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Menschenrechte im Tschad: ganz oder gar nicht

Es ist nicht so, als könnte man im autoritär und autokratisch geführten Tschad, auf dessen Gebiet die geographische Mitte des afrikanischen Kontinents liegt, nicht seine Meinung äußern. Eine Zeitung wie N’Djaména bi-hebdo oder ein Sender wie das private Radio FM Liberté prangern Missstände im Land durchaus scharf an. Desgleichen gilt für Akteure der Zivilgesellschaft. Aber wehe, jemand trifft den wunden Punkt und zieht sich den Zorn der Staatsgewalt zu!

Erfahren musste dies vor kurzem Ali Hamat Achène aus Mongo im Zentrum des Tschad, Korrespondent des privaten Radiosenders Dja FM. Auf Facebook hatte er das Rechtswesen seines Landes als „Justiz der Schande“ bezeichnet, in dem sich endlos hinziehende Gerichtsverfahren und widerrechtliche Freilassungen aus Gefängnissen gegen Geldzahlungen an der Tagesordnung seien. Solche Behauptungen sind durch das Recht auf Meinungsäußerung in der Verfassung des Tschad gedeckt.

Wie auf einer Galeere: zusammengepferchte Häftlinge in einer cellule bateau im Gefängnis Amsinéné, N‘Djamena. © Mahamat Nour Ibeodu

Bittere Ironie: Achènes Einschätzung vom Rechtswesen seines Landes bestätigte die Staatsgewalt dadurch, dass sie ihn wegen seines Posts verhaftete, ihn auf dem Fußboden der Gendarmerie übernachten ließ und am nächsten Tag einem Untersuchungsrichter vorführte. Dieser zwang Achène dazu, eine Erklärung zu unterschreiben, die er nicht lesen durfte. Daraufhin wurde er in eine Gefängniszelle mit etwa 40 (!) anderen Häftlingen gesteckt. Am 9. Tag seiner Haft, vor Gericht gestellt, wurde er zu 6 Monaten Gefängnis ohne Bewährung wegen Diffamierung verurteilt.

Nach 19 Tagen erreichte Achènes Anwalt, der auf einen Verfahrensfehler plädiert hatte, unerwartet die Freilassung seines Klienten. Der wahre Grund für diese Wendung aber könnte in einem bekannten Muster liegen: Der Staat schüchtert ihm nicht genehme Personen durch eine kürzere oder längere Haft ein, raubt ihnen während dieser Zeit die Erwerbsgrundlage und greift ihre Gesundheit an. Ich konnte Achène am 17.1., drei Tage nach seiner Freilassung in Mongo treffen: Er war geschwächt durch Malaria, Schwindel und Herzklopfen sowie den Biss eines Skorpions in seiner Zelle. Vor wenigen Tagen sagte mir Achène am Telefon, er habe gleich nach seiner Haft Typhus entwickelt.

Ähnliche Erfahrungen wie Achène musste der international bekannte Aktivist für die Menschenrechte Mahamat Nour Ibedou machen. Als Präsident des Vereins Convention tchadienne de Défense des Droits des Hommes (CTDDH) hatte er den Neffen des Präsidenten öffentlich beschuldigt, im Osten des Landes Gewalttaten begangen zu haben. Anfang Dezember wurde Ibedou ebenfalls wegen Diffamierung verhaftet, aber auch wegen Mordes und Beihilfe zum Mord. Was den letzten Punkt anging, so beruhte er auf einem offensichtlich und grob gefälschten E-Mail-Wechsel zwischen einem des Mordes angeklagten ehemaligen Mitglied der CTDDH und Ibedou.

Über einen Monat musste Mahamat Nour Ibedou, wie er mir im Büro seiner CTDDH erzählte, auf 10 x 5 Metern zusammen mit 14 anderen Häftlingen im Gefängnis Amsinéné in der Hauptstadt N’Djamena verbringen. Hierbei habe es sich um eine sogenannte „V.I.P.-Zelle“ dieses für 350 Häftlinge angelegten Gefängnis gehandelt, in dem sich tatsächlich ca. 2.800 Menschen aufhielten. Uriniert wird jedoch in leere Wasserflaschen, ihren Kot scheiden die Häftlinge in einen Rinnstein aus, Maden kriechen durch die Zelle, der Gestank ist unerträglich. Die Nahrung, die gereicht wird, war laut Ibedou ungenießbar; außerdem befürchtete er, vergiftet zu werden. So habe er nur das zu sich genommen, was ihm seine Familie bei ihrem täglichen Besuch mitbrachte.

Im Unterschied zu dem wenig bekannten jungen Ali Hamat Achène haben Journalisten des Tschad wie internationale Medien und Menschenrechtsorganisationen Ibedous Fall aufmerksam verfolgt. Schließlich wurde Ibedou nach 37 Tagen am 8.1.2020 auf freien Fuß gesetzt. Zwar wurde der unhaltbare Anklagepunkt des Mordes und Beihilfe zum Mord fallengelassen, derjenige der Verleugnung aber bleibt bestehen und hängt weiter als Damoklesschwert über Ibeodu. Einschüchterung und Zermürbung einer missliebigen Person mögen auch bei ihm die Absicht der Staatsmacht hinter der Verhaftung gewesen sein. Achène und Ibedou – zwei Fälle von Menschen im Tschad, die über Missstände im Land reden und dafür verfolgt werden. Was aber ist mit den Häftlingen, die – schuldig oder unschuldig – unter schwer vorstellbaren Bedingungen mitunter jahrelang in ihren Zellen vegetieren, deren Dossiers verlorengegangen sind und die von keiner Öffentlichkeit unterstützt werden?

Über den Autor: Frank Kahnert leitet die MISEREOR-Dialog- und Verbindungsstelle Tschad.


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