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Olympia in einem gespaltenen Land

Als nach 4 Stunden Feierlichkeiten der Interimspräsident Michel Temer die 31. Olympischen Spiele für eröffnet erklärte, kamen sie doch noch: die befürchteten Pfeifkonzerte und Buhrufe. Nach Messungen des brasilianischen Journals „Folha de São Paulo“ erreichten diese einen Geräuschpegel von 105 Dezibel. Teil 2 unserer Olympia-Reihe

Proteste in Belo Horizonte

Proteste gegen die brasilianische Temer-Regierung,

Bereits am Nachmittag und frühen Abend hatten am Copacabana-Strand und rund ums Maracaña-Stadion tausende von Menschen gegen das Megaevent und gegen die zunehmende Ungleichheit im Land protestiert. Die Polarisierung des Landes in zwei Lager hat unter dem Temer-Regime weiter zugenommen. Sozialbewegungen mobilisieren sich, um sich langfristig gegen den aus ihrer Sicht „kalten Putsch“ und einen Angriff auf die brasilianische Demokratie zu wehren.

Im Schatten der Krise

Die politische Krise des Landes, die sich nach der Absetzung von Dilma Rousseff fortsetzt, bestimmt auch die wirtschaftliche Krise des Landes. Die Korruptionsskandale um die Ölfirma Petrobras haben nicht nachgelassen, und der im Land wenig populäre neue Präsident Temer musste bereits in den ersten Wochen drei seiner neu benannten Minister austauschen. Experten befürchten, dass im Jahr 2016 die Arbeitslosigkeit von 11 % auf 13 % steigen wird. Unmittelbar nach Amtsübernahme erhöhte Temer die Löhne der Staatsangestellten um satte 22 Prozent. Die schamlose Selbstbedienung empörte die Nation und internationale Investoren, die weiterhin zögerlich auf den Regierungswechsel reagieren.

Terrorangst…

Die Attentate in Europa und die IS-Propaganda der Terroristengruppe in portugiesischer Sprache haben in ganz Brasilien Angst und Schrecken verbreitet und eine landesweite Debatte über die Sicherheitslage während der Olympischen Spiele ausgelöst. Aus verschiedenen Landesteilen wurden Streitkräfte und Polizisten abgezogen und nach Rio verlagert. Insgesamt sollen es mehr als 85.000 Sicherheitskräfte sein. Unter dem neuen Antiterrorgesetz werden diese nicht nur versuchen, mögliche Attentate zu vereiteln, sondern auch jegliche Art von Menschenansammlung und Protest unterbinden. Über die Stadt kreisende Helikopter, vor der Küste liegende Kriegsschiffe, und an Knotenpunkten und Sportstätten mit schweren Waffen ausgestattete Infanteristen erinnern eher an einen Kriegsschauplatz, als an ein friedliches sportliches Großereignis.

…und Polizeigewalt

Vor einigen Tagen meldete sich der Leiter des brasilianischen Büros von Amnesty International, Atile Roque, zu Wort. Besorgt berichtete er über eine drastische Zunahme an Polizeigewalt. Seinem Bericht zufolge haben sich in den vergangenen Monaten die von Polizisten durchgeführten Ermordungen gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Allein im Juni wurden in der „Cidade Maravilhosa“ (die wunderbare Stadt, wie Rio sich gerne nennen lässt) 49 Menschen durch die Hand von Polizisten getötet, darunter viele unschuldige Opfer. Sozialbewegungen kritisieren die zunehmende Kriminalisierung. Das Verhältnis zwischen Polizeikräften und der lokalen Bevölkerung in den Armenvierteln ist angespannt. Zu häufig wurden unschuldige Menschen auf Grund von Verdachtsmomenten kaltblütig getötet. Besonders betroffen von Diskriminierungen und Polizeigewalt sind junge Männer mit dunkler Hautfarbe.

Lesen Sie auch die anderen Beiträge unserer kleinen Olympia-Reihe:

Der schöne Schein – oder Rio 2016

Brasilien: 200 Abgeordnete gegen den Regenwald

Wie aus Kriegswaisen Olympia-Helden wurden

Über den Autor: Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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