In diesem Jahr ist das Zugehen auf Weihnachten anders als gewohnt. Zu hoffnungsvollen Erwartungen gesellen sich Sorge und Befürchtung. Vor allem die Sorge um die Gesundheit treibt viele Menschen um. Die Corona-Pandemie wird weiterhin unser Leben bestimmen. In dieser außergewöhnlichen Situation drängt sich uns umso stärker die Frage auf: Auf welche Wege führt uns die Weihnachtsbotschaft, will uns die Krippe mitnehmen? Wie können wir Nähe leben, anderen Nächste sein? Wem und was gelten in dieser Zeit unsere Aufmerksamkeit und unsere Solidarität?
Wege zur Krippe
Advent, der Weg zur Krippe. Ein Weg zu sich selbst, zueinander, zum Nächsten, zu Gott. In seiner im Oktober veröffentlichten Enzyklika „Fratelli tutti“ über die universale Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft fordert Papst Franziskus zu entgrenzter Nächstenliebe auf: Jesus „ruft uns nicht auf, danach zu fragen, wer die sind, die uns nahe sind, sondern uns selbst zu nähern, selbst zum Nächsten zu werden“ (FT80). Ein Schrei nach globaler Gerechtigkeit und weltweiter Solidarität.
Ein „Weiter so“ wird es nicht geben
Der Schrei nach Solidarität – er lenkt den Blick in Zeiten der Pandemie und ihrer Folgen auf die globale Krisenverschärfung: Krisen, die etwa aus ungerechten Handelsstrukturen, Ausbeutung der Lebensgrundlagen und einem nicht sorgetragenden Umgang mit der Natur resultieren. Krisen wie Hunger, mangelnde Gesundheitsversorgung, eingeschränkter Zugang zu Bildung, Geschlechterungerechtigkeit – die Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas für multiple gesellschaftliche Missstände. Dass wir hier ein Weitermachen, ein „Weiter so“, definitiv unterbrechen müssen, dass Änderungen nicht nur im Kleinen möglich sind, davon bin ich überzeugt.
Universelle Geschwisterlichkeit in Zeiten der Pandemie
Um die Pandemie zu besiegen, bedarf es großer und vor allem solidarischer Kraftanstrengungen. Tatsächlich gibt es im Bemühen um die Bekämpfung der Pandemie Hoffnungsschimmer. Die Erfolgsmeldungen zu Impfstoffen überschlagen sich geradezu. Doch in die mediale Euphorie mischt sich Sorge. Insbesondere aus Ländern des globalen Südens. Laut Oxfam hat sich eine kleine Gruppe reicher Länder schon jetzt mehr als die Hälfte der zukünftigen Versorgung mit COVID-19-Impfstoffen gesichert. Dieser vergleichsweise elitäre Kreis, der lediglich 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert, hat bereits über fünf Milliarden Impfstoff-Dosen gekauft. Für die ärmsten Länder der Welt hingegen sind bislang weniger als 800 Millionen Dosen vorgesehen. Um einer drohenden „Impfstoff-Apartheid“ (Jayati Ghosh) zu begegnen, hat die WHO schon zu Beginn der Pandemie versucht, gegenzusteuern. Ihre Initiative scheiterte jedoch. Mit Egoismen und Partikularinteressen kann diese Pandemie nicht besiegt werden. Das wird nur gemeinsam gelingen: im Geiste universeller Geschwisterlichkeit. Gegen nationale (Impf-)Egoismen hilft die Sorge füreinander, die Solidarität mit den Schwächeren und Vulnerablen.
Parallelen zur Weihnachtserzählung
Parallelen zur Weihnachtserzählung liegen auf der Hand: Maria, hochschwanger, und Josef müssen sich auf den Weg machen wegen einer Volkszählung; 150 km zu Fuß. In den Herbergen gab es keinen Platz. Sie waren gezwungen, sich im Stall ein Nachtlager zu bereiten. Das Ausgeliefertsein dieser Schutzbedürftigen lässt uns zornig werden. Ebenso lässt es uns zornig werden, wenn das Leben von Menschen im globalen Süden erneut bedroht ist und der Schutz ihrer Leben und ihr Leiden zu wenig im Blick sind, auch im Hinblick auf den unsäglichen Wettbewerb um Impfstoffe. Bleiben wieder einmal die global Vulnerablen auf der Strecke? Ein Patentschutz, der dem Verteilen entgegensteht, muss zur Sicherung des gerechten, weltweiten Zugangs zu Impfstoffen zumindest temporär aufgehoben werden.
„Fürchte dich nicht!”
In diese Krise schlägt die Ankündigung des Boten Gottes wie ein Blitz ein: „Fürchte dich nicht!” Ein Zuspruch in ungewohnten und unsicheren Zeiten. Er erinnert daran, dass der Weg zur Krippe mit dieser Botschaft beginnt. Der Bote gibt uns unmissverständlich mit auf den Weg: „Fürchte Dich nicht!“ Wir können der Zukunft trauen und sie gestalten. Die Zukunft, die er voraussagt, ist un-glaublich: Menschwerdung! Das feiern wir an Weihnachten: Das mächtige Gotteswort der Schöpfung. Leben. Licht. Und dann liegt er da als Kind. Hineingestiegen in das Menschsein, ganz solidarisch, erfährt menschliche Begrenztheit und Verletzlichkeit. Seine Botschaft: universelle Geschwisterlichkeit; Frauen und Männer, die Sorge tragen füreinander.
Unsere Menschwerdung
Den Weg zur Krippe hin, den wir in der Adventszeit aufgenommen haben, endet nicht an der Krippe. Die Krippe ist kein Endziel; sie ist eigentlich ein Anfang. Wir finden uns „nach“ der Krippe mit den Hirten, Maria und Josef weiter auf dem Weg. Dieser Weg geht nicht zurück, nach dem Fest wieder ins Gewohnte. Nach der Begegnung an der Krippe ist der Weg ein anderer. Die weihnachtliche Freude greift über das Leben Jesu voraus auf sein Wirken, seine Praxis und Botschaft, seinen Tod und seine Auferstehung. Weihnachten feiern schickt uns mit ihm auf den Weg. In die Welt. In ihre Brüche und Auseinandersetzungen, an die Seite der Vulnerablen und Bedürftigen. Zwei Bewegungen feiern wir an Weihnachten: Bewegung der Menschwerdung Gottes, der in unsere Welt kommt, gerade mit den Armen – und unsere Menschwerdung zur universellen Geschwisterlichkeit hin.