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Pestizideinsatz in Indien: Bayer ignoriert international längst anerkannte Verhaltensregeln

In Punjab, dem Baumwollgürtel Indiens, werden zum Teil hochgiftige Pestizide an Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vertrieben, ohne dass diese angemessen über die Gefahren für ihre Gesundheit aufgeklärt werden. Die Juristin Carolijn Terwindt vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) setzt sich für ihre Rechte ein. Im Interview spricht sie über die Mitverantwortung deutscher Konzerne wie Bayer und fordert die Überwindung doppelter Standards im Handeln globaler Konzerne.

Carolijn Terwindt, ECCHR © Nihad Nino Pušija

Frau Terwindt, Sie haben gemeinsam mit Kleinbauern in Indien bereits mehrere Beschwerden bei verschiedenen Instanzen eingereicht. Worum geht es in Ihren Beschwerden?

In Indien gibt es hunderttausende Plantagenarbeiter und Bauern, die Pestizide in großem Umfang einsetzen. Interviews haben ergeben, dass sich die Bauern oft nicht bewusst sind, wie gefährlich Pestizide sind und dass sie sich beim Einsatz schützen müssen. Nötige Schutzkleidung ist in Indien zudem schwer zu bekommen und teuer. Ebenso fehlen Schulungen in Bezug auf den Umgang mit und die Entsorgung von Pestiziden. In der EU erfordert der Umgang mit bestimmten Pestiziden ein Zertifikat – in Indien kann jeder alles kaufen und versprühen, egal wie giftig. Dadurch, dass die Bauern in ihrer Alltagskleidung und meist barfuß durch die Felder gehen und Pestizide einsetzen, sind sie ihnen direkt ausgesetzt. Sie kommen durch die Kleidung auf die Haut, sie atmen sie ein. Auch ihre Familien sind betroffen, denn die Flaschen liegen überall herum. Die Bauern kaufen die Pestizide selbst und hätten bei den Händlern die Möglichkeit, über mögliche Risiken angemessen aufgeklärt zu werden. Das passiert allerdings nicht. Die Pestizid-Händler werden von großen Firmen wie Bayer und Syngenta autorisiert, sprich, dieses Problem ist den Konzernen bekannt.

Ebenso schwer wiegt, dass gegebene Informationen nur mangelhaft sind. Auf den Flaschen und in den Gebrauchsanleitungen fehlen Informationen zu Risiken für die Gesundheit, sind nicht in den lokalen Sprachen verfasst oder die Schrift ist  zu klein. Plantagenarbeiter haben oft gar keinen Zugang zu Informationen. Sie müssen das Pestizid einsetzen, ohne eine Gebrauchsanleitung zu sehen, eine Flasche, ein Etikett. Sie wissen in den meisten Fällen nicht einmal, was sie da bis zu sieben Tage die Woche für mehrere Stunden einsetzen. Vor allem im Bundesstaat Punjab, wo wir Befragungen durchgeführt haben, gibt es etliche Gesundheitsprobleme, die Ärzte und auch Studien der Regierung auf den Pestizidgebrauch zurückführen.

Um welche Fälle geht es in Indien?

Zum Beispiel um das Pestizid NativoWG75 von Bayer CropScience. Die meisten Pestizide, die in Indien auf dem Markt sind, werden vor Ort von einer Bayer-Tochter produziert. Dieses Pestizid wird allerdings in Deutschland hergestellt und nach Indien exportiert. Wir haben herausgefunden, dass ein Warnhinweis zu Risiken von Nativo für das ungeborene Kind bei der Ausfuhr noch auf den Behältern steht – Bayer exportiert das Pestizid in 400-Liter-„Big Bags“, die  in Indien in kleinere Tüten umverpackt werden – in Indien aber auf der Verpackung fehlt.

© NMAP (New Media Advocacy Project) 

Warum kam es in diesem Fall seitens des ECCHR zu einer Anzeige bei der deutschen Landwirtschaftskammer?

Der Pflanzenschutzdienst der deutschen Landwirtschaftskammer hat laut Pflanzenschutzgesetz die Verpflichtung, den Export solcher Produkte zu überwachen. Spätestens bei Hinweisen, dass es für Mensch, Umwelt oder Tiere Risiken gibt, ist sie ermächtigt, die Ausfuhr zu verbieten oder zu beschränken. Die Vereinten Nationen (UN) haben in der Vergangenheit ausdrücklich betont, dass Unternehmen mit Sitz in Deutschland ausreichend zur Beachtung der Menschenrechte angehalten werden müssen. Wenn die EU einen Warnhinweis über eine mögliche Gefährdung für das ungeborene Kind verlangt, warum gilt das nicht für Indien? Die Anzeige wurde jedoch eingestellt. Die Landwirtschaftskammer sieht nicht den Pflanzenschutzdienst in der Verantwortung, sondern die indische Regierung. Wir sagen: Wo nachweislich die Gesundheit von Mensch und Tier auf dem Spiel steht, kann die Verantwortung für ein Produkt nicht an der eigenen Landesgrenze aufhören. Diese Sichtweise ist in einer Zeit, in der es immer mehr globale Konzerne gibt, nicht mehr angemessen.

Sie richten sich auch direkt an den Konzern.

Für uns ist das ein klarer Fall doppelter Standards. Es ist bei einer derart simplen Entscheidungs- und Lieferkette nicht schwer, bestimmte Warnhinweise auf einem Etikett anzubringen. Es gibt keine nachvollziehbaren Gründe, das nicht zu tun. Eine Klage läuft daher auch gegen den Konzern beim indischen Landwirtschaftsministerium, die Anhörung dazu steht noch aus. Der Konzern hat die die Klage klar zur Kenntnis genommen, will aber bis dato nichts ändern. Und das, obwohl sich Bayer zu höchsten Standards verpflichtet hat. Konzern und Landwirtschaftskammer ignorieren hier ganz klar einen international längst anerkannten Verhaltenskodex der UN, das müssen Zivilgesellschaft und Politik anprangern.


Weitere Informationen

Video „Inadequate Pesticide Management in Punjab — Farmers Testify“ (Englisch) mit Stimmen indischer Bauern

MISEREOR zur Fusion von Bayer und Monsanto

Gelingt die Fusion von Bayer mit Monsanto,  würde „BaySanto“ zum größten Anbieter für Saatgut und Pestizide weltweit; mit enormem Einfluss auf unsere Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt. Bäuerinnen und Bauern weltweit brauchen deshalb nicht nur die Unterstützung durch die Politik, sondern auch durch uns Verbraucherinnen und Verbraucher. Informieren Sie sich unter www.saat-fuer-vielfalt.de über die wachsende Macht der Konzerne und zeigen Sie Ihre Solidarität! Fordern Sie jetzt die EU auf, die Fusion von Bayer und Monsanto abzulehnen. Schicken Sie dafür eine Protest-E-Mail an EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und  fordern Sie sie auf, Konzernmacht zu begrenzen und alternative Landwirtschaftsmodelle zu fördern!

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Rebecca Struck hat als persönliche Referentin von MISEREOR-Chef Pirmin Spiegel gearbeitet.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Es ist zynisch und Menschen verachtend, wie Bayer Plantagenarbeiter durch
    – Nichtversorgung mit Schutzkleidung und durch
    – Vorenthalten von Sicherheitsinformationen
    ins gesundheitliche Verderben treibt und damit Leid auch über deren Familien bringt.

    Auf welchem (Negativ)Niveau bewegt sich das CI bei Bayer!

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