Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine suchen Unternehmen und Regierungen fieberhaft nach alternativen Rohstoffquellen, um sich aus der Rohstoffabhängigkeit zu lösen – und schlimmstenfalls für einen Importstopp zu wappnen. Dabei fällt ihr Augenmerk auch auf Hotspots von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung, teilweise in fragilen Ökosystemen. Umso dringlicher ist jetzt ein EU-Lieferkettengesetz, das Mensch und Umwelt in globalen Geschäften europäischer Unternehmen wirksam schützt. Längst überfällig sind darüber hinaus politische Vorgaben, die den Rohstoffverbrauch senken und Kreislaufwirtschaft mittelfristig zur Norm erheben.
Die deutsche Abhängigkeit von Russland betrifft nicht nur Erdöl, Erdgas und Steinkohle, sondern auch viele Metalle: Laut der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) importierte Deutschland 2020 Metalle im Wert von 2,8 Mrd. Euro aus der Russischen Föderation. Ob das so bleibt, ist ungewiss. Viele Unternehmen wollen an bestehenden Lieferverträgen zwar festhalten, aber möglichst keine neuen abschließen. Für Steinkohle hat die EU nach Bekanntwerden der Gräueltaten in Butscha bereits ein Steinkohleembargo gegenüber Russland beschlossen. Russische Steinkohleimporte, die im letzten Jahr 56 Prozent des deutschen Bedarfs gedeckt hatten, müssen daher bis Mitte August eingestellt werden. Alexander Bethe, Vorstandsvorsitzender des deutschen Vereins der Kohleimporteure, hält dies dennoch für verkraftbar: „Steinkohleimporte aus Russland können in wenigen Monaten vollständig durch andere Länder ersetzt werden. Insbesondere aus den USA, Kolumbien und Südafrika.“
Indigene in Kolumbien als Leidtragende
In der aktuellen Lage ist die Kehrtwende ethisch durchaus geboten, damit Putins Angriffskrieg nicht länger aus europäischen Rohstoffeinnahmen finanziert wird. Das Problem: In Kolumbien etwa verdrängt der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas El Cerrejón – unter anderem Zulieferer von STEAG – die umliegenden indigenen Gemeinden der Wayuu und gräbt ihnen buchstäblich das Wasser ab. Zwangsumsiedlungen sowie Mordanschläge auf Indigene und Gewerkschafter*innen sind im Umfeld von Kohleminen in Kolumbien keine Seltenheit. Auch von ökologischen Langzeitfolgen durch den Rohstoff-Abbau sind zahlreiche Regionen im globalen Süden betroffen: In den südafrikanischen Provinzen Mpumalanga und Limpopo z.B. verseucht der Kohleabbau durch saure Grubenwässer Flüsse und Grundwasser, zerstört landwirtschaftliche Anbauflächen und verursacht durch Feinstaub massenhaft Staublunge, Herzerkrankungen und Krebs.
Auch bei der Alternativensuche für metallische Rohstoffe stehen Unternehmen vielfach vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Um etwa russische Nickelimporte zu ersetzen, fällt ihr Augenmerk zwangläufig auf Indonesien und die Philippinen, wo sich fast die Hälfte der weltweiten Nickelproduktion konzentriert. Aktuell plant VW bereits mit den chinesischen Unternehmen Tsingshan Group und Huayou Cobalt ein Gemeinschaftsunternehmen, um in Indonesien Laterit-Nickelerz zu verarbeiten. Ein gefährliches Terrain, denn Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen sind beim Abbau und der Weiterverarbeitung von Nickel in Indonesien weithin bekannt. Ähnliches gilt für die Philippinen: Zwischen 2016 und 2020 wurden dort unter dem martialischen Präsidenten Rodrigo Duterte laut Global Witness 166 Landrechts- und Umweltverteidiger*innen ermordet, deutlich mehr als in jedem anderen Land der Erde. Die meisten von ihnen hatten sich gegen Bergbau, Holzeinschlag oder Staudämme gewehrt.
EU-Lieferkettengesetz jetzt dringlicher denn je
Nicht minder problematisch ist das Vorhaben von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, zur Sicherung von Flüssiggas für die deutsche Wirtschaft eine Energiepartnerschaft mit dem Emirat Katar abzuschließen, das für Menschenrechtsverletzungen u.a. gegenüber Arbeitsmigrant*innen berüchtigt ist. Zur Rechtfertigung verweist er auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wonach deutsche Unternehmen auch bei Geschäftspartnern im Ausland die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards sicherstellen müssen. Dabei hatten nicht zuletzt die Grünen die Verwässerung des Gesetzes durch Habecks Amtsvorgänger Peter Altmaier angeprangert. Zum Beispiel gelten Sorgfaltspflichten vollumfänglich nur mit Blick auf direkte Zulieferer. Verstöße begründen laut Gesetz explizit keine zivilrechtliche Haftung für die entstandenen Schäden. Auch Umweltstandards werden nur punktuell berücksichtigt.
Abhilfe könnte ein wirksames EU-Lieferkettengesetz schaffen, das die Wirtschaft europaweit in die Pflicht nimmt und zur Nachbesserung des deutschen Gesetzes verpflichtet. Just am Tag vor der russischen Invasion hat die Europäische Kommission am 23. Februar ihren Vorschlag für eine Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfalt im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt. Positiv ist, dass Sorgfaltspflichten demnach nicht nur die Menschenrechte, sondern auch Umwelt und Klima umfassen. Neben behördlichen Sanktionen schlägt die Kommission außerdem eine zivilrechtliche Haftung für Schäden vor, wenn Unternehmen diese durch Missachtung der Sorgfaltspflichten mit verursacht haben. Allerdings enthält auch der Kommissionsvorschlag problematische Schlupflöcher. Zum Beispiel sollen Sorgfaltspflichten prinzipiell zwar für die gesamte Wertschöpfungskette gelten, allerdings begrenzt auf so genannte „etablierte Geschäftsbeziehungen“, die auf Dauer angelegt sind. Kurzfristige Geschäfte, beispielsweise an Warenterminbörsen, die Mensch und Umwelt ebenfalls schaden können, würden damit ausgeklammert.
Ukrainekrieg als Vorwand, um Menschenrechte auf die lange Bank zu schieben
Trotz dieser Schwächen laufen Wirtschaftsverbände Sturm und konnten dafür auch die CDU und CSU mobilisieren. Dafür wird ausgerechnet der Ukrainekrieg instrumentalisiert, der Menschenrechtsrisiken weltweit erhöht. So forderte Manfred Weber (CSU) als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei am 10. März Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Schreiben auf, die Pläne zu einem EU-Lieferkettengesetz zu vertagen, „bis die Auswirkungen der Krise vollständig bekannt sind“. Dabei wird das EU-Lieferkettengesetz – nach Beratungen in und zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission – voraussichtlich erst in vier Jahren in Kraft treten, auf die Unternehmen aktuell also keinerlei Auswirkungen haben. Zudem zeigen alle seriösen Projektionen – von der Bundesregierung, EU-Kommission, London School of Economics bis hin zu Ernst and Young – dass die Umsetzungskosten für Unternehmen keine relevante Belastung darstellen werden.
Keine Resilienz ohne Nachhaltigkeit – keine Nachhaltigkeit ohne Rohstoffwende
Besonders deutlich wird: Auch für die Wirtschaft gibt es keine Resilienz ohne Nachhaltigkeit. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz würde maßgeblich dazu beitragen, dass Unternehmen frühzeitig Risiken für Menschenrechte und die Umwelt, aber auch für die Versorgungssicherheit erkennen, in Russland wie anderswo. Darüber hinaus gilt aber auch: Nachhaltigkeit gibt es nicht ohne eine grundlegende sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Blick auf die Alternativen zu russischen Rohstoffen macht deutlich, dass nachhaltige Rohstoffe ein äußerst knappes Gut sind. Oberstes Gebot der Stunde ist daher eine drastische Senkung des Verbrauchs energetischer wie auch metallischer Rohstoffe. Wirklich nachhaltig sind auch die Mobilitäts- und Energiewende nur dann, wenn sie mit einer Rohstoffwende einhergehen. Gerade eine „Zukunftskoalition“ darf vor diesem Hintergrund keine strikten Vorgaben scheuen, die den Rohstoffverbrauch senken, Recycling verbessern und mittelfristig Kreislaufwirtschaft zur Norm erheben.