den Philippinen: Verständigung statt Vorurteile

Erdrückende Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit – so fühlen sich die ersten Eindrücke außerhalb des Flughafens an. Nach dem stark klimatisierten Flugzeug ein echter Wärmeschock. Ich bleibe einen Moment im Schatten stehen und lasse die Szenerie auf mich wirken. Palmen säumen den Parkplatz vor der Empfangshalle in Cotabato, einer Provinzstadt auf der philippinischen Insel Mindanao. Die anderen Reisenden ziehen an mir vorbei. Viele der Frauen tragen Kopftuch, in Mindanao leben bis zu 20 Prozent Muslime. Im Unterschied zu anderen Flughäfen wartet keine Horde Taxifahrer auf ihr nächstes Geschäft. Die Ruhe wirkt auf mich eher trügerisch: Hier dauert einer der längsten bewaffneten Konflikte Südostasiens an? Bin ich hier weniger sicher als in anderen Landesteilen?

Schwester Schola Mutua reißt mich aus diesen Gedanken, als sie mich anspricht. Die Kenianerin arbeitet seit Jahren für das Programm für interreligiösen Dialog (IRD) des Oblaten-Ordens in Mindanao und holt mich vom Flughafen ab. Taxis, so lerne ich, gibt es in Cotabato nicht, u.a. aus Sicherheitsgründen. Die Region wird von der Moro Islamic Liberation Front (MILF) beansprucht, einer bewaffneten Oppositionsgruppe, die für mehr Selbstbestimmungsrechte der muslimischen Bevölkerung auf Mindanao eintritt und seit Jahren Friedensverhandlungen mit der Regierung führt.

Die muslimische Bevölkerung stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch etwa 80 Prozent der Gesamtbevölkerung in Mindanao, der zweitgrößten Insel im Süden des Archipels. Durch die Ansiedlung christlicher Siedler aus dem Norden unter amerikanischer Kolonialherrschaft und später durch die philippinische Regierung sowie durch die Missionierung indigener Völker ist die Insel heute jedoch zu 75 Prozent von Christen bewohnt.

Diese Entwicklung verursachte in den letzten vierzig Jahren eine Reihe von Kriegen mit vielen tausenden Toten und Binnenvertriebenen. Inzwischen herrscht tiefes Misstrauen zwischen Christen und Muslimen. Vor allem in der christlichen Bevölkerungsmehrheit sind Vorurteile gegenüber Muslimen weit verbreitet. Pater Roberto „Bert“ Layson ist Direktor des IRD und Chef von Schwester Schola. 2000 und 2003, als Regierungstruppen gegen die MILF vorgingen, mussten tausende Menschen aus den umkämpften Gebieten flüchten. Zu dieser Zeit arbeitete Layson bereits in Pikit, einer Kleinstadt im Herzen von Mindanao, die besonders stark vom Konflikt betroffen ist.

Unverständnis der Christen ist besonders schmerzvoll

Laysons Stimme wird leise, sein Blick nachdenklich, als er von dieser Zeit spricht. „Viele der Evakuierten, vor allem muslimische Familien, kamen nach Pikit und wurden auf dem Anwesen unserer Gemeinde untergebracht. Als sie wieder gingen, haben viele geweint. Sie konnten es nicht fassen, dass wir Christen ihnen geholfen hatten.“ Während der Kämpfe ging Layson unter Lebensgefahr in die Kampfgebiete, um Zivilisten zu evakuieren. Er kommunizierte mit den Rebellen und bat sie, Mitleid mit den Menschen zu haben.

Pater Bert Layson engagiert sich seit vielen Jahren für interreligiöse Verständigung auf Mindanao ©Thomas Kuller/MISEREOR

Pater Bert Layson engagiert sich seit vielen Jahren für interreligiöse Verständigung auf Mindanao ©Thomas Kuller/MISEREOR

Für diese Arbeit wurde er heftig kritisiert, vor allem von Christen, die nicht verstanden, warum er sich für die Muslime einsetzte. „Ich werfe ihnen das nicht vor, denn ich habe den Hass selbst erfahren. Mein Mentor, Bischof Benjamin De Jesus, wurde 1997 von muslimischen Rebellen ermordet. Ich entwickelte damals aus der Trauer heraus einen tiefen Groll gegen Muslime. Doch ich habe diesen Hass überwunden“, so Layson. „Wenn du nachts die Flüchtlinge weinen hörst, erkennst du, dass wir alle gleich sind. Das Schmerzvollste ist daher nicht, mitten in der Nacht Zivilisten vor ausbrechenden Kämpfen retten zu müssen, sondern wenn Menschen deinesgleichen dich fühlen lassen, dass sie dein Handeln für falsch halten.“

Mit der Unterstützung MISEREORs setzt sich Bert Layson für interreligiösen Dialog und ein friedliches Miteinander ein. „Die Vorurteile sind das größte Problem. Eine Quelle dafür ist Unwissenheit. Viele der Christen, auch viele der Politiker, kennen die Geschichte Mindanaos nicht, da sie nicht in der Schule gelehrt wird“, sagt Layson. In Fortbildungen erklärt er den Christen die Geschichte des Konfliktes und die legitimen Ansprüche der Muslime. Und die Resonanz ist erstaunlich groß. „Die Teilnehmerzahl ist oft zwei bis dreimal so hoch wie erwartet.“

Medien tragen große Verantwortung

Ortswechsel: Cebu City liegt auf einer Insel der zentralen Visayas-Region. In der lebhaften Großstadt treffe ich in einem Straßencafé den Medienexperten Karlon Rama, ein extrovertierter Mann. Mit seiner kräftigen Stimme übertönt der ehemalige Journalist mühelos den Verkehr und erklärt mir, warum bei der Entstehung und Verfestigung von Vorurteilen die Medien eine große Rolle spielen. Die Medienlandschaft auf den Philippinen sei von hartem Wettbewerb geprägt. Der Konkurrenzdruck bedinge, dass mehr über Konflikt als über Frieden berichtet werde:

„Nachrichten sind ein Geschäft. Anschläge oder Gefechte verkaufen sich gut und schaffen es daher leicht in die Schlagzeilen. Konfliktursachen sind dagegen komplex, Friedensprozesse bürokratisch und langwierig“, so Rama. „Viele Journalisten berichten daher unausgewogen über die verschiedenen Konflikte im Land ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen.“

Karlon Rama von PECOJON bildet Journalisten in konfliktsensibler Berichterstattung aus ©Thomas Kuller/MISEREOR

Karlon Rama von PECOJON bildet Journalisten in konfliktsensibler Berichterstattung aus ©Thomas Kuller/MISEREOR

Nach einem Training bei der MISEREOR-Partnerorganisation Peace and Conflict Journalism Network (PECOJON) fing Rama als Journalist an, sich Gedanken zu machen und seinen Arbeitsstil zu ändern. „Diese Erfahrung hat mir die Augen geöffnet und mein Leben verändert“, sagt er. Heute arbeitet Rama Vollzeit für PECOJON und koordiniert die landesweiten Aktivitäten des Journalistennetzwerks. PECOJON setzt sich für einen verantwortungsvolleren Mediensektor ein und bildet Journalisten in konfliktsensiblem Journalismus aus. So können die Medien zu einem tieferen Verständnis des Konfliktes beitragen und Vorurteile abbauen.

Wieder Kind sein dürfen

Um Vorurteile unter jungen Menschen gar nicht erst entstehen zu lassen, spielt Schulbildung eine zentrale Rolle. „Das gilt insbesondere für die vielen vom Krieg traumatisierten Kinder“, erzählt mir Joy Lascano. Als Direktorin des von MISEREOR geförderten Balay Rehabilitation Center setzt sie sich u.a. für die vom Konflikt traumatisierten Kinder und Jugendlichen auf Mindanao ein. „Viele der jungen Menschen haben gesehen, wie ihre Liebsten getötet wurden. Diese Erfahrungen haben Hass in ihre Herzen gepflanzt.“

Die traumatisierten Kinder müssten zunächst wieder an ein möglichst normales Leben herangeführt werden. „Daher haben wir in den Flüchtlingslagern vor allem psychosoziale Hilfe geleistet, zum Beispiel durch Spielgruppen“, sagt Lascano. „Viele konnten während des Krieges auf Mindanao schon lange nicht mehr Kind sein. Diese Aktivitäten haben bereits eine therapeutische Wirkung auf die Kinder.“

Lisa Ugay und Joy Lascano vom Balay Rehabilitation Center setzen sich u.a. für traumatisierte Kinder und Jugendliche ein ©Thomas Kuller/MISEREOR

Lisa Ugay und Joy Lascano vom Balay Rehabilitation Center setzen sich u.a. für traumatisierte Kinder und Jugendliche ein ©Thomas Kuller/MISEREOR

Nach der Rückkehr der meisten Vertriebenen in ihre Heimatdörfer setzte sich das Menschenrechtszentrum dafür ein, dass psychosoziale Aktivitäten, gewaltfreie Kommunikation sowie Menschen- und Kinderrechte Bestandteil des Lehrplans an den Schulen in der Region Pikit werden. In Zusammenarbeit mit dem Bildungsdezernat bildeten sie Lehrer darin fort, diese Themen in den Unterricht zu integrieren.

„Darüber hinaus haben wir Kinder aus Pikit zu einem Austausch mit christlichen Kindern nach Manila geholt. Sowohl die christlichen als auch die muslimischen Kinder hatten zu Beginn große Vorurteile. Nach ihrer Rückkehr haben muslimischen Kinder jedoch allen erzählt: ‚Wisst ihr was? Die Christen sind gar nicht schlimm! Sie haben mit uns gespielt und mochten uns sogar!‘ Die gleichen Reaktionen gab es auf der Seite der christlichen Kinder“, erzählt Lascano voller Stolz.

Keine Umwege auf dem Weg zum Frieden

Diese und weitere Geschichten aus der Projektarbeit unserer Partner geben Anlass zur Hoffnung, dass sich der Teufelskreis aus Vorurteilen und Gewalt auf Mindanao irgendwann durchbrechen lässt. Wie steht es also um den offiziellen Friedensprozess? Zurück auf Mindanao treffe ich frühmorgens Raissa Jajurie. Die viel beschäftigte Muslima wurde von der MILF in eine 15-köpfige Übergangskommission berufen. Acht Mitglieder wurden von der MILF berufen, sieben von der philippinischen Regierung. Aufgabe der Kommission war es, die verhandelten Friedensvereinbarungen in Gesetzesform zu überführen. Das ausgearbeitete Bangsamoro Basic Law, oder BBL, scheiterte Ende 2015 jedoch vorerst im philippinischen Parlament.

„Seit einiger Zeit hält sich die Gewalt in Grenzen. Wir sind im Friedensprozess noch nie so weit gekommen wie diesmal. Leider konnte die politische Führung der Öffentlichkeit sowie den Senatoren und Abgeordneten in der Hauptstadt Manila das BBL nicht in positiver Weise vermitteln“, sagt Jajurie. Zu einer endgültigen Abstimmung über das BBL ist es vor der Präsidentschaftswahl nicht mehr gekommen. „In der nächsten Legislaturperiode sind wir zurück am Ausgangspunkt. Die Verzögerung ist nicht ungefährlich“, warnt Jajurie. „Die Frustration der Menschen kann zur Abspaltung weiterer, radikaler Splittergruppen führen. Die MILF ist der Friedensvereinbarung nach wie vor verpflichtet, wartet jedoch ab, welchen Kurs die nächste Regierung einschlagen wird.“

Raissa Jajurie arbeitet für die Bangsamoro Transition Commission (BTC) ©Thomas Kuller/MISEREOR

Raissa Jajurie arbeitet für die Bangsamoro Transition Commission (BTC) ©Thomas Kuller/MISEREOR

Am 30. Juni wurde Rodrigo Duterte als Präsident vereidigt. Obwohl er für grobe und bisweilen beleidigende Äußerungen sowie seine Missachtung der Menschenrechte und zweifelhafte Einstellung zu demokratischen Grundprinzipien bekannt ist, knüpfen viele Menschen in Bezug auf den Friedensprozess große Erwartungen an seine Amtszeit. Duterte wird das erste Staatsoberhaupt sein, das aus Mindanao stammt. Ihm wird nachgesagt, die Geschichte und Hintergründe des Konfliktes besser zu kennen als andere Politiker.

„Wir werden auch bei der neuen Regierung intensiv für den Friedensprozess werben. Denn je mehr wir im Frieden schwitzen, desto weniger bluten wir im Krieg“, sagt Bert Layson und appelliert eindringlich: „Wir sind auf dem Weg zum Frieden. Lasst uns keine Umwege machen!“

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Thomas Kuller ist Fachreferent für Friedensförderung und Konflikttransformation bei MISEREOR.

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