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Kohle bekämpft Energiearmut nicht!

Die Vereinten Nationen sind ein großes, komplexes Gefüge von Organisationen, von denen auch Fachleute meist nur einen Teil kennen. Dass es ein Organ namens “United Nations Economic Commission for Europe“  (UNECE  ) gibt, bei der sich eine Arbeitsgruppe der „sauberen Stromproduktion durch fossile Energieträger“ befasst, war mir bis vor kurzem völlig unbekannt – jedenfalls bis mich die Ankündigung zu einer Veranstaltung  erreichte, die mich fast sprachlos machte.

Lange Stromtrassen führen über die Baracken

Lange Stromtrassen führen über die Baracken informeller Siedlungen. In der Nachbarschaft liegt eines der größten Kraftwerke, und dennoch hat die lokale Bevölkerung keinen Zugang zu Strom. Foto: Oupa Nkosi

Durch das Pariser Abkommen haben Mitglieder der Vereinten Nationen im Dezember 2015 deutliche Hinweisschilder aufgestellt, dass der Weg der Kohle bald zu Ende geht. Dies geschah unter der Klimarahmenkonvention. Gemeinsam mit dem weltweit agierenden Lobbyverband der Kohleindustrie sucht UNECE nun nach Nachhaltigkeit in der Kohlewirtschaft und machen sich scheinbar Sorgen um Energiearmut. Das ist mehr als unglaubwürdig, sagt Misereor gemeinsam mit elf anderen Organisationen, darunter unsere britische Schwesterorganisation CAFOD  und das Forschungsinstiut Overseas Development Institute in einem Diskussionsspapier. Statt „saubere Kohle“ brauchen wir einen Weg raus aus der Kohle und zwar schnell!

Wer gilt eigentlich als „energiearm“?

Weltweit haben ein Drittel der Menschen keinen oder eingeschränkten Zugang zu sauberen, sicheren und verlässlichen Energieträgern, um ihr Essen zuzubereiten. Ein Sechstel hat keinen oder eingeschränkten Zugang zu Strom. Das 7. Nachhaltigkeitsziel fordert „Zugang zu nachhaltiger, bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern“. Diese Energiearmut zu beseitigen, wird viele positive Effekte auf das Leben und Wohlbefinden der betroffenen Menschen haben. Wichtig ist zu verstehen: bei dem Nachhaltigkeitsziel geht es nicht um Energie für Industriebetriebe oder Oberschicht mit dem eigenen Dieselgenerator, sondern um diejenigen Menschen, die heute zu den Ärmsten gehören. Es stimmt nicht, dass der Ausbau von Kohlekraftwerken ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Energiearmut ist.

Indien ist das letzte große Land, für das Kohle noch Wachstum und Modernisierung versprechen soll. Urheber/in: Heinrich-Böll-Stiftung. Creative Commons License LogoDieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Indien ist das letzte große Land, für das Kohle noch Wachstum und Modernisierung versprechen soll. Urheber/in: Heinrich-Böll-Stiftung. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Kohlekraftwerke werden normalerweise nicht gebaut, um den Ärmsten Zugang zu Strom zu verschaffen, sondern um Großbetriebe wie Bergbaufirmen oder die metallverarbeitende Industrie zu versorgen. In vielen Fällen leben insbesondere die als „energiearm“ gelten Menschen ganz nah am Netz – aber dieses führt über ihre Köpfe hinweg und sie haben keinen Stromanschluss. Oder die Gebühren für einen Netzanschluss sind für sie unbezahlbar. Dieses Phänomen gibt es sowohl in Städten, als auch auf dem Land.  Aber besonders in ländlichen Regionen ist es teuer und kompliziert, ein zentrales Netz zu allen Dörfern und Haushalten hin zu bauen. Daher sind dezentrale Lösungen für die Bekämpfung von Energiearmut viel besser geeignet – und diese dezentralen Mikro- oder Minigrids lassen sich viel besser mit erneuerbaren Energien betreiben. Kohle wird weltweit nur sehr selten zum Kochen genutzt. Für dieses weitaus drängendere Problem ist Kohle also überhaupt keine Lösung.

Wir haben mit den erneuerbaren Energien Alternativen!

In Entwicklungsländern müssen dringend die Kapazitäten zu Stromerzeugung ausgebaut werden, keine Frage. Aber nur weil heute noch 42 Prozent des Stroms aus Kohle erzeugt werden, heißt es ja nicht, dass das auch in Zukunft so bleiben muss. Sogar die konservativen Schätzungen der Internationalen Energie Agentur  (IEA) sagen in ihrem aktuellen Bericht voraus, dass in den nächsten 25 Jahren die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen doppelt so stark wachsen wird, wie die Stromproduktion aus Kohle. Im vergangenen Jahr gab es zweimal so viele Investitionen in Energieerzeugung aus Wind, Sonne und Wasser wie in fossile. Erneuerbare Energien werden auch preislich immer attraktiver. Die internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA ) hat berechnet, dass seit 2008 der Preis für Photovoltaik um 80 Prozent niedriger geworden ist, die Kosten für Windanlagen haben sich um 60 Prozent verringert. Diese Preisen sinken weiter und werden damit auch für immer mehr arme Länder bezahlbar.

Mehr Kohle wird Energiearmut noch verschlimmern

Wassermangel in Südafrika

Schon jetzt ist Wasser in der dürren Region Limpopo knapp – die Kraftwerke, die viel davon verbrauchen, werden die Wasserknappheit verstärken. Graphik: infotext-berlin.de

Förderung und Verbrennung von Kohle hat überall schlimme Folgen für Mensch und Umwelt. Besonders in trockenen Regionen saugen Kohlekraftwerke lebensnotwendiges Wasser ab, um ihre Anlagen zu kühlen. In vielen Ländern werden Menschen durch Tagebaue aus  ihrer Heimat vertrieben. Und immer mehr Studien zeigen starke Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Der Ausstoß von Treibhausgasen, ist bei Kohleverstromung besonders intensiv (40% der weltweiten CO2-Emissionen stammen aus der Kohleverstromung) und befeuert den Klimawandel. Wird die Kohleverstromung nicht gestoppt, wird der Klimawandel katastrophale Folgen annehmen. Um aber das Temperaturlimit des Pariser Abkommens „weniger als 2°C und besser nicht mehr als 1,5°C globale Erwärmung“ in realistischer Reichweite zu halten, muss die Kohlenutzung weltweit möglichst schnell gestoppt werden. Für Deutschland fordern wir, 2035 die letzten Kohlekraftwerke still zu legen.

Der Zusammenhang von Kohlenutzung und Klimawandel wurde vielfach bestätigt und daher ist die Behauptung von UNECE und World Coal Association noch infamer! Die Folgen der Kohleförderung und -verstromung setzen diejenigen besonders den Gefahren aus, die mit dem 7. Nachhaltigkeitsziel gefördert werden sollen.

Wir brauchen eine echte Energiewende für alle!

In den nächsten Jahren können die Weichen gestellt werden, dass dieser Kohleausstieg endlich beginnen kann. Gemeinsam mit CAFOD, ODI et al fordern wir daher:

  • Die G20 müssen die Subventionen für fossile Energieträger beenden
  • Alle Formen von staatlicher Unterstützung für den Ausbau von Kohleinfrastrukturen müssen beendet werden, insbesondere die durch Entwicklungsfinanzierung
  • Alle Förderungen für Energieinfrastruktur durch bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit muss in erster Linie die Unterstützung des 7. Nachhaltigkeitsziels zum Ziel haben, den Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie zu gewährleisten
  • Vor allem multilaterale Entwicklungsinitiativen müssen die Rahmenbedingungen schaffen, um die Auswirkungen von Förderung für Energie auf Armutsreduktion und Entwicklung messen und prüfen zu können
  • Entwicklungs- und Schwellenländer sollten Pläne für eine nachhaltige und sozial gerechte Energiewende entwickeln, die mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele und ihren „Nationally determined contributions“ unter dem Pariser Abkommen Hand in Hand gehen und dabei Unterstützungsbedarf definieren
  • Klimarisiken öffentlicher und privater Finanzen müssen transparenter werden

Im kommenden Jahr finden in Nordrhein-Westfalen, einem wichtigen Bundesland der Kohleförderung und -verstromung Wahlen statt. Das Thema Kohleausstieg wird auch hier eine wichtige Rolle spielen bei der Frage: „Wie stellen wir uns das Nordrhein-Westfalen der Zukunft vor“. Antworten darauf müssen wir jetzt finden – und zwar ohne Kohle.


Das Diskussionspapier „Beyond coal“

Beyond coal: scaling up clean energy to fight global poverty (PDF)

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Kathrin Schroeder leitet die Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen bei Misereor.

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