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„Die Mädchen haben wieder Zukunftsträume“

Alleine in Nairobi gibt es aktuell rund 60.000 Straßenkinder. Das Rescue Dada Centre kümmert sich besonders um Mädchen und junge Frauen, die auf der Straße leben. Leiterin Mary Gatitu im Gespräch über die Situation von Straßenkindern, die wichtige Arbeit des Zentrums und ihre Visionen für das Projekt.

Mary Gatitu leitet seit 2005 das Rescue Dada Centre in Nairobi. Foto: Dominik Butzmann.

Mary, Sie sind die Leiterin des Rescue Dada Centres, das seit 1992 Partner von MISEREOR ist. Wie würden Sie die Arbeit des Projektes in wenigen Sätzen beschreiben?

Mary Gatitu: Das Rescue Dada Centre ist ein Projekt der Erzdiözese Nairobi, das im Jahr 1992 gegründet wurde. „Dada“ bedeutet „Gottes Kind“ und „Rescue“ kommt daher, dass wir die Mädchen aus einem Umfeld des Missbrauchs retten. Dieser Missbrauch findet auf den Straßen Nairobis statt und kann physisch, emotional oder sexuell sein. Wir nehmen die Mädchen im RDC auf. Dort können ihre körperlichen und emotionalen Wunden heilen und sie dürfen zur Schule gehen. Dazu gibt es zwei Programme. Im „Kinder-Schutz-Programm“ bekommen die Mädchen psychologische Beratung, emotionale Betreuung und können zur Schule gehen. Im „Empowerment“-Programm unterstützen Berater*innen von uns die Familien der Mädchen dabei, durch kleine, einkommensschaffende Maßnahmen für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen zu können. Unsere Mädchen sind 5 bis 16 Jahre alt. Wir arbeiten jährlich mit 70 von ihnen zusammen und ebenso vielen Familien. Nach einem Jahr kehren sie entweder in ihre Familien zurück, oder wir suchen Pflegefamilien. Seit 1992 konnten wir schon über 1000 Mädchen zu einem besseren Leben verhelfen.

Sie arbeiten mit jungen Mädchen, die zuvor unter schlimmsten Bedingungen auf der Straße leben mussten. Uns in Deutschland fällt es schwer, sich solche Lebensumstände vorzustellen. Wie würden Sie jemandem hier die Situation und Problematik vor Ort beschreiben?

Mary Gatitu: Das Problem in Kenia ist, dass Menschen aus ländlichen Gebieten in die Stadt ziehen, um dort nach Arbeit zu suchen. Sie siedeln sich zunächst in den prekären Stadtgebieten an. Es ist aber sehr schwer, dort einen Job zu finden. Sie sind nicht in der Lage, ihre Kinder zu unterstützen. Die Kinder gehen deshalb auf die Straße, müssen sich dort darum sorgen, dass sie genug zu essen bekommen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Anzahl der Straßenkinder gestiegen ist. Momentan zählen wir rund 60.000 von ihnen allein in Nairobi.

Sie möchten den Mädchen im RDC eine bessere Zukunft geben. Inwiefern ist es möglich nachzuverfolgen, wie sie sich nach ihrer Zeit im RDC weiterentwickeln?

Mary Gatitu: Für unser Projekt ist es sehr wichtig, dass wir sehen, wie wir wirken. Wir machen Arbeit, deren Wert wir auch unseren Unterstützern vermitteln möchten. Deshalb haben wir sogar eine Abteilung, die sich mit dem Monitoring unserer ehemaligen Mädchen befasst. So sind wir in der Lage zu dokumentieren, wie sich das Leben der Mädchen entwickelt. Wir zeigen, dass eine Wandlung vom Straßenkind zu einer wichtigen Person in der Gesellschaft möglich ist. Ein Mädchen, Helen, ist nun zum Beispiel Pharmazeutin in einem Krankenhaus. Wir sind sehr stolz auf sie, darauf, dass sie von der Straße gekommen ist und nun einen Job als Pharmazeutin und eine Familie mit zwei Kindern hat. Wir führen auch jedes Jahr eine Evaluierung wichtiger Fälle durch. Einmal hatten wir ein Mädchen bei uns, das von einem Verwandten sexuell missbraucht wurde. Wir haben für sie eine Pflegefamilie gesucht und konnten sie retten. Sie geht nun zur Universität in Mombasa und steht kurz vor ihrem Abschluss in Business-Management.

Sind es diese Momente, diese Erfahrungen, die sie motivieren, ihre Arbeit fortzuführen? Was treibt Sie an?

Mary Gatitu: Es ist auch meine eigene Geschichte, die mich immer weiter motiviert. Ich wurde von einem Elternteil großgezogen und habe nur durch Unterstützung meinen Schulabschluss machen können. Dies hat mich dazu gebracht, anderen Kindern, die es ebenfalls schwer haben, zu einem besseren Leben verhelfen zu wollen. Ich wollte ihnen zeigen, dass sie selber zu diesem besseren Leben beitragen können. An dieser Stelle möchte ich der Erzdiözese Nairobi dafür danken, dass ich im RDC arbeiten kann. Seit 2005 bin ich nun Leiterin des Projektes und konnte schon viele Kinder und ihre Familien unterstützen. Für mich ist es sehr bereichernd zu sehen, wie sich das Leben der Mädchen zum Positiven verändert, wie sie zu großartigen Personen in der Gesellschaft werden.

Rund 70 Mädchen und ihre Familien begleitet das Rescue Dada Centre jährlich. Hier finden sie Geborgenheit, eine Unterkunft und Ausbildungsmöglichkeiten. Foto: Kathrin Harms/MISEREOR.

Sie strahlen eine große Energie aus, sind sehr engagiert. Gibt es auch Momente, in denen die Arbeit für Sie emotional belastend ist? 

Mary Gatitu: Im Februar / März, wenn wir die Mädchen retten, belastet mich die Arbeit emotional schon. Denn die Mädchen kommen gerade von der Straße, sie sind physisch und sexuell missbraucht worden. Ich weiß, was sie erlebt haben, und sie trauen sich nicht, sich zu öffnen. Das raubt mir viel Energie. Im Januar jedoch haben sie bereits einen großen Teil ihrer Rehabilitierung hinter sich. Es ist ein guter Monat für mich: Ihr Leben hat sich bereits verbessert, die Mädchen haben wieder Zukunftsträume. Wenn ich unsere 70 Mädchen und ihre Entwicklung hin zu selbstbewussten jungen Personen sehe, gibt es mir viel Kraft.

Ihren Erzählungen lassen die Hoffnung zu, dass viele der Mädchen eine bessere Zukunft vor sich haben. Gestern hatten Sie die Möglichkeit, im Rahmen der Kampagne „Entwicklung wirkt“ mit Max Mutzke ein Video zu drehen, in dem es genau um diese Frage geht: Was denken Sie, wirkt Entwicklung?

Mary Gatitu: Entwicklung wirkt, denn nur wenn du siehst, dass dein Engagement am Ende Früchte trägt, wirst du mit der Arbeit fortfahren. Dies treibt einen an. Wir gehen unseren Aufgaben mit Leidenschaft nach, bieten den Mädchen und ihren Familien Unterstützung. In Zukunft möchten wir die Anzahl der Straßenkinder reduzieren. Deshalb haben wir auch unser Empowerment-Programm. Die Familien werden dazu befähigt, sich selbst zu versorgen. Wir möchten dazu beitragen, dass sich die Situation verbessert.

Mary, vielen Dank für das Gespräch. Zum Abschluss habe ich noch eine letzte Frage: Was ist ihr Wunsch für die Zukunft des RDC?

Mary Gatitu: Mein Wunsch ist, dass wir uns eines Tages so vergrößern können, dass wir statt 70 bis zu 200 Mädchen aufnehmen können. Wir werden weiterhin Mädchen von der Straße bestärken und unterstützen. Wir helfen ihnen zu erkennen, dass sie selbst Licht in sich tragen. Sie können zur Schule gehen und sich auf den Weg in eine helle Zukunft machen, so wie jedes andere Kind.


Geschrieben von:

Ansprechtpartnerin

Jana Echterhoff ist Länderreferentin für Lateinamerika bei Misereor.

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