Hoher Besuch hatte sich für den 23. Januar 2021 angekündigt: Der Präsident persönlich wollte sich an diesem Tag in der Hafenstadt Toamasina über die Entwicklungsprojekte der katholischen Kirche informieren. Andry Rajoelina, Präsident der Republik Madagaskar, kam tatsächlich und verschaffte sich vor Ort einen Eindruck. Zugleich rückte damit ein wichtiges Projekt in den Fokus: das diözesane Gefängnisprojekt zur Humanisierung der Haftbedingungen, das von MISEREOR unterstützt wird.

Das Staatsoberhaupt kommt
Für uns im Vorbereitungskomitee ging es darum, ein vielseitiges Tagesprogramm zu erstellen und für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. Eine ziemliche Herausforderung. So kommentierte der Koordinator des Vorbereitungskomitees und Ökonom der Diözese, Pater Thomas Joseph, es sei mitunter leichter den Heiligen Geist zu verstehen, als die Anweisungen der Bischöfe oder die Anforderungen des Protokolls des Präsidentenbüros. Geschweige denn, diese auch noch zu koordinieren!
Ein Film soll her, aber nicht zu kritisch …
Als Berater des Entwicklungsteams der Diözese hatte ich meine Unterstützung bei der Fertigstellung eines Dokumentarfilms zu den Entwicklungsprioritäten und Projekten der Diözese zugesagt. Dieser Film sollte auch dem Präsidenten gezeigt werden. Drei Kernbotschaften sollte der Film vermitteln: Die Kirche arbeitet für die Armen, sie erreicht die Menschen auch da, wo es keine staatlichen Strukturen gibt und sie stellt die Qualität der Dienste und die Würde der Menschen in den Vordergrund ihrer Arbeit. Der Film sollte also konkrete Projektarbeit präsentieren und dabei auch den Mächtigen ins Gewissen reden. Das Team, das für die Herstellung des Films abgestellt worden war, tat sich schwer mit dem Einspielen von kritischen Punkten. In Madagaskar ist es nämlich tabu, einen Gast mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren. Letztlich wurde ein akzeptabler Weg gefunden, die problematischen Realitäten hervorzuheben, ohne aber die staatlichen Stellen bloßzustellen.

Gefängnisstrafen für Bagatelldelikte
Heikel war der Filmabschnitt, in dem das von MISEREOR unterstützte Gefängnisprojekt vorgestellt wurde. Der Präsident musste erfahren, dass es dem Projekt innerhalb von nur 6 Monaten gelungen war, 70 Inhaftierte frei zu bekommen, die zu Unrecht in staatlichen Gefängnissen vor sich hinvegetierten. Die madagassischen Gefängnisse sind überbelegt und der Justizsektor gilt als äußerst korrupt. Unbescholtene Bürgerinnen und Bürger werden wegen Bagatelldelikten festgenommen. Sie verbringen oft Jahre in Untersuchungshaft und verelenden in den maroden Haftanstalten, wenn sie nicht die Mittel aufbringen können, um etwas „Schmieröl“ in die Getriebe der Justiz einzubringen.
Darf der Präsident eine Rede halten?
Eine andere umstrittene Frage war, ob dem Staatsoberhaupt gestattet werden sollte, das Wort zu ergreifen oder nicht. Die Kirche war sich dem Risiko bewusst. Der Präsident könnte als Politprofi versuchen, kurzerhand sämtliche Projekte als eigene Erfolge vor den Medien zu präsentieren. Letztlich hat Präsident Rajoelina das Wort ergreifen dürfen, aber erst nachdem der Erzbischof von Toamasina, Kardinal Désiré Tsarahazana, und der apostolische Nuntius, Monsignore Paolo Rocco Gualtieri, gesprochen und den Boden bereitet hatten.

Bruthitze begleitet durchs Programm
Viele der Gäste, auch ich, waren erleichtert zu sehen, dass der Präsident leger gekleidet war. Das erlaubte auch uns, Weste und Krawatte abzulegen, um der Bruthitze besser standzuhalten. Zu meinem Erstaunen lief das Tagesprogramm dann so ab, dass die Hauptelemente kurz vor Mittag stattfanden – bei größter Hitze und Sonneneinstrahlung. Denn es ist in der madagassischen Tradition üblich, wichtige Ereignisse bei noch steigender Sonne zu veranstalten.

Kirche macht auch Wetter
Der Präsident wiederholte sowohl in seinen Reden als auch im persönlichen Gespräch seine Verwunderung darüber, dass die meteorologischen Dienste zwar einen durchweg regnerischen Tag angekündigt hatten, es aber durchgehend sonnig geblieben war. Ob es wohl auch in der Macht der Kirche läge, über das Wetter mitentscheiden zu können? Das bejahten die anwesenden Kirchenvertreter entschieden ironisch.
Über den Autor
Frank Wiegandt ist seit März 2019 MISEREOR-Berater in Madagaskar.