Bis zum Jahr 2030 soll kein Mensch mehr Hunger leiden müssen. Das ist das zweite der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), auf die sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2015 geeinigt hat. Heute, knapp neun Jahre vor 2030, sind wir weiter denn je davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Um bis zu 161 Millionen Menschen ist die Anzahl der Hungernden im Pandemie-Jahr 2020 gestiegen. Schon vorher hatten 650 Millionen Menschen nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung. Die Corona-Pandemie hat die systematischen Ungerechtigkeiten im Ernährungsbereich offengelegt und bestehende Missstände noch weiter verstärkt.
Recht auf Nahrung als Leitbild
Als Weltgemeinschaft ringen wir um die Bewältigung einer der größten und wichtigsten Aufgaben überhaupt: der Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung. Nahrung ist Leben. Dass so viele Menschen hungern müssen, wo doch eigentlich genug Lebensmittel für alle vorhanden sind und produziert werden, ist ein Verbrechen. Um Ernährungssicherheit zu schaffen und dabei einer Welt ohne Hunger näherzukommen, brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz, klare politische Rahmenbedingungen und den politischen Willen, diese umzusetzen. Dort, wo akuter Hunger herrscht, muss Nahrungsmittelhilfe geleistet werden, um die größte Not zu lindern. Gleichzeitig müssen wir auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene eine behutsame Transformation der Ernährungssysteme auf den Weg bringen. Entlang der gesamten Kette, von der Nahrungsproduktion bis auf die Teller, müssen der Zugang aller Menschen zu einer ausgewogenen Ernährung, die ökologische Nachhaltigkeit sowie gerechte Beschäftigungsbedingungen und faire Einkommen für Erzeuger*innen im Vordergrund stehen. Und nicht allein wirtschaftliche Interessen und die Gewinnmaximierung einiger weniger. Und zwar hier und in den von Hunger betroffenen Ländern.
Misereor-Empfehlungen für eine Welt ohne Hunger
Um das zu erreichen, muss das Menschenrecht auf Nahrung Leitbild für eine stringente Politik der vielen Schritte auf allen Ebenen werden:
- Weltweit: Misswirtschaft und Korruption müssen überall angegangen werden. Dazu braucht es z. B. eine starke parlamentarische Kontrolle und freie Medien zum Monitoring der Arbeit der Regierungen. Zwingend notwendig ist es in vielen Fällen auch, die Teilhabemöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure an gesamtgesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu stärken. Betroffene müssen ihre Rechte vom Staat einklagen können.
- Europäische Union: Das Menschenrecht auf Nahrung muss Grundlage der EU-Agrar- und Agrarhandelspolitik sowie der Entwicklungszusammenarbeit werden. Staaten müssen die Möglichkeit haben, ihre landwirtschafts-, fischerei- und ernährungspolitischen Rahmensetzungen im Sinne der Ernährungssouveränität selbst zu gestalten und beispielsweise ihre Märkte vor gesamtgesellschaftlich schädlichen Importen zu schützen.
- Deutschland: In der staatlichen Entwicklungspolitik sollte der „Food-First“-Ansatz gelten: Unterstützte Projekte im Landwirtschaftsbereich müssen zuerst vor Ort die Ernährung sichern, statt direkt Agroenergie oder Futtermittel zu fördern, die häufig in den Export gehen. Agrarökologie sollte als Förderschwerpunkt der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit im Agrar- und Ernährungsbereich verankert werden. Dafür braucht es systematische Investitionen in die regionale, nach agrarökologischen Prinzipien ausgerichtete Landwirtschaft. Auch die agrarökologische Beratung für Kleinbäuerinnen und -bauern sollte gestärkt werden.
Kleine, einheimische Betriebe statt multinationaler Konzerne
In der internationalen Zusammenarbeit sollten kleine, einheimische Betriebe gefördert werden, statt die Marktmacht internationaler Unternehmen weiter zu stärken. Die Marktbedingungen für Kleinbäuerinnen und -bauern sollten verbessert werden. Sie brauchen unter anderem Infrastruktur, um Obst und Gemüse richtig lagern und Nachernteverluste reduzieren zu können. Diese machen ein Drittel der Verluste aller essbaren Lebensmittel im Globalen Süden aus. Die Maßnahmen sollten die Umsetzung der UN-Erklärung zu den Rechten von bäuerlichen Produzent*innen und anderen Menschen im ländlichen Raum (UNDROP) anstreben, angefangen mit dem Recht auf Land (Artikel 17).
Förderung agrarökologischer Ansätze
In der Agrarpolitik ist ein kritischer Blick auf die eigene Produktion maßgeblich: Durch den globalen Handel erzeugt die deutsche Nahrungsmittelerzeugung im Inland wie im Ausland hohe Treibhausgasemissionen und verbraucht große Flächen. Besonders viele Ressourcen benötigt zum Beispiel die intensive Tierhaltung, während der Fleischkonsum in Deutschland die empfohlene Menge um etwa das Doppelte überschreitet. Deshalb muss auch hierzulande die Transformation des Ernährungssystems schnell vorangebracht werden. Dazu gehört zum Beispiel eine Förderung von agrarökologischen Ansätzen, eine schnelle und für die Erzeuger*innen faire Reduzierung der Tierbestände und Anreize zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung.
Dieser Artikel ist Teil der MISEREOR-Publikation Herausforderung Hunger, die heute erschienen ist.
Was wir selbst tun können
Weniger tierische Lebensmittel konsumieren: Denn für die intensive Fleisch-, Milch- und Eierproduktion in Deutschland werden große Mengen an Futtermitteln benötigt, die vielfach in agrarindustriellen Monokulturen in Südamerika produziert werden. 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft entfallen auf die Tierhaltung.
Bio- und fair gehandelte Produkte kaufen: Fairer Handel ist eine Möglichkeit zur Armutsbekämpfung. So bekommen Erzeuger*innen einen verlässlichen Absatzmarkt für ihre Produkte und wenigstens einen Mindestpreis, vielfach aber sogar einen Preis, der unter Umständen doppelt so hoch sein kann wie der Weltmarktpreis. Bio bedeutet, dass z. B. keine chemisch-synthetischen Pestizide angewendet werden dürfen, die die Gesundheit gefährden und teuer eingekauft werden müssen.
Wenn alle an einem Strang ziehen, ist Hunger überwindbar!
Weitere Informationen:
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Wie Vielfalt hilft den Hunger zu bekämpfen | MISEREOR | MISEREOR