Vor drei Jahren brach nahe der Kleinstadt Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien der Staudamm I der Mina Córrego do Feijão. Noch heute sorgt das von der Eisenerzmine des Bergbaukonzerns VALE S.A. verursachte sozial-ökologische Verbrechen landesweit und international für Schlagzeilen. Anlässlich des 3. Jahrestages hat MISEREOR – gemeinsam mit 12 weiteren internationalen Organisationen – der Regionalregierung von Minas Gerais gerade einen Offenen Brief überreicht, in dem die Forderungen der Betroffenen zur ganzheitlichen Wiedergutmachung unterstützt werden.
Durch den Dammbruch am 25. Januar 2019 starben 272 Menschen. Sechs Familien warten noch immer darauf, dass die sterblichen Überreste ihrer Angehörigen geborgen werden. Dreizehn Millionen Kubikmeter giftiger Schlamm flossen in das Flussbett des Rio Paraopeba. Die Folgen für die Selbstversorgung und Gesundheit der Menschen in den anliegenden Gemeinden und das lokale Ökosystem sind bis heute verheerend. Was in Brumadinho geschah, ist – neben dem Dammbruch in der nur 100 Kilometer entfernten Gemeinde Mariana im November 2015, nur drei Jahre zuvor – eins der größten Bergbauverbrechen in Brasilien.
Ermittlungen noch nicht abgeschlossen
Die Stabilität des Dammes in Brumadinho wurde nur wenige Monate vor dessen Bruch von einem Tochterunternehmen des deutschen TÜV Süd bescheinigt. Dies geschah trotz vorheriger Kenntnis sowohl des betreibenden Bergbauunternehmens VALE als auch des Zertifizierungsunternehmens über bestehende Sicherheitsrisiken. Gemeinsam mit fünf Angehörigen von Opfern des Dammbruchs erstatteten MISEREOR und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) deshalb bereits 2019 eine Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen gegen den TÜV Süd und Strafanzeige gegen einen ihrer Mitarbeiter in Deutschland, der mutmaßlich von den Sicherheitsrisiken wusste. Das Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft ist noch nicht abgeschlossen.
Brasiliens Dammbrüche sind keine Einzelfälle
Dammbrüche sind landesweit in Brasilien und in Minas Gerais im Besonderen keine Einzelfälle, sondern zeugen von grundlegenden strukturellen Problemen im Bergbausektor, durch die Menschen und Natur existenziell in Gefahr gebracht werden. Vor den Dammbrüchen in Mariana und Brumadinho brachen in Minas Gerais bereits sechs Rückhaltebecken anderer Minen. In Mariana verseuchten am 5. November 2015 62 Millionen Kubikmeter Minenschlamm zwei Ortschaften der Gemeinde, 19 Menschen starben, der Flusslauf eines der artenreichsten Flüsse Brasiliens wurde vergiftet. Die Gemeinden entlang des Rio Doce sind bis heute besonders schwer von den Folgen betroffen. Die giftigen Schlämme wurden bis zu der 300 Kilometer entfernten Mündung des Flusses in den Atlantischen Ozean nachgewiesen.
Permanente Gefahr
Ein großer Teil der Bevölkerung in Minas Gerais lebt in permanenter Gefahr vor einem Dammbruch! Die traumatische Belastung durch die Dammbrüche 2015 und 2019 ist enorm. Die brasilianische Bergbaubehörde hat allein im Bundesstaat Minas Gerais für über 40 Dämme eine Sicherheitswarnung ausgegeben. Drei dieser Dämme weisen die höchste Warnstufe auf. Auch diese Dämme gehören, wie in Brumadinho und Mariana, dem Unternehmen VALE. Neben dem Staudamm in Brumadinho hatte TÜV Süd Brasilien offenbar auch weitere problematische Dämme für stabil befunden. Nach dem Dammbruch in Brumadinho unterzog TÜV Süd die eigene Arbeit zu diesen Dämmen einer Revision und äußerte sich im März 2019 über sieben dieser Dämme nunmehr „besonders besorgt“. Das Unternehmen räumte auch ein, dass Unsicherheiten bestehen, ob im brasilianischen System zur Erklärung der Staudammstabilität (DCE) zuverlässige Aussagen über die Stabilität von Dämmen geliefert werden können.
Massive Regenfälle erhöhen das Risiko
Durch massive Regenfälle in den letzten Wochen verschlimmert sich die ohnehin schon dramatische Lage der Bevölkerung in Minas Gerais und besonders in Brumadinho. Das Zentrum der 40.000 Einwohner zählenden Stadt und viele weitere Regionen sind überflutet. Die Versorgung der Menschen kann nicht sichergestellt werden. Strom- und Wasserleitungen sind unterbrochen. Einzelne Regionen waren tagelang nicht erreichbar, Hilfsaktionen für die betroffenen Menschen nicht möglich. Durch die Wassermassen steigt die unmittelbare Gefahr weiterer Dammbrüche. Am 8. Januar lief ein Damm im Bergwerk Pau Branco des französischen Unternehmens Vallourec im Landkreis Nova Lima über und entlud abermals Schwermetalle in die Umwelt. Hunderte Familien mussten aufgrund der Überschwemmungen ihre Häuser verlassen. Giftige Bergbauschlämme, die seit 2019 die Region belasten und vom verantwortlichen Bergbauunternehmen VALE nie umfassend beseitigt wurden, werden dadurch weiter in der Region verteilt und Böden verseucht. Sie stellen eine akute gesundheitliche Gefahr dar, da die Schlämme bis in die Häuser geschwemmt werden.
Unternehmen machen sich ihre eigenen Spielregeln
Das Verbrechen in Brumadinho sowie die erneuten Gefahren und Sicherheitsrisiken zeigen das Versagen des Staates und der Bergbauunternehmen. Sie haben keinerlei Maßnahmen ergriffen, damit sich Ereignisse wie das in Mariana nicht wiederholen. Mariana nunca mais! („Nie wieder Mariana!“) – das Versprechen von Fabio Schwartzman, dem ehemaligen VALE-Chef, war nur drei Jahre später hinfällig. Bis heute wurden die Verursacher des Verbrechens in Brumadinho nicht zur Verantwortung gezogen. Außerdem gibt es keinen strikten Regulierungs- und Kontrollrahmen hinsichtlich des verantwortungslosen Bergbaumodells, bei dem die Unternehmen die Spielregeln scheinbar selbst diktieren. Das Reparationsabkommen, geschlossen zwischen VALE und dem Bundesstaat Minas Gerais, in dem sich VALE zur Zahlung von 37,7 Milliarden brasilianischen Reais (heute ca. 6 Mrd. Euro) Schadensersatz verpflichtet, wurde ohne Einbeziehung der direkt Betroffenen durch den Dammbruch ausgehandelt. Es beinhaltet große Teile für den Wiederaufbau von Infrastruktur, die in erster Linie dem Unternehmen selbst und seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zugutekommt. Für die Betroffenen ist nur ein geringer Anteil inbegriffen.
VALE: Wertzuwachs trotz Dammbruch-Verbrechen
Mit einem Anstieg der Rohstoffpreise verzeichnete auch VALE trotz des Dammbruchs 2019 einen hohen Wertzuwachs. Zwischenzeitlich brach aufgrund der weltweiten Corona Pandemie dieser Wert wieder ein. Nichtsdestotrotz zahlte das Unternehmen den Investoren eine Dividende von insgesamt 40,2 Mrd. Reais (ca. 6,6 Mrd. Euro) für das erste Halbjahr 2021, während die direkt Betroffenen weiterhin um eine angemessene Entschädigung gerichtlich streiten müssen.
Brasilianische Rohstoffe in deutschen Autos
Deutschland und die deutsche Industrie sind durch den Import brasilianischen Eisenerzes an den Auswirkungen des Bergbaus mitbeteiligt. Im Jahr 2020 bezog die deutsche Wirtschaft 35 % des importierten Eisenerzes und 27 % des Roheisens aus Brasilien (BGR, Rohstoffsituation 2020). Das zu Stahl weiterverarbeitete Eisenerz und Roheisen kommt hauptsächlich in der Automobil- und in der Bauindustrie zum Einsatz. Das Bergbauunternehmen VALE ist der weltweit größte Eisenerzproduzent. Auch in Brumadinho strebt das Unternehmen bereits eine Ausweitung seiner Tätigkeiten an, trotz des Dammbruchs.
Sorgfaltspflichten von Unternehmen
Um Verbrechen wie in Brumadinho vorzubeugen, müssen Unternehmen verpflichtet werden, die Risiken in ihren gesamten Lieferketten zu untersuchen. Ein starkes EU-Lieferkettengesetz muss Unternehmen dazu verpflichten,
- umfassend menschenrechtliche und ökologische Risiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu untersuchen,
- entsprechende Maßnahmen zu ergreifen,
- transparent zu berichten und
- Beschwerdemöglichkeiten zu schaffen.
Neben behördlichen Sanktionen – wie Bußgeldern und dem Ausschluss von öffentlicher Beschaffung – muss die Gesetzgebung Schadensersatzklagen auch vor europäischen Zivilgerichten ermöglichen, wenn hiesige Unternehmen durch mangelnde Sorgfalt zu Schäden beigetragen haben. Wirtschaftsverbände versuchen aktuell, entsprechende Pläne der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments zu verzögern und zu verwässern.
Lebensbedingungen zukünftiger Generationen
Am dritten Jahrestag des Verbrechens von Brumadinho gedenken wir gemeinsam mit unseren Freund*innen und Partner*innen der Opfer des Bergbaus und erinnern daran, dass das derzeitige Modell der Ausbeutung von Rohstoffen die Lebensbedingungen heutiger und zukünftiger Generationen und die Selbstbestimmungsrechte der Gemeinden verletzt, die Rechte der Bevölkerungen untergräbt und Ökosysteme zerstört. In Deutschland und Brasilien müssen Maßnahmen getroffen werden, damit sich Verbrechen wie in Brumadinho nicht wiederholen!
Autor*innen: Constantin Bittner ist MISEREOR-Berater für Bergbau, Ökologie und Menschenrechte. Letícia Soares Peixoto Aleixo arbeitet für die Caritas in Minas Gerais.
Offener Brief an die Regionalregierung
Gemeinsam mit 12 internationalen Organisationen hat MISEREOR anlässlich des 3. Jahrestages einen Offenen Brief an die Regionalregierung in Minas Gerais überreicht. Damit unterstützen wir die Forderungen der Betroffenen zur ganzheitlichen Wiedergutmachung der Auswirkungen des Dammbruchs. Die Betroffenen müssen in die Prozesse der Aufarbeitung und der Kompensationen unmittelbar einbezogen werden und darin eine zentrale Rolle spielen!
Hintergrund
MISEREOR arbeitet mit Partnerorganisationen in Brumadinho, um die direkt Betroffenen des Dammbruchs sowohl juristisch als auch beim Wiederaufbau von Lebensgrundlagen zu unterstützen. Aufgrund der aktuellen Notfallsituation unterstützt MISEREOR Betroffene der Überschwemmungen mit Nothilfemaßnahmen.
Weitere Informationen:
KAMPAGNE Initiative Lieferkettengesetz