Wissen Sie, welcher europäische Börsengang bisher der größte des Jahres 2020 gewesen ist? Es ging nicht um ein Medizinunternehmen, das an einem Produkt gegen das Corona-Virus forscht. Es handelte sich auch nicht um ein Software-Unternehmen. Es ging um Kaffee, oder besser gesagt, um das Geschäft mit Kaffee. Die Milliardärsfamilie Reimann hat aus ihrer Unternehmensholding eine Firma in Amsterdam an die Börse gebracht. JDE Pete’s – eine Fusion aus Jakobs, Douwe Egberts und einer US-Kaffeehauskette – hat im Juni eine Marktkapitalisierung von 2,3 Milliarden Euro erreicht.

Lukrativ, lukrativer, Kaffee
Kaum ein Wirtschaftsbereich verheißt solche Gewinnmargen wie der Kaffeemarkt. Nestlé rechnet für seine Kaffeekapseln mit einer Marge von 22 %. Kaffeehausbetreiber sollen für einen Caffè Crema gerade mal 14 Cent Kosten einkalkulieren, verkaufen ihn aber für zwei Euro. Aus diesen Gründen hatte Coca-Cola 2018 sein Geschäftsmodell als Kaltgetränkehersteller zum Teil hinter sich gelassen und für 4,3 Milliarden US-Dollar die britische Kaffeekette Costa gekauft. Trotz der Corona-Krise scheint sich diese Investition in der Gastronomie bereits auszuzahlen.
Bauernfamilien bleiben arm
Kaffee wird bis heute zu 70 % von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern geerntet. Die Lebenshaltungskosten in den Erzeugerländern sind in den letzten Jahren gestiegen, aber die Einkommen aus dem Kaffeeverkauf stagnieren. Im StandArtMagazine von 2017 wurde dieser Realeinkommensverlust folgendermaßen dargestellt: „Noch 1976 reichten in Zentralamerika vier Säcke Kaffee aus, um eine Familie für ein Jahr zu ernähren. Heute braucht es dafür 34 (!) Säcke Kaffee.“

Klimaerhitzung verändert alles
Der Klimawandel führt schon jetzt zu fundamentalen Umwälzungen. Bei einem Besuch in Nordperu im September 2019 konnte ich sehen, wie Kaffee aus dem Anbau verschwindet, da er dort kaum noch unter 2.000 Metern angebaut werden kann. Die Kooperative NorAndino lenkt seine Mitglieder schon seit einigen Jahren vom Kaffeeanbau hin zum Anbau von Rohrzucker. Ein herkömmlicher Anbau von Kaffee wird in wenigen Jahren nur noch auf eine Höhe von 2.300 Metern und mehr möglich sein. Oder er muss völlig neu gedacht werden, beispielsweise in Agroforst-Systemen.
Kaffeeanbau ist wie Roulette
Die Preise, die an der Börse von New York gehandelt werden, umkreisen seit etwa drei Jahren die Marke von einem US-Dollar pro Pfund Kaffee. Diese Börsenpreise bilden die Grundlage für Verhandlungen auf den realen Märkten, schlagen sich also in Vertragsverhandlungen ganz konkret nieder. Der Preis ist viel zu gering, um die wirklichen Kosten des Anbaus zu decken oder die Leistungen der Bauernfamilien zu vergelten. Bäuerinnen und Bauern müssten mindestens 1,15 US-Dollar direkt ausgezahlt bekommen. Fairtrade legt den Mindestpreis gar auf 1,40 US-Dollar fest. Und auch die Preisschwankungen auf den Märkten setzen den Kooperativen zu. Wer vor der Saison investiert, kann sich nicht sicher sein, ob er nach der Ernte eine Chance auf einen kostendeckenden Preis hat. So kann kein Betrieb planen: 12,5 Millionen bäuerliche Betriebe werden strukturell arm gemacht und arm gehalten.

Wie es mit dem Börsenkurs klappen könnte
Legt man also besser einen Preis fest, so wie es bis in die 1980er Jahre im Kaffee-Welthandel geschehen ist? Gegen feste Preise spricht vieles. Es ist unbestritten, dass Angebot und Nachfrage den Preis des Kaffees lenken müssen. Ist eine Überproduktion aber erst einmal erreicht und überschritten und sind die Preise gesunken, verhindern hohe Lagerbestände einen erneuten Preisanstieg, zumal Wertpapierhändler diese Situation für Preisspekulationen nutzen. Der Vorschlag unserer Schwesterorganisation in den USA ist da sehr bedenkenswert. Catholic Relief Service empfiehlt, einerseits einen Hochfrequenzhandel für Lebensmittelrohstoffe zu verbieten. Zugleich empfehlen sie, dass der Preis zwar schwanken soll, aber in einem Korridor, der sich nach dem Zeitraum richtet, der dem natürlichen Wachstum der Kaffeepflanze entspricht, also fünf Jahre. Nur so kann eine Bauernfamilie sich solide für oder gegen eine Investition in Kaffeesträucher entscheiden.
Bitterer Kaffee
Am Tag des Kaffees und im fünfzigsten Jahr des Fairen Handels kann ich nur eingestehen, dass der Kaffeeanbau trotz vieler Anstrengungen kaum nachhaltiger geworden ist – weder ökologisch, noch sozial oder wirtschaftlich. Der Anteil an der Wertschöpfung bleibt für die Erzeuger*innen gering. Preisanteile von über 20 % am Endverbraucherpreis, so wie es beim Misereor-Kaffee der Fall ist, bleiben die Ausnahme. Der Versuch, alternative Märkte zu gründen, und das Engagement einiger Unternehmen sowie der Fairhandelsbewegung erreichen noch immer nur Bruchteile des Gesamtmarktes.
Fairer Handel & Misereor
Misereor hat vor 50 Jahren den Fairen Handel mitbegründet. Seither engagieren wir uns für faire Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und gerechte Handelsbeziehungen weltweit. Erfahren Sie mehr über die Arbeit von Misereor zum Fairen Handel in unserem Web-Dossier: www.misereor.de/fairerhandel