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Religionen und Coronavirus in Nigeria

Golden glänzt das Runddach des Glory Dome bis in weite Ferne. Wer immer nach Abuja geflogen kommt, erblickt es aus der Luft oder spätestens nach der Landung: das neue Gospel Centre der Dunamis Kirche am Eingang zur Stadt ist ein echter Hingucker. Andere Megachurches stechen durch ihre überlebensgroßen Werbeplakate hervor, religious industrie prägt das Stadtbild. Und die Menge an Moscheen und Kirchen verweist landesweit auf die herausgehobene Rolle von Religion in Nigeria.

Religiöse Werbetafel in Abuja © Kahler | MISEREOR

Allerdings gestaltet sich das Verhältnis der verschiedenen Glaubensgemeinschaften zueinander schwierig, denn es ist zu viel religiös konnotierte politische Gewalt im Spiel, die zu überkommen Dialogversuche es nicht leicht haben.

2018 erlebte die Nation einen traurigen Höhepunkt an tödlichen Kämpfen in Zusammenhang mit Konflikten zwischen nomadischen (zumeist muslimischen Fulani) Viehhaltern und (vor allem christlichen) sesshaften Kleinbauern. Es fiel manchmal sehr schwer, herkömmliche agropastorale Konflikte – nämlich Streit zwischen Hirten und Bauern – von Attacken milizenartiger Banditen oder religiös gefärbten Terrorakten unter dem Deckmantel der Viehaltung zu trennen. „Fulanisierung“ oder „Islamisierung“ war eine reale Angst unter Christen.

Nationale Moschee in Abuja © Mark Fischer | flickr

Gezielte Gewalt gegen Christen

Nachdem das Jahr 2019 dann insgesamt von einer Sicherheitskrise – wegen zumal massenhafter Entführungen – bestimmt gewesen war, nahmen seit Dezember gezielte Gewaltakte gegen Christen zu – gesteuert durch ISWAP (Islamic State in Western African Province) oder Boko Haram, also islamistische Terrorgruppen. Inmitten zielloser Anschläge im Nordosten, wie einem tödlichen Angriff auf 18 Busse und Autos mit gewöhnlichen Reisenden in Auno, Borno State, verfolgten die Islamisten eine Strategie gezielter Gewalt gegen Christen:

  • 22. Dezember: Tötung von sechs Personen und vier Entführungen
  • Heiligabend: sieben Tötungen und eine Entführung in Chibok
  • Zweiter Weihnachtstag: Hinrichtung von 11 Christen
  • 2. Januar: Entführung des Sprechers der Christian Association of Nigeria (CAN), Pastor Lawan Andimi in Michiga, Adamawa State und seine spätere Enthauptung. Er hatte sich persönlich für die Verständigung und Versöhnung zwischen Muslims und Christen eingesetzt.
  • 8. Januar: Entführung von vier Studenten des Priesterseminars Good Shepherd in Kaduna und Tötung des Seminaristen Michael Nnadi

Weil die Terroristen Propagandavideos der grausamen Verbrechen in die sozialen Netzwerke stellten, war die Schockwirkung umso heftiger.

Getrennt beten für gemeinsamen Frieden

Christen und Muslims gingen im Frühjahr getrennt voneinander auf die Straße, um für Frieden zu beten. So rief der Regierungschef von Borno State, wo sich die Hochburg der Terrorgruppe Boko Haram befindet, am 24.2., Rosenmontag, zu einer Kundgebung auf, während die katholische Kirche zwei Tage später, Aschermittwoch, zur Friedensdemonstration aufgerufen hatte. Eine muslimische Gruppierung „besorgter Bürger“ rief in Borno zu einer „inter-religiösen“ Friedenskundgebung auf – ausgerechnet zur Gottesdienstzeit an einem Sonntagmorgen, wie uns Fr. Stephen Bakemi in Maiduguri erzählte, als der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller Anfang Februar zu Besuch kam, um sich unter anderem über die interreligiösen Beziehungen in Nigeria ein genaueres Bild zu machen.

Religiöse Werbetafel in Abuja © Kahler | MISEREOR

CAN (Christian Association of Nigeria ) beklagte öffentlich die gezielten Christentötungen symbolträchtig am zweiten Jahrestag der Entführung Leah Sharibus: Die Studentin der Technischen Hochschule von Dapchi war März 2018 von Boko Haram entführt worden, weil sie sich geweigert hatte, zum Islam überzutreten, als die Terroristen dies von ihr forderten. Ähnlich den noch 112 Chibok Girls, die seit ihrer Entführung im Jahre 2014 bis heute nicht freikamen, befindet sich Leah Sharibu bis heute in der Gewalt der Terroristen.

Die „Christenverfolgung“ beklagten auch Stimmen der Katholischen Bischofskonferenz. Aschermittwoch forderte die Bischofskonferenz die Regierung auf, im Kampf gegen die Gewaltverbrechen internationale Unterstützung zu suchen: „The tears and pains of helpless persecuted Christians in Nigeria should be well reported in the West.“

Am Sonntag nach Aschermittwoch folgte ein katholischer Klagemarsch: Während vom Himmel der erst Schauer der beginnenden Regenzeit niederging, zogen in Abuja trauerschwarz gekleidete Protestierende vom National Christian Centre bis zur Kathedrale Our Lady Queen of Nigeria.

National Christian Centre in Abuja © Mosises.on | flickr

Fehlende Sensibilität mit Nigerias religiöser Diversität

Ausgelöst durch Terrorakte vor allem gegen Christen, richtete sich die Kundgebung vom 1. März zwar gegen alle ungesühnt bleibenden Gewaltverbrechen gegen jedwede Person. Gleichwohl bemerkten Beobachter die problematische Teilung der Gesellschaft durch prayer walks, wenn einzelne Glaubensgemeinschaften ihre gesonderten Opferklagen auf die Straßen tragen.

Bischof Matthew Kukah aus Sokoto schrieb im Andenken an den in seiner Diözese ermordeten Seminaristen Michael Nnadi eine außerordentliche politische Predigt, den Zustand des Staates anklagend: „Our nation is like a ship stranded on the high seas, rudderless and with broken navigational aids.“ Kukah kritisiert das Verhältnis zwischen Muslims und Christen sowie die fehlende Sensibilität des Präsidenten Buhari im Umgang mit Nigerias religiöser Diversität („Today, in Nigeria, the noble religion of Islam has convulsed.“).

Ohne Sensibilität gegenüber den geschockten Christen im Land war Nigerias Präsident der zunehmenden religiösen Spannungen dadurch begegnet, dass er in der Zeitung „Christianity Today“ behauptete, „90%“ der Terroropfer seien doch Muslime.

Father Bakemi, der im Bistum Maiduguri für interreligiöse Angelegenheiten zuständig ist, warnt: „We must be careful of the danger of a singular narration.“ Zwar hätten in der Vergangenheit – wohl vor des islamistischen Terrorismus – Muslime und Christen stets friedlich zusammengelebt. Aber „active inter-faith activities have been very minimal in Borno State.“

Interreligiöse Entspannung während Corona

In der Coronakrise zeichnet sich jedoch vor diesem schwierigen Hintergrund endlich eine Entspannung der interreligiösen Verhältnisse ab. Das Virus eignet sich schließlich nicht wirklich für religiöse Spaltungen, da es doch Menschen unabhängig von ihren Zugehörigkeiten trifft.

Im März waren es zwar noch getrennte Stellungnahmen zur COVID-19-Krise, sortiert nach muslimischer oder christlicher Mitgliedschaft. Doch handelte es sich am 19.3. bereits um aufeinander abgestimmte, zeitgleiche Stellungnahmen der beiden wichtigsten religiösen Vereinigungen: des Nigerian Supreme Council for Islamic Affairs (NSCIA) und andererseits der Christian Association of Nigeria (CAN). Beide Vertretungen forderten die Gläubigen praktisch zur selben Stunde dazu auf, den Weisungen staatlicher Autoritäten im Umgang mit dem Coronavirus Folge zu leisten. Der Zeitpunkt war doppelt bedeutsam, denn nicht nur Ostern stand vor der Tür, sondern auch der derzeit noch andauernde Ramadan: „Pray in your dwellings“ – betet zu Hause, erging der Aufruf an die Gläubigen.

Vergangene Woche nun lud Priester Cornelius Omonokhua (Nigerian Inter-Religious Council, NIREC) zum ersten Online-Gebet aller Religionsgemeinschaften während der Coronakrise. Abujas neuer Erzbischof Ignatius Kaigama, der Imam der nationalen Moschee, Dr. Kabir Adam Muhammed, Dr. Imam Tajudeen Adigum und Erzbischof John Praise Daniel, Bischof der Anglikanischen Kirche, waren der Einladung gefolgt und trugen zum gemeinsamen Gebet bei. Bei allem Unheil der Pandemie, lässt sich ihr an dieser Stelle vielleicht ein kleiner positiver Effekt abgewinnen.


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Andreas Kahler leitete seit April 2012 die MISEREOR-Verbindungsstelle in N`Djaména/Tschad. Seit 2018 ist er Leiter der Verbindungsstelle in Abuja/Nigeria. In seiner Arbeit kümmert er sich um den guten Dialog mit den Partnern von MISEREOR und begleitet die Projekte.

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