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“Ich dachte, Beschneidung sei normal.”

Thérèse Coulibaly. Mali. Workshopleiterin und Aktivistin bei TAGNE. Kämpft für ein Gesetz, das geschlechterbasierte Gewalt und weibliche Beschneidung in ihrem Land verbietet. 

© Nicolas Réméné

Das sind meine Wurzeln… 

Im Alter von acht Jahren wurde ich in meinem Heimatdorf zusammen mit etwa 30 anderen Mädchen beschnitten. Die Schmerzen, die ich während des Eingriffs empfand, und die Blutungen, die folgten, haben sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt. Bis zum Erwachsenenalter jedoch habe ich diese Praktik nie verurteilt – ich dachte, sie sei normal. Zu dieser Zeit war ich mir der katastrophalen Folgen, die daraus resultieren können, nicht bewusst.  

Ich selbst habe sechs Kinder zur Welt gebracht, einen Sohn und fünf Töchter. Mein Sohn starb leider während der Geburt. Es hat jedoch eine ganze Weile gedauert, bis ich entdeckte, dass es keineswegs überall üblich ist, die weibliche Beschneidung zu praktizieren. Erst als mein Mann und ich eine Zeit lang bei der indigenen Gemeinschaft der Touareg im Norden Malis lebten, stellte ich fest, dass sie dort die Frauen nicht beschneiden. Während wir dort waren, habe ich meine zweitjüngste Tochter geboren. Die Geburt dauerte jedoch unheimlich lange: Die indigenen Frauen dort kamen teilweise zwei Stunden nach mir und entbanden dennoch früher als ich. Davon war ich sehr überrascht und fragte nach einer Erklärung, die man mir auch gab: Unbeschnittene Frauen haben eine Klitoris, die ihnen die Geburt erleichtert.  

Dies hat mich sehr bewegt und ich fasste den Entschluss, meine Töchter nicht diesen Schmerzen auszusetzen und gegen diese Tradition vorzugehen. Als ich in den Süden Malis zurückkehrte, lernte ich die Assoziation TAGNE kennen, die gegen die weibliche Beschneidung und geschlechterbasierte Gewalt kämpft. Ich bewarb mich dort erfolgreich und arbeite seitdem mit ganzem Herzen als Workshopleiterin für die Organisation.  

Das verleiht mir Flügel

Heute bin ich froh und stolz, dass ich meine Töchter nicht habe beschneiden lassen. Sie leben ihr Familienleben, ohne unter den Folgen leiden zu müssen. Heute kann ich in meiner Funktion als Workshopleiterin miterleben, dass TAGNE Dank der Partnerschaft mit Misereor mehrere Frauengruppen gegründet hat. TAGNE ist nun auch eine Nichtregierungsorganisation. Die Mitglieder profitieren von einem Fond zur Wirtschaftsförderung, die es den Frauen erlaubt, einkommensschaffenden Aktivitäten nachzugehen. Sie beteiligen sich an Aktivitäten zur Entwicklung der Gemeinden.  

Es war eine tiefe Befriedigung für mich, als zwei der größten Beschneiderinnen und ihre Lehrlinge kamen und meinten: „Die Informationen über die Folgen der Beschneidung, die wir in den Gesprächen und Projektionen während Ihrer Animationssequenzen erhalten haben, haben uns gezeigt, dass wir der Tradition trotzen können und müssen, um die reproduktive Gesundheit unserer Töchter zu erhalten, um ihnen eine erfüllte Zukunft zu garantieren.“ 

Dafür setze ich mich ein

Die Beschulung von Mädchen, die Achtung von Kinderrechten, die Selbstverwirklichung von Frauen, der Kampf gegen die weibliche Beschneidung und jegliche andere Formen geschlechterbasierter Gewalt und besonders die sozio-ökonomische Entwicklung der Frau.

 Meine Arbeit ist getan, wenn… 

…auf nationaler Ebene die Gemeinden die weibliche Beschneidung, Hochzeiten von Minderjährigen und jegliche Formen geschlechterbasierter Gewalt abgeschafft haben, insbesondere wenn die Regierung ein Gesetz verabschiedet hat, dass geschlechterbasierte Gewalt mit einem Fokus auf Beschneidung verbietet. 

Frauen können… 

…zu Protagonistinnen des sozial-ökologischen Wandels werden und zu einer sozialen Entfaltung gelangen, die ihnen einen Führungsstatus in unseren ländlichen und städtischen Gemeinschaften garantieren würde. 


Hintergrund 

“Bis zum Erwachsenenalter habe ich diese Praktik nie verurteilt – ich dachte, sie sei normal”, sagt Thérèse Coulibaly über die weibliche Beschneidung. Wie ihr geht es vielen Frauen: In 28 Ländern Afrikas, in einigen Ländern des Nahen Ostens und in Teilen Asiens wird die Beschneidung, die Verstümmelung der weiblichen Genitalien, bis heute praktiziert. In einigen Regionen Malis beispielsweise sind über 90 Prozent der Frauen betroffen. Die uralte Tradition ist eine fundamentale Verletzung der Menschenrechte, unter die Betroffenen ihr Leben lang leiden. Die Prozedur wird meist ohne Betäubung und oft unter unhygienischen Bedingungen vorgenommen, nicht selten sterben die Mädchen an den Folgen. 

Es gibt jedoch zahlreiche Organisationen und Initiativen, die sich gegen die Praxis stark machen. So auch der Misereor-Partner TAGNE: Die Mitarbeiterinnen gehen in die Dörfer und sensibilisieren für das Thema, sie sprechen mit den Dorfältesten, ermöglichen den Austausch der Frauen und Dörfer untereinander, führen Aufklärungsfilme vor, auch aufklärendes Theater ist Teil der Aktivitäten. Mit Erfolg: Mehr als 24.500 Menschen wurden in die Lage versetzt, die weibliche Beschneidung endgültig aufzugeben, dutzende Dörfer haben in einer feierlichen Zeremonie ein Protokoll unterzeichnet, in dem sie der Tradition offiziell abschwören. Auch auf kommunaler politischer Ebene wird das Engagement gut aufgenommen. Dennoch ist der Weg noch weit. Der internationale Tag der Nulltoleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung wird deshalb jedes Jahr am 6. Februar begangen, um auf das Thema aufmerksam zu machen.  


So können Sie das Projekt unterstützen

Mit Ihrer Spende finanziert Misereor Aufklärung und Beratung gegen die grausame Tradition der Beschneidung von Mädchen und jungen Frauen in Mali.


Sie sind Visionärinnen. Kämpferinnen. Trägerinnen von Entwicklung. Sie sind „Starke Frauen“. In unserer Reihe stellen wir sie und ihre Geschichten vor. ►Alle Interviews im Überblick

Sylvie Randrianarisoa aus Madagaskar


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Geschrieben von:

Ansprechtpartnerin

Jana Echterhoff ist Referentin für Lateinamerika bei Misereor.

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