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Amazonas-Synode: Katakombenpakt für das Gemeinsame Haus

Für eine Kirche mit einem amazonischen Gesicht, arm und dienend, prophetisch und samaritanisch

Klingt erst einmal ungewöhnlich, finde ich. „Katakombenpakt“, was heißt das? Der Ort des Pakts – die Domitilla-Katakomben geht bis in die ersten Jahrhunderte des Christentums zurück. Und auch der Hintergrund des Pakts ist geschichtsträchtig. Was es damit auf sich hat, ist mehr als spannend.

Am 20. Oktober trafen sich in aller Herrgotts Frühe die Kardinäle Claudio Hummes und Pedro Barreto, wichtige Synodenmitglieder sowie viele, die die Amazonien-Synode vor Ort mit Gebet und Side-Events begleiten.  Gemeinsam fuhren wir zu den Domitilla-Katakomben. Hier feierten wir Eucharistie und unterzeichneten den „Pakt für Amazonien“.

Dazu aber gleich mehr. Zunächst einmal der Hintergrund, noch einmal spulen wir zurück und blicken auf den Katakombenpakt kurz vor Ende des II. Vatikanischen Konzils (1962-65): am 16. November 1965 sprachen sich rund 40 Bischöfe für eine „dienende und arme Kirche“ aus. Später unterzeichneten weitere Bischöfe das Versprechen, sodass dieses letztendlich über 500 Signaturen verzeichnet. Es lohnt sich, den Gesamttext von 1965 nachzulesen .

Das Vermächtnis der damaligen Bischöfe, unter ihnen nicht nur der uns sehr am Herzen liegende Dom Helder Camara, sondern auch der damalige Essener Weihbischof Julius Angerhausen, war deutlich: Sie wollten eine „Kirche der Armen“ und versprachen, ihr in Hingabe und Bescheidenheit zu dienen. Zeitlebens waren die Themen Weltkirche und Mission, Flucht und Migration sowie Frieden und Gerechtigkeit stete Begleiter für viele der Unterzeichner, so auch für Angerhausen. Er gilt heute noch als „kleiner Bischof mit Weitsicht“, ihm ging es um eine glaubwürde Kirche. Nichts ist aktueller denn je, nichts dringlicher!

Die Gelöbnisse von 1965, dreizehn an der Zahl, haben auch heute noch beachtenswerte Relevanz. Die Thesen des originalen Domitilla-Pakts beinhalteten bereits eine einfache Lebensform und Verzicht nicht nur auf Status, sondern auch auf Titel, Bezeichnungen und Externa. Sie versprachen enge Zusammenarbeit mit Laiinnen und Laien und den Dienst an wirtschaftlich Benachteiligten. Dabei wollten sie „alle Frauen und Männer gleichermaßen im Blick haben“! Eine Herausforderung – und deshalb hier ungekürzt zitiert – erscheint mir der 10. Absatz des Eides: „Wir werden alles dafür tun, dass die Verantwortlichen unserer Regierung und unserer öffentlichen Dienste solche Gesetze, Strukturen und gesellschaftlichen Institutionen schaffen und wirksam werden lassen, die für Gerechtigkeit, Gleichheit und gesamtmenschliche harmonische Entwicklung jedes Menschen und aller Menschen notwendig sind. Dadurch soll eine neue Gesellschaftsordnung entstehen, die der Würde der Menschen- und Gotteskinder entspricht (vgl. Apg 2,44f; 4,32-35; 5,4; 2 Kor 8 und 9; 1 Tim 5,16).“ Dieser Absatz ist über fünf Jahrzehnte alt, aber er beinhaltet genau das, wofür wir uns heute noch einsetzen. Und: er ist in vielerlei Hinsicht auch das, wofür die Missionarin Dorothy Stang (1931-2005), der Missionar Rudolf Lunkenbein (1937-1976), der Umweltaktivist Chico Mendes (1944-1988) sowie die Indigenen Simão Bororo (1937-1976) und Emyra Wajapi (1951-2019) auf brutale Art und Weise ums Leben kamen. Ihre Biographien mit ihren individuellen Lebenszeugnissen berühren und inspirieren.

Der Folgeabsatz (Absatz 11) des 1965-Katakombenpakts erweiterte die Ziele auf die internationale Ebene und ruft dazu auf, „gemeinsam dafür einzutreten, dass wirtschaftliche und kulturelle Strukturen geschaffen werden, die der verarmten Mehrheit der Menschen einen Ausweg aus dem Elend ermöglichen, statt in einer immer reicher werdenden Welt ganze Nationen verarmen zu lassen“. Auch das ist an Aktualität kaum zu überbieten.

In der Amazonien-Synode 2019 geht es genau darum, was 1965 schon Thema war.

Katakombenpakt für das Gemeinsame Haus

In einem vorherigen Blogbeitrag hatte ich von Dom Roque Paloschi, Erzbischof von Porto Velho (Rondônia/Brasilien) und Präsident des Indigenenmissionsrats Brasiliens, berichtet. Bereits zu Beginn der Synode im Rahmen einer Podiumsdiskussion hatte er sich auf den Pakt in den Domitilla-Katakomben vom Jahre 1965 bezogen, in der Hoffnung, dass dieser erneuert würde. Seine Hoffnung sollte sich heute erfüllen. Sein Versprechen löste er heute zusammen mit vielen Synodalen ein. Der Pakt wurde jedoch nicht nur erneuert und bestärkt, sondern vielmehr erweitert. Es lohnt, den „Katakombenpakt für das Gemeinsame Haus“ für eine Kirche mit einem amazonischen Gesicht, arm und dienend, prophetisch und samaritanisch“ in seiner Gänze zu lesen. Präzise und klar ist das Versprechen, konkret seine Themen: von dem Einsatz für den Amazonas-Regenwald  „angesichts der extremen Bedrohung durch die globale Erwärmung und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen“  bis hin zur Erneuerung der „vorrangigen Option für die Armen“, von der Anklage gegen „alle Formen von Gewalt und Aggression“ gegen die Urvölker Amazoniens bis hin zur Verpflichtung eines nachhaltigen Lebensstils, der besonders die „Fürsorge für die Schwächsten und Ausgeschlossensten“  berücksichtigt.

Mit dem heutigen Katakombenpakts erfuhr die Amazonien-Synode vermutlich eine weitere historische Dimension. Mehr als passend, dass wir über ein halbes Jahrhundert später – angesichts der Not in Amazonien, ein kommunales Versprechen geloben. Ganze 54 Jahre später und während drei Wochen – tagt der Papst zusammen mit über 184 Synodenmitgliedern und weiteren 25 Expertinnen und Experten, 55 sogennannten „Auditoren“ (Hörerinnen und Hörer) und zwölf „speziellen Gästen“ (invitati speciali) zum Thema Amazonien. Wir haben berichtet. Der Katakombenpakt 2019 bringt die Themen zusammen, die Kern der dreiwöchigen Synodendiskussion sind. In allen Interviews, Gesprächen und Diskussionsrunden wird deutlich, welch immense Missstände in Amazonien herrschen, verursacht auch und vor allem durch fehlende Gesetze und Verstöße gegen die Menschen- und Landrechte, die die jeweils nationalen Regierungen, aber auch die internationalen Unternehmen zu verantworten haben.

Der 78-jährige brasilianische Theologe José Oscar Beozzo, Kirchenhistoriker und langjähriger Freund von Dom Helder Camara, ist in Rom mit dabei. Er war federführend für die Zeremonie in den Domitilla-Katakomben am 20. Oktober 2019. Der 1965er Pakt sei die Basis, davon ist Beozzo überzeugt, dieser sei die erste kollektive Rezeption des II. Vatikanischen Konzils gewesen. Der Pakt bedeutete damals eine Um- und Hinkehr zu den Armen und ein persönliches Engagement, welches mit tiefgreifenden Folgen im Sinne des Konzils einherging. Für Beozzo ist klar: „Die mehr als 500 Seiten der 16 konziliaren Dokumente fanden in den 13 konkreten Punkten des Pakts von 1965 eine pastorale und geistliche Zusammenfassung: arm und dienend sich den Ursachen und der Bekämpfung der Armut anzunehmen, auf jegliche soziale, politische und wirtschaftliche Macht zu verzichten, um wie Jesus eine Beziehung zum Volk aufzubauen.“

Mit dem Inhalt des 2019er Amazonien-Pakts hat sich Beozzo schon lange auseinandergesetzt Mit Sorgfalt und viel Engagement hat er den Pakt für heute mit vorbereitet. Es lohnt, Beozzo zuzuhören: „Der neue Bund der Katakomben ist ein Bund für das Gemeinsame Haus – für eine Kirche mit einem amazonischen, armen und dienenden, prophetischen und samaritanischen Antlitz. Dieser will dem ersten Bund Kontinuität verleihen. Der Fokus liegt auf dem Engagement für indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften wie die Quilombolas, Familien der Flussanrainer und Migranten. Es geht um den Wandel von einer Kirche, die lediglich die Gemeinden besucht zu einer Kirche der Präsenz und des konstanten Präsent-Seins. Auch und vor allem geht es um die Anerkennung der Dienste der Frauen in den Gemeinden sowie die Verpflichtung, dass in keiner Gemeinde neben dem Brot des Wortes und der Bibel die Eucharistie fehlen darf.“ Gerade deshalb ist es so schön, dass der neue Bund dort stattfand, wo auch der Pakt von 1965 besiegelt wurde: in den Domitilla-Katakomben. Und das Neue daran ist, so Beozzo: „Der Bund kann sowohl von Bischöfen als auch von allen Getauften, die sich für diese neuen Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie einsetzen wollen, unterzeichnet werden“.

In Deutschland wird das Thema der Synode für Amazonien ebenso vorangebracht. So hielt der Theologe Prof. Dr. Stefan Silber, u. a. Koordinator der Plattform Theologie der Befreiung, kürzlichen einen Vortrag über die Amazonasregion und die Synode, ihre Hintergründe und die Ziele. In Bezug auf den Katakombenpakt von 1965 sagt Silber, dass die Synode in vieler Hinsicht nahtlos an diesen anknüpft. Als Theologie-Professor an der Katholischen  Hochschule NRW-Paderborn betont er: „Was am Ende des Konzils in der Abgeschiedenheit der Domitilla-Katakombe stattfand, vollzieht sich aber heute unter den Augen der Weltöffentlichkeit: Bischöfe erklären sich – stellvertretend für die ganze Kirche – solidarisch mit den Armen, Ausgegrenzten und Beiseitegewischten. Die Bedrohungen der Amazonasregion werden zum Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Kirche.“ Silber, der übrigens den Erwin-Kräutler-Preis 2017 erhielt,  stellt den Bezug zur Kirche in Deutschland her, sie müsse „amazonischer“ werden: „Die gesamte Kirche muss von der integralen Ökologie und der menschlichen Vielfalt dieser fruchtbaren und bunten Region lernen, die Kirche selbst als vielfältigen, ganzheitlichen, lebendigen Organismus zu betrachten, der zum Erhalt des Gemeinsamen Hauses für die gesamte Menschheit beiträgt.“

Am Ende der Liturgie des 2019er Pakts, übergab der Zelebrant Kardinal Hummes dem Xingu-Bischof Dom Erwin Kräutler die Stola, die er während der Eucharistiefeier trug: „diese Stola gehörte einst Dom Helder Camara und ich möchte sie Dom Erwin überreichen“. Eine Symbolik, die am Weltmissionssonntag ein besonderes Gewicht bekommt und eine Kontinuität mit sich bringt, die die Herzen rührt. Auf dass die Sätze von Kardinal Hummes, die Teil des 2019er Pakts sind, auch postsynodal umgesetzt werden: „Diese Synode ist wie ein Tisch, den Gott für seine Armen bereitet hat und der uns bittet, diejenigen zu sein, die am Tisch dienen“.

Hiermit weisen wir nochmals auf die postsynodalen Veranstaltungen hin:

Die Veranstaltung am 28. Oktober in Frankfurt sowie die Fachtagung in Würzburg vom 6.-8. November und die öffentliche Tagung am 9. November ebenso in Würzburg, an letzteren beiden wird Prof. Dr. Stefan Silber mit dabei sein. Weitere Veranstaltungen finden Sie hier, die Materialien stehen unter folgendem Link.

Sie sind eingeladen, mit uns den Katakomben-Pakt für Amazonien zu besiegeln und sich für bessere Lebensbedingungen und eine nachhaltigere Entwicklung im Amazonasgebiet einzusetzen.

Hier ein Lied speziell komponiert für den Pakt für das Amazonasgebiet:

Musiker Antônio Cardoso, Komponist des Liedes zum Katakombenpakts für Amazonien zusammen mit Elza Nâmnâdi, Führungskraft des indigenen Volkes der Xerente im Bundesstaat Tocantins / Brasilien © Antônio Cardoso


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Regina Reinart arbeitet als Länderreferentin Brasilien bei Misereor.

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    Die Erneuerung des Katakombenpakts ist für alle Menschen, die die Amazonassynode im Herzen und im Gebet begleiten, eine große Freude. Mein Zwillingsbruder und ich waren selbst am 12. und 13.10. in Rom und haben uns mit einigen teilnehmenden brasilianischen Bischöfen getroffen. Seit 2001 reisen wir jedes Jahr in die Amazonasregion und kennen die Menschen und ihre Sorgen und Nöte. Unser Onkel Reinhard Pünder war Generalsekretär bei Dom Helder Camara und ist von im zum ersten Bischof der Diözese Coroatá in Maranhao geweiht worden.

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