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„Diese Pandemie ist eine Gelegenheit, sich zu verändern“ – Freiwillige aus dem globalen Süden schildern ihre Krisen-Eindrücke

MISEREOR bietet jungen Menschen aus Lateinamerika, Asien und Afrika die Möglichkeit, sich in Projekten in Deutschland entwicklungspolitisch und sozial zu engagieren. Auch in diesem Jahr kamen vier Freiwillige über das „weltwärts“-Programm nach Deutschland. Lawrent Mbemba aus Malawi, Maria Alfaro aus Costa Rica, Mirna Calles aus El Salvador und Wesley Mufinda aus Sambia hatten bereits ihren Einsatz bei der Caritas in Köln in einem Jugendcafé für Geflüchtete sowie in der offenen Kinder-und Jugendarbeit angetreten. Doch dann kam die Corona-Pandemie. Und plötzlich war alles anders. Im Interview – zu Beginn der Corona-Beschränkungen geführt – schildern sie sehr persönliche Eindrücke aus ihrem Leben und ihrem Alltag in Deutschland. Und Ihre Hoffnungen, dass wir gemeinsam aus der Krise lernen können.

Lawrent, 26 Jahre, ist als Freiwilliger aus Malawi mit dem „weltwärts“-Programm nach Deutschland gekommen und ist als Volunteer bei der Caritas in Köln
„Die Krise hat mir gezeigt, dass das Beten nicht immer ein Gebäude erfordert, sondern einfach nur uns als Menschen – egal, wo wir gerade sind.“ Lawrent Mbemba, 26 Jahre, aus Malawi.

Seit mehreren Monaten seid Ihr als Freiwillige in Deutschland. Die Corona-Krise fordert uns alle heraus und stellt uns vor eine neue Situation mit vielen Fragen. Was ist für Euch die größte Herausforderung im Kölner Alltag? Wie geht Ihr damit um?

Maria: Die größte Herausforderung ist die soziale Distanz; nicht in der Lage zu sein, das Haus zu verlassen, Freunde zu sehen und sich frei zu fühlen. Ich würde gerne wieder an Orte gehen, die mich glücklich machen. Ich denke oft an das Risiko, dass wir uns mit dem Virus infizieren könnten. Es gibt mir jedoch ein Gefühl des Vertrauens hier in Köln zu sein, da wir wissen, dass wir hier gut aufgehoben sind und es ein gutes Gesundheitssystem gibt.

Mirna: Es ist ein bisschen unglücklich, Freiwilligenarbeit in einem sozialen Bereich zu machen, in dem reale Begegnung derzeit nicht möglich ist. Wir haben gerade erst angefangen, uns zurechtzufinden. Die Räumlichkeiten bei der Caritas sind für die Kinder und Jugendlichen geschlossen. Ich kann gerade nicht so arbeiten, wie ich gerne würde. Allerdings arbeiten wir an Ideen und Konzepten für kurze Video-Clips für die Leute zu Hause. Ich finde es sehr schwer, meine Freunde nicht zu treffen, sie nicht zu besuchen oder zu sehen und sie nicht zu umarmen.

Wesley: Die größte Herausforderung für mich ist momentan die soziale Distanz- und Isolationsregel. Mein Stundenplan hat sich geändert. Ich habe gerade mehr Freizeit als Arbeitszeit. Das fühlt sich komisch an, denn ich möchte ja als Freiwilliger gerne arbeiten und was tun.

Maria aus Costa Rica und Mirna aus El Salvador sind beide als Freiwillige in diesem Jahr nach Deutschland gekommen, um bei der Caritas in Köln als Volunteers zu arbeiten
Mirna Calles (26 Jahre) aus El Salvador und Maria Alfaro (27 Jahre) aus Costa Rica sind beide als Freiwillige in diesem Jahr nach Deutschland gekommen, um bei der Caritas in Köln als Volunteers zu arbeiten.

Wie gestaltet Ihr Euren Alltag, welche Rituale habt Ihr? Was macht Ihr, wenn Euch die Zeit zu lang wird?

Maria: Ich denke, dass es in jeder Krise das Wichtigste ist, ruhig zu bleiben und klar zu denken. Ich versuche, seriöse Nachrichten zu lesen und informiere mich, wie ich mich am besten vor dem Virus schützen kann. Normalerweise spreche ich viel mit meinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern hier im Wohnheim. Wir gehen spazieren, wir denken darüber nach, wie glücklich wir hier sind, mit Menschen zusammen zu sein, die sich um uns kümmern, wir denken über neue Ideen nach, um mit Lukas, unserem Kollegen von der Caritas im Café Bugs, für die Jugendlichen Video-Clips zu machen. Wir hoffen, dass die Einrichtung bald wieder öffnet. Wir lernen in einem Online-Kurs Deutsch und machen dafür Hausaufgaben. Der Kurs macht mir viel Spaß. Außerdem koche ich gerne traditionelles Essen aus meinem Heimatland Costa Rica.

Lawrent: Das Corona-Virus hat mich dazu gebracht, Gebeten und Gottesdiensten über die sozialen Medien zu folgen. Eine Sache, die ich vorher nicht genutzt habe, da ich sonntags normalerweise die Messe im Kölner Dom besuchte. Dies hat mich an zu Hause und mein Leben in Malawi erinnert. Es hat mir gezeigt, dass das Beten nicht immer ein Gebäude erfordert, sondern einfach nur uns als Menschen – egal, wo wir gerade sind. Außerdem nutze ich die Zeit und lerne deutsche Grammatik, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Und zweimal pro Woche mache ich über ZOOM meinen Deutschunterricht. Ich verfolge auch intensiv, wie Gesundheitseinrichtungen in meiner Heimat unermüdlich gegen die tödliche Krankheit arbeiten, denn ich habe selbst klinische Medizin studiert. Deswegen habe ich auch eine eigene Präsentation über COVID-19 vorbereitet, die ich online mit meiner Familie und Freunden geteilt habe, um sie aufzuklären, wie sie gut für sich sorgen können und welche Hygienemaßnahmen sinnvoll sind.

Mirna: Momentan versuche ich, all die Veränderungen zu verarbeiten. Ich habe viel Zeit, über mich selbst und die verschiedenen Situationen nachzudenken, in denen ich in diesem freiwilligen Abenteuer leben muss. Köln ist für mich eine neue Stadt, in der ich etwas über den Rhythmus des Lebens lerne. Alles ist sehr unterschiedlich und aufgrund der Empfehlungen gehe ich nur wenig raus. Nur wenn es notwendig ist, um etwas einzukaufen oder einfach nur spazieren zu gehen. Ich habe die großartige Gelegenheit, eine sehr gute Freundin zu haben, die für mich meine gute Partnerin ist, mit der ich viel reden und teilen kann. Wir versuchen, mindestens einmal am Tag Gerichte aus unseren Ländern zu kochen. Wir schauen auch Filme oder Serien, machen die Hausaufgaben des Deutschkurses oder wir machen ein Nickerchen.

Wesley: In meiner Freizeit lese ich zu Hause in der Bibel, in Magazinen und der Zeitung. Und ich versuche, deutsche Grammatik und deutschen Wortschatz zu üben. Ich versuche, mich über das Radio, Online-BBC- und DW-Nachrichten auf dem Laufenden zu halten.

Wesley, 25 Jahre, aus Sambia, ist angehender Journalist: „Ich möchte fürs Fernsehen arbeiten, weil Medien eine große Rolle dabei spielen, über die Welt auf unterschiedliche Weise zu informieren und aufzuklären.“
Wesley Mufinda, 25 Jahre, aus Sambia, ist angehender Journalist: „Ich möchte fürs Fernsehen arbeiten, weil Medien eine große Rolle dabei spielen, über die Welt auf unterschiedliche Weise zu informieren und aufzuklären.“

Wie haltet Ihr Kontakt zu Euren Herkunftsländern, zu Euren Familien und Freunden? Wie ist die Situation dort? Welche Gefühle und Gedanken begleiten Euch?

Maria: Seit Beginn der Pandemie habe ich viel mit meiner Familie darüber gesprochen, wie sie sich vor dem Virus schützen können. Ich rede ihnen gut zu, dass sie nicht in Panik geraten und gebe ihnen das Gefühl, dass es mir hier gut geht. Der Umgang mit dem Virus war in meinem Land bisher gut, aber ich fühle mich ein wenig hilflos, wenn ich darüber nachdenke, was passieren könnte, wenn es in meinem Land richtig losgehen sollte.

Lawrent: Ich versuche, mindestens zweimal pro Woche über soziale Medien mit meiner Familie in Karonga zu sprechen. Bei den meisten unserer Gespräche geht es um das Coronavirus. Ich befürchte, dass das Leben der Menschen gefährdet ist, wenn keine ernsthaften Maßnahmen vor Ort ergriffen werden. Daher tue ich mein Bestes, um Familie und Freunden einige Tipps zu geben, wie sie auf sich achten können.

Mirna: Die Situation in meinem Land El Salvador ist komplex. Es gibt derzeit nur wenige Fälle, aber die Angst dort ist unglaublich groß. Meine Familie befindet sich seit langer Zeit zu Hause in Quarantäne. Ich versuche häufig, Kontakt mit ihr zu pflegen und ihr zu helfen. Es ist ein bisschen traurig, so weit weg zu sein, aber soziale Netzwerke helfen immer, sich verbunden zu fühlen. Es ist so schade, die Krise in diesem besonderen Freiwilligenjahr erleben zu müssen, aber ich versuche immer, die positive Seite der Dinge zu sehen und die Hoffnung zu behalten. Zu Beginn, als mein Heimatland die Grenzen schloss, war es schwer zu glauben, dass es von Deutschland aus verboten ist, in mein Land einzureisen. Das hat mich auch sehr nachdenklich gemacht.

Wesley: Ich kommuniziere mit meinen Freunden über soziale Medien und stehe in Kontakt mit meiner Entsendeorganisation in Sambia. Dort spitzt sich die Lage zu. Das macht mir Sorgen.

Die Freiwilligen Maria, Lawrent und Mirna miti ihrem Kollegen Lukas vor dem Café Bugs der Caritas in Köln.
Die Freiwilligen Mirna, Lawrent und Maria mit ihrem Kollegen Lukas vor dem Café Bugs der Caritas in Köln.

Liegen auch Chancen in der aktuellen Krise? Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft?

Maria: Die Krise hat viele soziale Ungleichheiten in jedem Land ans Licht gebracht. In europäischen Ländern, in denen es sehr gute Gesundheitssysteme gibt, hat das Virus die Menschen an ein Limit gebracht. In Lateinamerika, wo die Gesundheitssysteme instabiler sind und wir keine sehr guten Intensivstationen haben, ist die Situation noch komplexer. In manchen Ländern glauben sie nicht einmal, dass das Virus real ist, viele bezeichnen es als „politische Strategie“, um Angst zu verbreiten und Macht auf die Bevölkerung auszuüben. Viele Präsidenten unterschätzten das Virus und hielten es für nicht so gefährlich.

Vielleicht wachen wir in dieser Krise auf: Denn wir müssen nicht länger unnötige Dinge konsumieren. Wir können lernen, Zeit mit der Familie zu verbringen; die Zeit zu schätzen, die wir mit unseren Lieben haben. Wir lernen, worauf es wirklich ankommt.

Maria Alfaro, Freiwillige aus Costa Rica

Die am stärksten gefährdeten Menschen sind oft die Armen, die unter den schlechten Entscheidungen der Politiker leiden müssen. Diese Pandemie ist eine Gelegenheit, sich zu verändern. Wir wachen vielleicht auf: Denn wir müssen nicht länger Konsumenten unnötiger Dinge zu sein. Wir können lernen, Zeit mit der Familie zu verbringen, die Zeit zu schätzen, die wir mit unseren Lieben haben. Wir lernen, worauf es wirklich ankommt. Gesund zu sein! Das kann man mit keinem Geld der Welt bezahlen. Es trifft uns alle gleich. Daher müssen wir im Leben lernen, unsere Träume zu verwirklichen und auf unsere Gesundheit zu achten, nach dem zu suchen, was uns als Menschen wirklich glücklich macht. In Zukunft möchte ich eine Welt, die sich mehr darüber im Klaren ist, wie wir leben und was wir der Welt bringen. Unser Freiwilligendienst in Deutschland war nicht immer einfach, aber jetzt möchte meine Freiwilligenarbeit mehr genießen. Ich möchte weiter lernen und auch ein wenig von unserer Kultur und Traditionen, von unserem Essen, unserer Musik und unserer Sprache an andere weitergeben.

Lawrent: Ehrlich gesagt habe ich nicht gedacht oder erwartet, dass eine so mächtige Nation wie Deutschland, die wirtschaftlich und sozial über alle Kapazitäten verfügt, genauso stark leiden kann wie alle anderen Nationen. Es erfordert die Verantwortung aller, diese Pandemie zu beenden. Ich bin sicher, dass jede schlechte Situation auch eine Lernerfahrung ist. Daher ist es höchste Zeit, dass wir bedenken, dass diese Pandemie uns etwas lehrt: Nämlich, dass wir uns gemeinsam und voll Fürsorge um das menschliche Leben und die menschliche Solidarität weltweit kümmern müssen.

Die vier Freiwilligen zeigen sich voller Hoffnung, dass wir gemeinsam aus der Krise lernen können.
Die vier Freiwilligen zeigen sich voller Hoffnung, dass wir gemeinsam aus der Krise lernen können (© alle Fotos: privat).

Mirna: Diese Krise enthüllt die große Kluft zwischen den sozialen Schichten und die damit verbundene Armut, in der viele meiner Landsleute leben. Trotz allem ist es in dem momentanen Chaos sehr schön, Gesten der Hilfe und Liebe für andere zu sehen. Ich hatte Gelegenheit, diese kleinen Details und Gesten mitten in der Krise zu sehen: Menschen, die helfen, oder Menschen, die Obst, Kleidung und Toilettenartikel zurücklassen für diejenigen, die es am dringendsten brauchen. Dies motiviert mich, weiter für den sozialen Wandel zu arbeiten, damit echte Veränderungen stattfinden.

Ich wünsche mir, dass alle Menschen, die Verluste erlitten haben, Frieden und Trost finden, dass die Länder nach und nach besser zu ihren Routinen zurückkehren, dass die Liebe zur Familie gestärkt wird, dass wir zwischenmenschliche Treffen noch mehr schätzen.

Mirna Calles, Freiwillige aus El Salvador

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass sich diese Situation verbessert, und hoffe, dass es bald soweit ist und ich die Gelegenheit habe, den Rest meiner Freiwilligenarbeit in Deutschland zu genießen, dass ich in diesem wunderschönen Land sein und wieder mehr Menschen treffen kann. Und ich wünsche mir, dass alle Menschen, die Verluste erlitten haben, Frieden und Trost finden, dass die Länder nach und nach besser zu ihren Routinen zurückkehren, dass die Liebe zur Familie gestärkt wird, dass wir zwischenmenschliche Treffen noch mehr schätzen. Ich hoffe, dass diese Situation uns lehrt, unsere Herzen zu öffnen, uns auch mit Abstand zu verbinden und einfühlsamer zu sein, dass wir uns mehr um unseren Planeten kümmern, dass Solidarität ein wichtiger Schritt der Gesellschaft ist.

Wesley: Es gibt auch Chancen. Ich bin offen für jede gute Gelegenheit, die sich in meinem Leben bietet. Ich bin seit einiger Zeit in Köln und habe bereits an verschiedenen Seminaren teilgenommen, die mich persönlich zum Nachdenken bringen. Ich kann jetzt Deutsch verstehen und einige grundlegende Sätze sprechen. Ich freue mich auf mehr Arbeits- und Lernmöglichkeiten, solange ich hier lebe. Als angehender Journalist möchte ich einmal fürs Fernsehen arbeiten, weil Medien eine große Rolle dabei spielen, über die Welt auf unterschiedliche Weise zu informieren, zu unterhalten und aufzuklären. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass die Welt ein gutes Zuhause für alle sein kann. Ich bete darum, dass Gottes Wille erhört wird.

Das Interview führte Anna Steinacher, MISEREOR-Referentin für den Freiwilligendienst.


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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Liebe Freiwillige

    Ich habe eure Texte mit viel Mitgefühl gelesen. Eure Worte sind sehr gut.
    Ich bin ein Misereor – Opa und habe Enkelkinder in eurem Alter. Euch Freiwilligen und natürlich euren Misereor-Partnern wünsche ich eine gute Zeit. Ihr macht in diesen Wochen sehr wichtige Erfahrungen mit uns, so wie wir mit euch. COVID 19 zeigt wie verbunden wir sind und wie lebendig die Natur ist – wir sollten gut miteinander umgehen und uns das Leben genau anschauen. Da kommt noch etwas – die Vielfältigkeit des Lebens!

  2. Avatar-Foto

    Wirklich bewegende Worte von inspirierten und inspirierenden Menschen!
    Danke!

  3. Avatar-Foto

    Tolles Interview!! Danke für die inspirierenden Antworten. Es ist wirklich super interessant eure unterschiedlichen Erfahrungen und Gedanken in dieser Zeit mitzubekommen!

  4. Avatar-Foto

    Die Sicht der Freiwilligen auf Deutschland ist immer wieder sehr spannend und bereichernd. Eurer Interview-Antworten sind sehr motivierend!! 😀

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