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#esgehtanders: Wie venezolanische Flüchtlinge in Bolivien unterstützt werden

Bis heute sind über 50.000 Menschen aus Venezuela nach Bolivien geflüchtet. Sie leben vor allem in den Großstädten La Paz, Cochabamba und Santa Cruz. Die Wenigsten haben eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Häufig fehlen offizielle Dokumente, die für eine Einreise bzw. das Erlangen einer Aufenthaltserlaubnis notwendig wären. Die bolivianische Regierung unterhält engste Kontakte zur Regierung in Venezuela. Dies hat auch Folgen für die Flüchtlingspolitik: bislang hat Bolivien keinen einzigen Asylantrag aus Venezuela anerkannt, Geflüchtete werden gleichsam als „Landesverräter“ gebrandmarkt. Durch die Pandemie hat sich die teils prekäre Lebenssituation der Geflüchteten weiter verschlechtert. MISEREOR unterstützt gemeinsam mit dem Kindermissionswerk Die Sternsinger und der Caritas Schweiz lokale Partnerorganisationen bei ihrem Engagement für die venezolanischen Flüchtlinge. Und zeigt: Es geht! Anders.

Geflüchtete Kinder Venezuela in Bolivien
Unter den Geflüchteten sind auch viele Kinder; durch die Pandemie hat sich ihre ohnehin schwierige Lage weiter verschlechtert. © Ronald Espinoza

Geflüchtete in Bolivien – hilflos ohne Papiere

Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis bleibt den Geflüchteten der Zugang zu Gesundheit und Bildung verwehrt. Ebenso werden sie vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Unter ihnen sind zudem viele Kinder, die seit Jahren keine Schule mehr besucht haben. Stattdessen helfen sie ihre Eltern: Als fliegende Händler an den Kreuzungen der großen Avenidas verkaufen sie Süßigkeiten oder putzen die Fenster an den Ampeln haltender Autos. Nur schwer lässt sich genügend Geld aufbringen, um die tägliche Unterkunft, Essen und das Allernotwendigste zu bezahlen. Selbst die kleinen Beträge, die am Ende noch übrigbleiben, schicken viele Familien an die in Venezuela zurückgebliebene Verwandtschaft.

Leben im Lockdown

Als die Interimsregierung in Bolivien am 22. März 2020 den Lockdown verkündete, verloren die meisten geflüchteten Venezolanerinnen und Venezolaner ihre Einkommensmöglichkeiten und damit auch ihre Unterkunft. Waren zuvor etwa 150 bis 200 Menschen hauptsächlich von Peru nach La Paz oder von Brasilien nach Santa Cruz gekommen, vervielfachte sich ihre Zahl nun. Schnell waren die Kapazitäten in den Aufnahmestätten (Casas de Migrante) lokaler Hilfsorganisationen erschöpft. So auch bei den kirchlichen Hilfsorganisationen Fundación Scalabrini, der Caritas Cochabamba und der Fundación Munasim Kullakita, die venezolanischen Migrantinnen und Migranten unterstützen.

Bolivien Corona Pandemie
Die von COVID-19 verursachte ökonomische Krise in Bolivien erschwert auch die weitere Integration der Geflüchteten aus Venezuela; dennoch geben sich die Hilfsorganisationen verhalten optimistisch. © Ronald Espinoza

Schnelle und flexible Hilfe

Das Lokalbüro der Caritas Schweiz in La Paz leitete den Hilferuf lokaler Partnerorganisationen weiter an MISEREOR und das Kindermissionswerk Die Sternsinger. Schnell und flexibel wurde mit den gemeinsam finanzierten Maßnahmen an die 500 Familien geholfen: zusätzliche Unterkünfte, Essen und Hygienekits, aber auch medizinische, rechtliche und psychologische Betreuung wurden zur Verfügung gestellt. Alle Kinder und Jugendlichen dieser Familien nahmen an den geförderten spielerischen und Bildungsmaßnahmen teil. Unterstützt wurde ferner die Schutzausrüstung für das Personal, die Aufklärungsarbeit zur Prävention von COVID-19 – und die Prävention von familiärer Gewalt in den Unterkünften, denn in Zeiten der Pandemie und Quarantänemaßnahmen hat auch in Bolivien die „häusliche Gewalt“ stark zugenommen.

Casas de Migrante: alternative Beherbergungen

Als Anfang Juni die Quarantäne gelockert wurde, zog es auch die Geflüchteten auf die Straße, um Geld für ihre Familien in Venezuela zu verdienen. Das Infektionsrisiko stieg enorm. Die Zahl der Infizierten in Bolivien verdreifachte sich im Juni, das Gesundheitssystem kollabierte und die Zahl der Toten stieg ebenfalls drastisch an. Wegen der Furcht vor einer Ansteckung stellte die Beherbergung in gemeinschaftlichen Schlafräumen – eigentlich der Regelfall in den Casas de Migrante – für viele der Flüchtenden keine Option mehr dar. Die Organisationen passten daraufhin ihr Konzept an: Nun belegt eine Familie jeweils nur ein Zimmer. Zusätzlich werden diejenigen unterstützt, die selbst Zimmer oder Wohnungen angemietet haben. Instrumente der Wahl sind Mietzuschüsse, Hilfe bei der Ausstattung von Wohnung und Küche sowie Einkaufsgutscheine. Über 300 venezolanischen Familien, viele von ihnen mit Bleibeperspektive in Bolivien, konnte in dieser Phase bereits geholfen werden, zukünftig auf eigenen Beinen zu stehen.

Hilfsgüter Casa del Migrante
Über 300 venezolanischen Familien, viele von ihnen mit Bleibeperspektive in Bolivien, konnte im Lockdown geholfen werden, zukünftig auf eigenen Beinen zu stehen. © Ronald Espinoza

Abschiebungen ohne Wirkung

Bis zur wirklichen Integration ist es jedoch ein weiter Weg. Die administrativen Hürden sind enorm und die Kosten hoch. Dennoch ist sie alternativlos. Eine rigorose Ausgrenzungspolitik wie in der Vergangenheit, etwa in Form von Abschiebungen, hat ihre Wirkung verfehlt: Die Venezolanerinnen und Venezolaner kehren über die „grüne Grenze“ zurück, auch weil sie einfach keine Alternativen sehen. Weder Peru noch Chile lassen die Menschen aus Venezuela legal ins Land; in Brasilien fürchten sie Gewalt und Ausbeutung; und selbst im früher vergleichsweise reichen Argentinien sehen sie für sich weniger Möglichkeiten als in Bolivien.

Migrationspolitik muss humanisiert werden

Wie sich die Situation für die Venezolanerinnen und Venezolaner in Bolivien nach dem Wahlsieg der MAS-Partei unter Luis Arce entwickeln wird, ist noch offen. Klar ist, dass es eine Humanisierung der Migrationspolitik geben muss. Die von COVID-19 verursachte ökonomische Krise, die auch vielen Bolivianerinnen und Bolivianern schwer zu schaffen macht, erleichtert die Aufgabe nicht. Dennoch geben sich die bolivianischen Organisationen verhalten optimistisch. Dazu trägt auch das solidarische Engagement von MISEREOR, Caritas Schweiz und dem Kindermissionswerk bei, die diese Arbeit weiterhin unterstützen.

Über den Autor

Richard Haep, Leiter Caritas Schweiz in Bolivien.


Es geht! Anders.

Dieser Artikel ist Teil einer Beitragsreihe, mit der die Fastenaktion 2021 begleitet wird. Sie setzt sich mit politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Hintergründen in Bolivien auseinander. Das südamerikanische Land bildet in diesem Jahr den Schwerpunkt. Die Jahresaktion von MISEREOR steht unter dem Leitwort Es geht! Anders. Gemeinsam möchten wir Antworten suchen auf die Frage, was wir tun können, damit ein menschenwürdiges und gutes Leben für immer mehr Menschen – hier und weltweit –möglich wird.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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