Venezuela steckt seit Monaten in einer schweren Krise. Im aktuellen Machtkampf um die Präsidentschaft äußern immer mehr Venezolanerinnen und Venezolaner ihren Unmut über die sozialistische Regierung durch Proteste. „Der Mut und die Entschlossenheit unserer Partner vor Ort sind bemerkenswert“, sagt Länderreferentin Simone Lehmann im Interview.
Wie ordnen unsere Partner die Lage vor Ort ein?
Simone Lehmann: Der Unmut der venezolanischen Bevölkerung über die Politik Maduros ist kein neues Phänomen, sondern hat sich in den letzten Monaten aufgestaut. Nun erhebt das Volk seine Stimme – es will nicht weniger als endlich eine friedliche Perspektive für sein Land. Juan Guaidó als Interimspräsident und die oppositionellen Kräfte hinter ihm haben dazu geführt, dass sich die Menschen wieder trauen, zu protestieren. Die Mehrzahl unserer Partner warnt auch ausländische Akteure davor, den Konflikt auf Spannungen zwischen Maduro und Trump hin zu vereinfachen. Sie sind sich der geostrategischen Bedeutung Venezuelas aufgrund seines Energiereichtums bewusst. Auch kennen sie die jüngere Geschichte Lateinamerikas gut. Anlass der Proteste in etlichen venezolanischen Städten ist die feste Überzeugung, dass die aktuelle Regierung die Bevölkerung verarmt, ihre Rechte verletzt und sie zwingt, ihr Land zu verlassen.
Wie kritisch sehen MISEREORs Partner den Konflikt?
Simone Lehmann: Unsere Partnerorganisationen und die katholische Kirche beobachten die Gewalteskalation, willkürliche Verhaftungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von bewaffneten, staatlichen Sicherheitskräften mit Sorge. Auch die Androhung von ausländischen militärischen Interventionen. Die Kommission für Frieden und Gerechtigkeit der venezolanischen Bischofskonferenz hat die zwingende Einhaltung der Menschenrechte und die Wahrung der Sicherheit aller Venezolaner gefordert und das Volk gebeten, friedlich auf „diverse Provokationen, denen sie ausgesetzt sind“, zu antworten.
Wie kann es weiter gehen?
Simone Lehmann: Schon während meines Besuches in Caracas im November 2018 setzten unsere Partner ihre Hoffnung in den Dialog und in eine Übergangsregierung, einen friedlichen Übergang zur Demokratie durch den Druck des Volkes, die Freilassung von politischen Gefangenen und in eine juristische Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen einer „abgestuften Amnestie“. Sie sehen Guaidó als Übergangspräsidenten, der diesen Weg mit internationaler Unterstützung jetzt bereiten kann.
Wie unterstützt MISEREOR seine Partnerorganisationen?
Simone Lehmann: Zur Wahrung der Menschenrechte und um die Versorgungskrise der unter Hunger und Krankheit leidenden Bevölkerung lindern zu können, muss jetzt dringend humanitäre Hilfe ins Land gelassen werden. Die Anfang der Woche durch die USA verordneten Sanktionen gegen den staatlichen Ölkonzern PdVSA trägt zu einer Verschärfung dieser Versorgungskrise bei und schadet der Bevölkerung. Wir leisten so gut es geht Nothilfe – vor allem auch für die vielen Geflüchteten in Nachbarländer wie Brasilien. Und wir versuchen, Kirche und Zivilgesellschaft bei einem nachhaltigen Wiederaufbau des Landes zu begleiten. Durch Beteiligung der Zivilgesellschaft muss jetzt sichergestellt werden, dass bei dem von Mexiko und Uruguay vermittelten Dialog-Gesprächen die Interessen der venezolanischen Bevölkerung vertreten werden und eine friedliche Lösung gefunden wird.
Weitere Informationen
Bericht aus Brasilien: Viele Venezolaner ohne feste Unterkunft