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Die Coronakrise – unaufhaltbare Katastrophe oder notwendige Unterbrechung?

MUT STATT ENTMUTIGUNG
Seit einigen Wochen befindet sich die Welt durch das Coronavirus in einem Ausnahmezustand. Das, was zunächst nach einem Problem einer chinesischen Provinz aussah, weit entfernt von unserer Lebenswirklichkeit, verbreitete sich mit rasender Geschwindigkeit über den ganzen Globus und bricht immer mehr in unser Leben ein. Gefühle von Angst und Panik machen sich breit angesichts dieses neuen noch unbekannten Virus und der Ungewissheit über das tatsächliche Ausmaß an gesundheitlichen Gefahren, die es mit sich bringt.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer von MISEREOR.

Da ist neben der Angst um nahestehende Menschen auch die Angst vor dem Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems und einem wirtschaftlichen Kollaps. Kontrollverlust, Unsicherheiten, langfristig noch nicht wissen wie es weitergeht, nur „auf Sicht fahren“ wie es heißt, sind Ausdruck eines Zustands, den westeuropäische Gesellschaften in der Weise kaum mehr kennen und umso mehr in Irritation versetzten. Neben Zeichen der Solidarität und Aufmerksamkeit machen sich Ohnmacht und Hilflosigkeit breit und vereinzelte sogenannte Hamsterkäufe sind wohl eine der Möglichkeiten diesem Gefühl der Machtlosigkeit irgendetwas entgegen zu setzen und sich inmitten dieses unkontrollierbaren Krisenszenariums ein Stück weit handlungsfähig zu fühlen.

Eine Zeit des Innehaltens

Die verschiedenen plötzlich eingeführten notwendigen Schutzmaßnahmen sogenannter „sozialer Distanz“ bringen das Alltagsleben in vielerlei Hinsicht zum Stillstand. Die geforderten konsequenten Selbstbeschränkungen erfordern eine radikale Unterbrechung unseres alltäglichen Miteinanders. Krisen sind immer Momente des Unterbrechens, des notwendigen Innehaltens, sie spitzen zu, was lange schon mehr oder weniger sichtbar zu erspüren war. Und so demaskiert die Coronakrise nicht nur unser unnachhaltiges, prekäres globales Wirtschaftssystem, welches den fortschreitenden Tod der Natur und das Sterben tausender Menschen sei es durch Kriege, unzureichende Gesundheits- und Versorgungssysteme oder gefährliche Fluchtwege in gewisser Weise normalisiert hat, sondern diese Unterbrechung gewohnter selbstverständlicher Abläufe lädt uns auch ein innezuhalten und über unsere Lebensweise nachzudenken und Umkehrprozesse anzustoßen.

Der Ende letzten Jahres verstorbene Theologe Johann Baptist Metz hat Unterbrechung als kürzeste Definition von Religion bezeichnet. Er verstand Religion nicht als Privatsache, als Trost oder Bemühung um das eigene Seelenheil, sondern er betonte die politische Verantwortung von Christ*innen. Das Faktische soll unterbrochen werden, um die Leidensgeschichten zu hören und den Schrei Gottes in ihnen wahrzunehmen. Eine Mystik der offenen Augen ist gefragt, die eben diese Leidensgeschichten der Menschen, aber auch der Schöpfung insgesamt in den Mittelpunkt rückt, und gerade auch in Zeiten der Coronakrise die Sensibilität für die Vulnerabelsten aufrecht erhält.

Die Chance auf Solidarität

Vergessen wir bei all den zu treffenden Hygiene-Maßnahmen nicht die angesagte humanitäre Katastrophe, die sich an den europäischen Außengrenzen ereignet, verlieren wir unsere Partner nicht aus den Augen, in deren Ländern die Ausbreitung des Coronavirus weitaus dramatischere Folgen als bei uns haben wird. Vernünftiges und verantwortungsvolles Handeln ist gefragt, aber lassen wir deshalb nicht den Zustand kollektiver Panik und egoistischer Existenznöte von uns dermaßen Besitz ergreifen, dass der/die Andere zum Feind zu werden droht, dem/der wir mit Angst und Misstrauen begegnen und uns schützen müssen. Räumliche, nicht aber soziale Distanzen sind notwendig, Formen von Nähe und Fürsorglichkeit müssen neu erschaffen und kreativ gefunden werden. Die Coronakrise verändert momentan fundamental unser Zusammenleben, bringt aber auch neue notwendige Möglichkeiten lokaler und globaler Solidaritäten hervor, die in verschiedenen Initiativen bereits ihren Anfang nehmen.

Wir alle entscheiden,
wie es weitergeht

Der Zukunftsforscher Matthias Horx meint, dass nach der Krise nichts mehr so wie vorher sein wird, denn die Welt, in der wir uns befinden, löst sich gerade auf und schlägt eine neue Richtung ein. Stimmt das, dann stehen wir an einem Scheideweg und die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, die Visionen, die uns leiten, sind richtungsweisend dafür, wie es weitergehen wird. Der gegenwärtige Stillstand der globalisierten Mobilität, die radikale Veränderung unserer Gewohnheiten angesichts der so nahen Bedrohung, lassen die Erde aufatmen und zeigen uns, dass es möglich ist, eine scheinbare Alternativlosigkeit unseres Systems zu unterbrechen, sicher Geglaubtes nicht nur zu hinterfragen, sondern unsere Beziehungen zur Welt, zur Schöpfung, neu zu gestalten.

Leben wir diese Fastenzeit im Zeichen der Coronakrise und nutzen diese Unterbrechung uns zu fragen, worauf können wir verzichten, worauf kommt es an im Leben? Wollen wir weitermachen wie bisher? Haben wir den Mut die gesellschaftlichen Verhältnisse und die bisherigen Entwicklungen zu unterbrechen und solidarisch an der Seite derjenigen, die am meisten unter ihnen leiden, zu transformieren. Im Blick auf Ostern und dem Glauben, dass das Leben über den Tod siegen wird, wollen wir – gerade in Zeiten von Corona – festhalten an der Vision, dass diese Welt eine andere sein kann als sie bisher war.


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Geschrieben von:

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Pirmin Spiegel war Hauptgeschäftsführer bei Misereor.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Lieber Herr Spiegel!

    Danke für den ermutigenden Brief und einen lieben Gruß aus Emmaus. Vergelt’s Gott für das, was Misereor für unsere Einrichtungen (Pflegeheim und Pflegefakultät) getan hat und noch tut. Bald 20 Jahre bin ich in Palästina und wenn wir auf “Sicht” fahren können, ist das ein Geschenk. Oft ist nicht einmal das möglich – die Kriege haben uns das gelehrt. In diesen haben wir gelernt, für das HEUTE zu danken und das VERTRAUEN zu stärken, dass MORGEN ein liebender Gott für uns sorgt. Das tut er auch – wie z. Beisp. Durch Misereor. Der Gott von Emmaus ist in so vielen Menschen mit uns unterwegs und diese Erfahrung stärkt und ermutigt zum Weitergehen. Ein großer Dank an Misereor.

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    Lieber Pirmin Spiegel,
    DANKE, für diesen so konstruktiv und ermutigenden „Fastenhirtenbrief“ ! Ich habe ihn sogleich mit Freude über meinen Verteiler weitergereicht. Mitten in diese oftmals tödliche Coronadunkelheit gibt er Impulse, die uns die Spürbarkeit der Leidensgeschichte, auch im Hier und Jetzt, nicht als das Letzte überläßt bzw, in der Hoffnungslosigkeit erstarren läßt.
    Ich bin wachgerüttelt in meinem Glauben, der mir Angst und Schmerz, auch nicht den Tod zaubberhaft wegwischt, aber bereits schon Heute, mit dem Blick auf Ostern, ein neues Handeln ermöglicht.
    Mitten in der Kriese Innehalten und in Solidarität das Neue Handeln in Demut mitgestalten.

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    Halten wir Einkehr
    Es passt zur Fastenzeit.
    Sind wir in uns gekehrt, und verstrahlen wir Licht.
    Diese Tage, diese Wochen, diese Zeit.
    Von jeden einzelnen von uns hängts ab,
    was wir ausstrahlen, strahlt auf uns zurück.
    Geh mit deinen Nächsten so um, wie du möchtest,
    dass man mit Dir umgeht.
    Nachdem kann man sich richten das ganze Leben.
    So einfach ist es gut miteinander zu leben.
    Wenn wir uns selber nicht im Weg stehen.
    Es geht darum zuerst uns selber gern zu haben.
    Wir können ja nicht Liebe verstrahlen, wenn wir keine haben.
    Also halten wir Einkehr, haben wir uns lieb, sowie wir sind.
    Wie schnell sind wir immer uns selber zu verurteilen,
    andere haben wir gehört zu verurteilen.
    Urteilen wir nicht, verurteilen wir schon gar nicht.
    Wenn wir uns selber gern haben hört das auf.
    Wer in der Liebe ist, strahlt sie aus.
    Der will nichts haben, der hat alles.
    Nichts mehr müssen und nichts mehr sollen
    Einfach sein, glücklich sein, und zufrieden sein
    Das ist das was ich mir vorgenommen habe
    Ideale Voraussetzungen für ein gutes Leben,
    sind auch gute Gedanken.
    Hört mal das Wort Ge danken Geh und Danke
    Unter diesen Aspekt Geh und Danke
    Geh und Danke dein ganzes Leben.
    Diese Fastenzeit wird getragen von der Liebe die wir ausstrahlen,
    und je mehr Liebe wir ausstrahlen umso mehr bekommen wir davon zurück.
    Es ist jetzt die Zeit in der Liebe ganz aufzugehen,
    in der Liebe zu uns selber, zu unseren Nächsten und zu allem

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    Ja, diese Welt hat eine Krankheit, es ist die „Menschheit“! Ich kann Matthias Horx überhaupt nicht folgen. Er ist mir zu platt, zu oberflächlich, aufgeblasen. Natürlich ist die Welt morgen nicht mehr die, die sie heute war. Aber löst sie sich auf, nur weil ein Virus sämtliche gegenwärtige unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe in ihre Schranken weist. Die Welt schlägt eine neue Richtung ein???? Welche Richtung, welche Visionen die „uns“ leiten . . .Nichts als Schlagworte! – Schaut doch nur mal dahin, wie die Weichen gerade gestellt werden. Billionen von Dollar werden locker gemacht zum Erhalt dieser weltglobalisierenden Wirtschaftsweise, egal in welcher politischen Legitimation dieser Turbokapitalismus organisiert ist. Woher soll denn die Kraft zur Umkehr kommen, Herr Horx? Aus unseren Kirchen? Was muß sich nicht dort alles ändern, wenn sie gehört werden wollen. Aus dem Katastrophenmanagement? Da lacht doch das Finanzkapital! – Vielleicht wenn sich alle Religionen der Welt zusammen fänden und eine gemeinsame Erklärung verfassten zum Erhalt dieses Planeten, dieser Schöpfung, in sozialer Gerechtigkeit, Achtung allen Lebens, Geschwisterlichkeit aller Menschen und Ächtung aller Formen von Gewalt. Es wäre schön, wenn die Christlichen Kirchen dazu einen Anfang wagten, ganz konkret, für jeden Tag, vielleicht als Sonntag for future. –

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    Oft musste ich in den letzten Tagen an ihre Worte vom letzten Jahr in Köln denken: „Die Erde hat Lungenentzündung.“ Das lässt Corona „nur“ als Manifestation einer kranken Welt sehen.
    Und hilft auf umfassende Gesundheit zu achten, durch weniger Konsum, größere Achtsamkeit gegenüber der Natur und mehr Gerechtigkeit.
    Danke, nun für diese ermutigenden Worte.
    Mit Spannung erwarte ich, was passiert, wenn wir unsere Wirtschaft und die Gesellschaft neu erfinden.

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    Vielen Dank Herr Spiegel für die guten Impulse – ja, die Frage dieser „Corona“-Fastenzeit an uns Christen ist die, ob wir eintreten für die Vision von einer nachhaltig solidarischen Welt oder ob wir nur darauf warten wieder zur Tagesordnung übergehen zu können…

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    Ich hab gerade eine Rundmail von einer Nichte bekommen – drum bin ich hier. War eine gut Idee von ihr!

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    Gibt es Ideen wie man trotzt abgesagter Gottesdienste man allgemein die Misereoraktion weiter in der Gemeinde bewusst machen

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