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Die Hüter des Regenwaldes

Amazonien ist das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Welt. Es ist 21-mal so groß wie Deutschland und erstreckt sich über neun Länder. Auch das weltweit größte Süßwasserreservoir findet man hier, sowie eine riesige Artenvielfalt. Als „grüne Lunge des Planeten“ ist der Wald wichtig für die Stabilität des globalen Klimas. Doch industrialisierte Landwirtschaft, Bergbau und infrastrukturelle Großprojekte dringen immer weiter vor und zerstören den Regenwald Schritt für Schritt. Davon sind auch die naturverbundenen, indigenen Völker betroffen.

Das erschreckende Ausmaß der illegalen Rodungen zeigt sich erst aus der Luft. © Florian Kopp I MISEREOR

Kawore (31) schaut besorgt über das vorbeirauschende Wasser. Das Schnellboot trägt ihn laut knatternd über einen Seitenarm des Rio Xingu, dessen Flussufer aufgrund der Regenzeit überflutet sind. Hier reihen sich hohe Palmen und andere Büsche und Bäume zu einem grünen, dichten Dickicht aneinander. Ein blau-gelbes Ara-Pärchen fliegt über uns hinweg. Sie sind die ersten vom Aussterben bedrohten Tiere, die ich in freier Wildbahn erlebe. Hier im brasilianischen Amazonas-Regenwald finden die Vögel glücklicherweise noch Lebensraum – doch wie lange noch?

Kazike Kawore Parakaná sorgt sich als Kazike um die Zukunft seines Stammes und seiner Dorfgemeinschaft. © Florian Kopp I MISEREOR

Kawores Gesicht ist geprägt von Sonne und den vielen Stunden, die er im Freien verbringt. Aber auch von Sorgen: Sorgen um seine Kultur, sein Volk und dessen Land. Der junge Familienvater gehört dem indigenen Volksstamm der Parakanã an. Er ist Kazike, also einer der drei gewählten Häuptlinge seiner Dorfgemeinde mit 134 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Parakanã haben sich ihre traditionelle Lebensweise bewahrt. Sie leben in mehreren kleinen Dörfern verteilt auf 773.000 Hektar, mitten im Amazonasgebiet im brasilianischen Bundesstaat Para. Kawore sieht jedoch nicht aus, wie man sich Indigene in Deutschland oftmals vorstellt: Statt einem Federschmuck ziert sein Kopf ein blaues Baseballcap. Er trägt ein Langarmshirt, eine kurze Sporthose und Flipflops.

Invasoren bedrohen den Regenwald

Der Grund seiner Besorgnis taucht hinter der nächsten Flussbiegung auf: Das dichte Grün des Regenwaldes ist am rechten Flussufer unterbrochen. Ein verkohlter Baumstumpf ragt mahnend in den Himmel. Versteckt von einer Reihe Bäume direkt am Flussufer lässt sich trotzdem erkennen, dass hier Holzfäller am Werk waren. Das erschreckende Ausmaß zeigt sich jedoch erst aus der Luft: In den dunkelgrünen Waldteppich wurde ein Loch gerodet, um Weidefläche zu gewinnen. „Diese Holzfäller sind illegale Eindringlinge, die den Regenwald zerstören. Unser Land ist seit 2007 bei der Regierung als Schutzgebiet registriert und gehört uns ganz offiziell. Niemand sonst darf es betreten, nur wir dürfen es bewirtschaften“, erklärt Kawore wütend.

Geschütztes Territorium: Dieses Schild markiert offiziell anerkannte indigene Schutzgebiete wie jenes der Parakanã. © Florian Kopp I MISEREOR

Der junge Häuptling bezieht sich dabei auf Artikel 231 der brasilianischen Verfassung. 1988 erhielten die Indigenen Anspruch auf Anerkennung ihrer Territorien, in denen sie nach ihrer eigenen Lebensform und Kultur leben können. Das Gesetz erkannte damit das ursprüngliche Recht der indigenen Völker an, die in diesen Gebieten bereits vor der Staatsgründung Brasiliens lebten.

Doch die Holzfäller sind nicht das einzige Problem. Nur wenige Flussmeter weiter treffen wir auf Holzflöße. Es sind illegale Goldsucher. Mit roten, blauen und weißen Rohren pumpen sie den Flussschlamm auf eine Rüttelvorrichtung auf dem Floß. Hier wird der Schlamm mit hochgiftigem Quecksilber versetzt, damit sich das Gold besser löst. Am anderen Ende des Floßes wird alles was nicht glänzt wieder in den Fluss gespült – samt Quecksilber, das den Fluss vergiftet und die Fische tötet. Studien zufolge gibt es 453 informelle Goldbergbaugebiete im brasilianischen Amazonas-Regenwald. Im ganzen Amazonasgebiet wurden 2.500 Goldbergbaugebiete registriert. Sie vergiften nicht nur Wasser und Böden, sondern erschließen Flächen durch Rodung und zerstören Lebensräume.

Floß illegaler Goldsucher auf einem Seitenarm des Rio Xingu. © Florian Kopp I MISEREOR

Der Regenwald als Lebensgrundlage

„Die Invasoren sehen im Regenwald nur eine Geldquelle. Rohstoffe, die es auszubeuten gilt“, erläutert Kawore. Für die Parakanã ist der Regenwald jedoch viel mehr: Lebensgrundlage, Ernährungsquelle, Heimat, Identität, einzigartige Natur und Lebensraum ihrer Götter sowie vieler Tier- und Pflanzenarten. Einige Arten gibt es nur hier. Deshalb ist es besonders wichtig, den Wald zu schützen und zu verteidigen. „Goldsuche und Holzabbau interessieren uns nicht. Wir brauchen nur unseren Lebensunterhalt und dafür finden wir fast alles im Wald. Die Regierung hat kein Interesse daran, dass Land zu schützen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, das Land und den Wald zu schützen. Wir müssen es für unsere Kinder und Enkel bewahren“, sagt Kawore bestimmt.

Cleanton Ribeiro: „CIMI unterstützt die Indigenen in ihrem Kampf. Der Beweggrund der Indigenen bewegt uns alle“. © Florian Kopp I MISEREOR

Um die Bedeutung der Indigenen für den Schutz des Regenwaldes weiß auch Cleanton Ribeiro. Er ist Leiter der lokalen Vertretung des Indigenenmissionsrats CIMI in Altamira, ein zentraler Partner des Werks für Entwicklungszusammenarbeit MISEREOR in Brasilien. „Die Indigenen sind die Hüter dieses Landes. Die Territorien, die ihnen gehören, werden von ihnen beschützt. Ohne sie ist der Wald der Ausbeutung schutzlos ausgeliefert.“ CIMI unterstützt die Indigenen in ihrem Kampf für ihre Rechte, den Schutz ihrer Territorien und gegen die Zerstörung des Regenwaldes. Für MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel ist dieser Kampf der indigenen Bevölkerung ein Kampf um den Erhalt unseres Planeten. “Wenn Amazonien die Lunge der Erde ist, dann leiden dieser Planet und seine Bewohnerinnen und Bewohner an einer akuten Lungenentzündung. In absehbarer Zeit kann uns allen die Luft ausgehen.” Deshalb unterstütze MISEREOR CIMI und die Indigenen in ihrem Engagement. Doch ihre Arbeit werde immer schwieriger, berichtet Cleanton, vor allem mit der neuen Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro. „Wir werden immer stärker bewacht und kontrolliert.“

Ausverkauf des Regenwalds

Der sogenannte „Ausverkauf des Regenwalds“ zeichnet sich nicht erst seit Bolsonaro ab. Auch seine Vorgänger Dilma Rousseff (2011-2016) und Michel Temer (2016-2019) haben kaum noch neue indigene Territorien anerkannt und somit geschützt. Stattdessen stieg die jährliche Entwaldungsrate wieder. 2012 trat ein Waldgesetz in Kraft, das zahlreiche Schlupflöcher enthält und die zuvor vollzogenen illegalen Rodungen weitgehend legalisierte.

Bolsonaro kündigte schon im Wahlkampf an, den Amazonas-Regenwald in Brasilien weiter für wirtschaftliche Zwecke zu erschließen und freizugeben. Die Schutzgebiete der Indigenen sind ihm dabei ein Dorn im Auge. „Die aktuelle Regierung taugt nichts“, bekräftigt Kawore. Neue, registrierte indigene Territorien wird es unter dem neuen Präsidenten wohl nicht geben, obwohl sich aktuell 128 Gebiete im sogenannten Demarkierungsprozess und somit kurz vor einer offiziellen Anerkennung befinden. Mehr als 120.000 Indigenen wird somit die Anerkennung ihres ursprünglichen Rechts vorenthalten. Doch auch bereits registrierte Territorien sind nicht sicher. „Er ermutigt die Menschen, in unsere Gebiete einzudringen und wir merken, dass es immer mehr Eindringlinge werden. Wir müssen also wachsam bleiben. Auch wenn unser Land bisher noch von der Gesetzeslage geschützt wird“, berichtet Kawore.

Zukunft Regenwald

Ich frage ihn, ob es nie eine Option für ihn war, in die Stadt zu gehen: „Ich habe darüber nachgedacht. Aber das Leben in der Stadt wäre sehr schwer für mich. Meine Kultur, meine Identität, ist so tief in mir verwurzelt. Das wäre nicht gegangen. Außerdem ist es ein schlechter Ort, um Kinder aufwachsen zu lassen.” Wieder zurück im Dorf demonstriert Kawore mit anderen Parakanã, was ihre Kultur ausmacht. Sie haben ihre eigene Sprache, sie zeigen uns ihre Tänze und Lieder oder wie man mit Pfeil und Bogen umgeht. “Der größte Unterschied zwischen meiner und der brasilianischen Kultur ist der enge Kontakt mit der Natur. Wir leben hier sehr eng von und mit ihr. Deshalb sorgen wir uns auch um sie und engagieren uns, um sie zu bewahren“, betont der junge Dorfführer.

Trotzdem wird er die nächsten sechs Jahre überwiegend in Altamira leben, einer Stadt circa 400 Flusskilometer von seinem Dorf entfernt. Denn er und seine Frau werden gemeinsam mit anderen Indigenen ihres Stammes in Altamira die Universität besuchen: Portugiesisch, interkulturelle Kommunikation, indigene Kultur und Geografie stehen unter anderem auf dem Lehrplan. Sie werden die ersten im Dorf mit akademischem Abschluss sein. „Ich möchte mich darauf vorbereiten, mein Volk in dieser schwierigen Zeit weiter und noch besser unterstützen zu können! Kultur kann man nur bewahren, wenn man sie praktiziert.“ Er betont: „Wir sind es unseren Kindern und Enkelkindern schuldig, den Regenwald und unsere Kultur für sie zu bewahren“.

Dieser Artikel erschien zuerst im Straubinger Tagblatt am Samstag, 25. Mai 2019

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Corinna Würzberger ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei MISEREOR.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Über die enorme Größe war ich mir gar nicht bewusst. Er erstreckt sich über neun Länder, das kann man sich gar nicht vorstellen. So viel unberührte Natur kommt auch nicht mehr oft vor.

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