In Brasilien wurde im vergangenen Jahr alle zwei Minuten eine Gewalttat gegen Frauen registriert. Dann kam 2020 – und die Pandemie. Seit etwa einem Jahr zwingt COVID-19 die Welt dazu, sich dem unsichtbaren Feind zu beugen – durch Quarantäne und soziale Isolation. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Untersuchungen während der Pandemie auf eine Zunahme der Fälle von Gewalt gegen Frauen in Brasilien hinwiesen. Die MISEREOR-Partnerorganisation Graal engagiert sich in einem breiten Bündnis und einer Empowerment-Kampagne gegen diese Entwicklung.
Die Gewalt gegen Frauen nimmt in Brasilien zu – das belegen auch die Zahlen des Brasilianischen Forums für Öffentliche Sicherheit (Fórum Brasileiro de Segurança Pública). Die Anzahl der von der Militärpolizei in Sao Paulo aufgenommenen Fälle von Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, nahm demnach um 44,9 % zu. In Rio de Janeiro verzeichnete die Justiz seit Beginn der Quarantäne sogar eine Zunahme der Gewalttaten gegen Frauen um 50 %. Morde an Frauen hatten laut einer Untersuchung in den Monaten März und April 2020 im Vergleich zu den Monaten des Vorjahres um 5 % zugenommen. Innerhalb von zwei Monaten wurden 195 Frauen ermordet. Diese Untersuchung ist Teil eines vierteljährlichen Monitorings der unabhängigen Medienkooperation von Amazônia Real, Agência Eco Nordeste, #Colabora, Portal Catarinas und Ponte Jornalismo.
Gewalt in der Pandemie: Afrobrasilianerinnen besonders betroffen
Dass die Gewalt gegen Frauen zunimmt, bestätigt auch eine andere Untersuchung: Der brasilianische „Gewaltmonitor“ berichtet, dass im ersten Halbjahr 2020 landesweit 1.890 Frauen durch Gewalt zu Tode kamen – und davon die Mehrheit während der Corona-Pandemie. Mit 631 Fällen ist ein großer Teil dieser Tötungen als Femizid zu bezeichnen. Ein Verbrechen, das durch Hass aufgrund des Geschlechts motiviert ist. Auffallend ist dabei, dass 73 % der Todesopfer Afrobrasilianerinnen waren. Giane Silvestre, Forscherin des Núcleo de Estudos da Violência an der Universität von São Paulo (NEV-USP), erläutert in einem Interview mit Rádio Brasil Atual, dass die genannte Untersuchung den Zusammenhang zwischen Gewalt gegen Frauen und Rassismus belegt: „Wir sehen eine eklatante Ungleichheit im Profil der Opfer. Wenn wir Daten über angezeigte Fälle von Vergewaltigung oder Körperverletzung analysieren, ist der Prozentsatz von weißen Frauen höher. Letztlich heißt das, dass weiße Frauen eher Zugang zu Mitteln der Strafverfolgung haben als schwarze Frauen.“
Die Epidemie der Gewalt gegen Frauen
Die Epidemie der Gewalt gegen Frauen unterscheidet sich von der COVID-19-Pandemie insbesondere darin, dass sie schon viel länger existiert und die Welt ihr noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hat. Tagtäglich werden Frauen Opfer von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. Viele Fälle werden nicht einmal gemeldet, viele Frauen sterben schweigend, erstickt durch ein noch immer patriarchalisches Gesellschaftsmodell. Die Unsichtbarkeit der Gewalt gegen Frauen, die durch die Pandemie weiter verstärkt wurde, war die Triebfeder der Kampagne die Gewalt gegen Frauen darf nicht unsichtbar bleiben – zeig sie an. Ihr Ziel ist es unter anderem, die Gesellschaft und die Frauen selbst dafür zu sensibilisieren, dass diese gesellschaftliche Realität der Gewalt durchbrochen werden muss.
Den Kreislauf durchbrechen
Auch Arlete Alves de Almeida, die Koordinatorin des Frauenzentrums in Belo Horizonte, betont, dass diese Unsichtbarkeit real sei: „Sie existiert und ist in großen Teilen der Gesellschaft fest verwurzelt, die nicht sieht, nicht versteht und nicht zugibt, dass viele Frauen in ihren Rechten verletzt werden.“ Für Arlete fördert diese Unsichtbarkeit einen Kreislauf der Gewalt, der sich über Generationen hinweg wiederholt. „Es ist, als glaubten wir nicht mehr, dass es möglich ist, wieder zu lächeln. Diese Situation kann, wenn sie unsichtbar gemacht wird, unsere Kinder an denselben dunklen Ort der Angst und des Verschweigens führen. Diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen ist nicht einfach und man schafft es nicht alleine.“
Empowerment-Kampagne von Graal
Möglich wurde das nur dank der Kampagne, die der katholische Frauenbund Graal in Brasilien mit Unterstützung von MISEREOR durchführt. Als Teil eines breit angelegten Projekts zur Förderung des Empowerments von Frauen im ganzen Land ist die Kampagne Gewalt gegen Frauen darf nicht unsichtbar bleiben – zeig sie an auch aufgrund der Situation durch die Covid-19-Pandemie entstanden.
Kraft des Online-Aktivismus
Mit der Verlagerung unzähliger Aktivitäten in den virtuellen Raum sah Graal in Brasilien trotz (oder gerade) in der Krise eine Chance, verstärkt Aktionen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen durchzuführen. Mit einer Reihe von Webinaren, Pressemitteilungen und Aufklärungskampagnen in den sozialen Medien gewann die Kampagne Sichtbarkeit und erreichte tausende engagierte Menschen. Eine wichtige Strategie in der ersten Phase der Kampagne war die Vernetzung mit Dutzenden anderen sozialen Organisationen, die ihr gemeinsam mehr Aufmerksamkeit und Gewicht verschaffen konnten, indem Inhalte auf digitalen Plattformen oder über Chat-Anwendungen geteilt wurden. Auf diese Weise entstand ein großes Netzwerk von Organisationen und engagierten Personen. Die Kraft des Online-Aktivismus, die sich zunächst auf Graal konzentrierte, weitete sich dann aus und konnte viel mehr Menschen erreichen und sensibilisieren.
Hacker-Angriffe auf Online-Aktivistinnen
Diese hohe Sichtbarkeit zog aber auch die Aufmerksamkeit von Hackern auf sich. Schon bei der Eröffnung der Kampagne am 25. Juli 2020, dem Internationalen Tag der Schwarzen Frau Lateinamerikas und der Karibik, drang eine Hacker-Gruppe in den Bereich der Videochat-Anwendung ein. Es gab mehr als 200 Hackversuche, bei denen die Hacker den Teilnehmenden mit dem Diebstahl ihrer persönlichen Daten drohten. Zum Glück konnte eine andere virtuelle Umgebung für die Eröffnung der Kampagne eingerichtet werden, die dann ohne weitere Probleme fortgesetzt wurde.
Empowerment wirkt
Insgesamt sind 30 Partnerorganisationen an der Kampagne beteiligt. Allein im ersten Monat der Kampagne in den sozialen Medien und Netzwerken wurden mehr als 5.000 Personen erreicht. Am ersten Webinar zum Thema „gesetzliche Regelungen: das Gesetz Lei Maria da Penha“ nahmen 70 Frauen und ein Mann teil. Aber mehr noch als die Zahlen zeigen die Berichte von Frauen, die die Kampagne unterstützen, dass Graal und die beteiligten Partnerorganisationen auf dem richtigen Weg sind. Einige Frauen fühlten sich so gestärkt, dass sie sich aus der Gewaltbeziehung befreien konnten. In einem Fall wurde bereits die Scheidung eingereicht. Eine andere Frau hat mit ihrem Partner über unsere Kampagne gesprochen und ihm gesagt: „Ich weiß jetzt, dass es die Notrufnummer 180 gibt! Schrei mich nie wieder an. Mein Freund, ich weiß jetzt, dass ich nicht allein bin. Ich habe das Gesetz auf meiner Seite und meine Freundinnen da draußen, die hinter mir stehen!“
Fortsetzung der Kampagne
Die Kampagne kam so gut an, dass sie bis ins nächste Jahr fortgesetzt wird. Geplant sind virtuelle Seminare, z.B. am Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, der jedes Jahr am 25. November begangen wird. An diesem Tag sollen ein Verzeichnis der bestehenden Räte, Netzwerke sowie Foren zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Brasilien vorgestellt werden. Neben den Webinaren wird zudem eine Gruppendiskussion von Frauen zu den Konflikten und gesellschaftlichen Problemen junger afrobrasilianischer Frauen durchgeführt.
Über die Autorinnen
Der katholische Frauenbund Graal ist eine internationale Frauenorganisation, die sich für einen Wandel der Welt hin zu einer von Gerechtigkeit und Frieden getragenen Gemeinschaft einsetzt. Die Bewegung ist ökumenisch, kulturell und sozial und in 20 Ländern aktiv. Seit 1990 hat sie einen Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der UN inne. Graal setzt sich für die Mobilisierung und Stärkung von Frauenorganisationen ein, damit sie zu Protagonistinnen in den verschiedenen Räumen werden, in denen sie vertreten sind. 2021 wird Graal sein 100-jähriges Bestehen feiern.
Este es un estupendo artículo, absolutamente motivador para unir fuerzas en esta campaña permanente e iniciando campañas locales y nacionales en otros lugares del planeta.
Es una invitación a esparcir semillas del cambio en las relaciones sociales que promueven el odio hacia las mujeres. Como sabemos esas relaciones provienen del sistema patriarcal , que se reproduce en nuestras sociedades, desde las diferentes esferas de nuestra sociedad. En cada una de esas esferas, tenemos la opción de sumarnos a la reproducción de la injusticia y de la inequidad; pero también tenemos la opción de contribuir iniciado y reforzando programas educativos transformadores de esas formas de relación. SUMEMOS, SUMEMOS, SUMEMOS
„Dies ist ein großartiger Artikel, der absolut motiviert, sich an dieser dauerhaften Kampagne zu beteiligen und lokale sowie nationale Kampagnen in anderen Teilen der Welt zu initiieren. Er ist eine Einladung, Samen des Wandels in den sozialen Beziehungen zu verbreiten, die den Hass auf Frauen fördern. Wie wir wissen, stammen diese Beziehungen aus dem patriarchalischen System, das in unseren Gesellschaften reproduziert wird – in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft. In jedem dieser Bereiche haben wir die Möglichkeit, uns an der Reproduktion von Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu beteiligen. Wir haben aber auch die Möglichkeit, durch die Initiierung und Stärkung von Bildungsprogrammen einen Beitrag zu leisten, um diese Beziehungsformen zu verändern. Lasst uns die Veränderung multiplizieren, multiplizieren, multiplizieren.“