In ihrer Heimat Myanmar werden die Rohingya verfolgt. Doch im Flüchtlingscamp Kutupalong in Bangladesch fühlen sie sich sicher. Über eine Million Rohingya haben in einem der ärmsten Länder der Welt Zuflucht gefunden. Allerdings sind ihre Lebensumstände im größten Flüchtlingslager der Welt alles andere als einfach. Sie dürfen das Camp nicht verlassen, es fehlt an Arbeit, Bildung und teils an gesundheitlicher Versorgung. Misereor-Partnerorganisationen helfen, neue Perspektiven für die Rohingya zu schaffen.
Geschützte Räume für die Rohingya-Kinder
Eine kleine Hütte aus Bambusstangen. Davor ein Hinweisschild mit der Aufschrift: „Dies ist ein kinderfreundlicher Ort“. Die Botschaft will den Umständen trotzen: Gerade an diesem Ort, der eher mit Vorstellungen von Mangel, Not und Leiden verbunden ist, herrschen eben auch Hoffnung und Zuversicht. Insbesondere in dieser Hütte, in den farbenfrohen „Child-Friendly Spaces”, sind die Sorgen und Nöte weit weg. Jedenfalls für eine Weile. Die Aufmerksamkeit der Kleinen ist ganz bei Sabekul Naher, der jungen Erzieherin. Im Halbkreis sitzend lauschen die Kinder der „Geschichte von der Ananas“. Und Sabekul Nahers Handpuppen versetzen die Kleinen erst recht in eine andere Welt.
Von den „Child-Friendly Spaces“ gibt es einige in Kutupalong. Das größte Flüchtlingslager der Welt ist in 34 Untercamps aufgeteilt. Auch hier in Camp 4 hat die Misereor-Partnerorganisation Caritas Bangladesh „Child-Friendly Spaces“ eingerichtet. Hier sollen Kinder unbeschwert spielen und „sie selbst“ sein dürfen. Daneben hat die Caritas auch „Women-Friendly Spaces“ geschaffen, in denen Frauen ganz unter sich sind und ihre Nöte, Sorgen und Freuden miteinander teilen. Caritas Bangladesh hat sich von Beginn an für die Geflüchteten aus Myanmar eingesetzt. Bereits zwei Tage nach der ersten großen Fluchtbewegung im August 2017 leistete sie Notversorgung und unterstützte die Rohingya mit Lebensmitteln – auch mit Hilfe von Misereor.
Zuflucht für eine Million Menschen – auf 13 Quadratkilometern
Eine Million Rohingya haben in Kutupalong Zuflucht gefunden. Aus dem benachbarten Myanmar war die muslimische Minderheit vor ethnischer Gewalt und Verfolgung geflohen. Bereits in den frühen 1990er Jahren kamen die ersten Rohingya aus dem buddhistisch dominierten Myanmar nach Bangladesch. Das Trauma der Vergangenheit bleibt für viele auch hier lebendig: Vom Camp bis zur Grenze mit Myanmar sind es knapp 500 Meter – und ein Blick herüber reicht häufig aus, um den Schrecken wieder lebendig werden zu lassen.
Pioniere der Flüchtlingsarbeit
Zu den Pionieren der Flüchtlingsarbeit in Kutupalong zählt – neben Caritas Bangladesh – auch Uttaran. Die Misereor-Partnerorganisation engagiert sich in Camp 9 für den sozialen Frieden zwischen der lokalen Bevölkerung draußen und den Geflüchteten im Lager. Das soziale Miteinander sei entscheidend. Denn das Camp werde auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Fatima, Mitarbeiterin von Uttaran, erläutert die Aktivitäten der NGO: „Mit Beginn der ersten großen Fluchtbewegung aus Myanmar 2017 musste zunächst das Überleben gesichert werden. Aus der Not heraus wurden ganze Waldstücke abgeholzt, denn für das Kochen gab es ansonsten kein Brennmaterial.“ Darauf reagierte Uttaran mit sehr erfolgreichen Beschäftigungsprogrammen zur Wiederaufforstung.
Soziales Miteinander stärken: Rohingya- und Host-Communities
Uttaran setzt sich für eine Stärkung des sozialen Miteinanders ein. Die Annäherung zwischen der lokalen Bevölkerung und den Geflüchteten ist ihnen ein besonderes Anliegen. Die Organisation hat dafür Community Cohesion Centers (CCCs) eingerichtet. In den CCCs treffen sich Frauen der Host Community mit Rohingya-Frauen und tauschen sich über ihre Lebenserfahrungen und -umstände aus. Auch ihre Geschichten von Folter und Flucht treffen hier in den CCCs auf offene Ohren.
Beschützt – und doch eingeschränkt
Mittlerweile sind die zahlreichen Untercamps von Kutupalong zu einem festen Lager zusammengewachsen, das noch viele Jahre fortbestehen könnte. Denn die Rohingya sitzen in Kutupalong fest. Sie sind staatenlos. Myanmar bietet ihnen keine Perspektive für eine sichere Rückkehr. Und in Bangladesch werden sie weiter als Fremde ausgegrenzt: Hetzkampagnen brandmarken die Rohingya als „Last“ und als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Vor der Gewalt sind sie in Kutupalong sicher. Um Leib und Leben brauchen sie sich nicht zu sorgen. Aber „in Freiheit“ leben sie gewiss nicht. Die Rohingya dürfen das Camp nicht verlassen. Und Menschen der Host Community können das Lager nur mit Passierschein betreten. Vor Sonnenuntergang müssen sie es wieder verlassen haben.
Die Sozialarbeiterin Razia von Uttaran arbeitet in den Community Cohesion Centers. Sie begleitet und moderiert die regelmäßigen Treffen. Razia kommt selbst aus der Host Community und spricht fließend Rohingya. Als Mittlerin zwischen beiden Welten kann die 27-Jährige helfen, weitere Brücken zu bauen und gemeinsame Interessen zu identifizieren. Im Austauschprozess entwickelten sie ein besonderes Projekt: In Gemeinschaftsarbeit werden Kleidungsstücke hergestellt und auf dem Markt verkauft. Die Frauen der Host Community besorgen die Materialien auf dem Großmarkt und liefern es ins Camp. Die Rohingya-Frauen nähen daraus traditionelle Kleidungsstücke, die wiederum von den Host-Community-Frauen auf dem Markt verkauft werden. Uttaran bietet den Rohingya-Frauen Nähkurse an und stellt mit Unterstützung von Misereor Nähmaschinen zur Verfügung. Eine Erfolgsgeschichte, die beide Communities stärker zusammenschweißt.
Ungewisse Zukunft für die Rohingya
In Zeiten der Corona-Krise scheint die Weltöffentlichkeit noch weniger Notiz vom Schicksal der Rohingya zu nehmen. Und der großen Leistung Bangladeschs. Als eines der ärmsten Länder weltweit hat es binnen kurzer Zeit über eine Million Geflüchtete aufgenommen. So leben heute mehr Rohingya in Bangladesch als in Myanmar. In Solidarität mit den Rohingya verurteilte auch der deutsche Minister für Entwicklungszusammenarbeit, Gerd Müller, die Verbrechen gegen die Rohingya in Myanmar als „ethnische Säuberung“. Minister Müller hatte Ende Februar 2020 das Flüchtlingscamp von Kutupalong besucht und angekündigt, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf Eis zu legen. Ein deutliches Signal für die Regierung in Myanmar und die internationale Staatengemeinschaft.
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zur Pionierarbeit von Uttaran in einem eigenen Video der Misereor-Partnerorganisation.