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Doppeltes Leid der Guarani-Mütter in Südbrasilien

In Brasilien hungern immer mehr Menschen, während die Regierung Lebens- und Futtermittel im großen Stil ins Ausland exportiert. Gleichzeitig nimmt die Agrarindustrie hektarweise Land ein und zerstört die Heimat der indigenen Stämme: Sie erleben Vertreibung, Gewalt, Hunger und Armut. Die Regierung verschließt die Augen vor diesen Problemen. Kurz vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien spricht Matías Rempel, Koordinator des indigenen Missionsrates CIMI in Mato Grosso do Sul, im Interview über die schwierige Situation der Indigenen und über das Land vor der Wahl.

Mann und zwei brasilianische Frauen auf einem Feld
Die Frauen aus Pyelito Kué berichten Matías Rempel (CIMI) von ihrem zerstörten Maisfeld. © Florian Kopp / Misereor

Herr Rempel, wie steht es um die Guaraní-Kaiowá in Mato Grosso do Sul?

Die Situation ist dramatisch. Die meisten Indigenen leben zusammengepfercht in Reservaten zwischen Viehweiden und Sojafeldern und warten darauf, dass der Staat ihnen endlich ihr Land zurückgibt, das zum Teil seit Jahrzehnten von der Indigenen-Behörde als indigenes Stammesland ausgewiesen ist, aber weiterhin von Großgrundbesitzern bewirtschaftet wird. Viele Indigene sind deshalb zu Landbesetzungen übergegangen, um den Druck auf den Staat zu erhöhen.

Wie ernähren sie sich?

Die Indigenen haben kaum Land und hängen von den Lebensmittellieferungen der Regierung ab. Doch die kommen sehr unregelmäßig und seit der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro sind sie noch seltener geworden. Die dafür zuständige Indigenen-Behörde lieferte von Januar bis Mai 2022 nichts. Für die Indigenen ist es wegen der großen Entfernungen zu den Städten und dem Rassismus, den sie erfahren, schwierig, Arbeit zu finden. Sie haben also keine Ernte und kein Geld. Das führt zu struktureller Unter- und Mangelernährung, schon bei den Kindern, und immer wieder zu akuten Hungerkrisen.

Was bedeutet das für die Frauen?

Für sie ist das ist ein noch größeres Drama, denn sie sind für die Lebensmittelzubereitung der Familie zuständig. Die Mütter haben in der Regel mehrere Kinder und haben nicht nur selbst Hunger, sondern leiden auch, wenn sie ihre hungrigen Kinder sehen. Es ist also doppeltes Leid.

Brasilien: Mutter mit zwei Kindern im brasilianischen Dorf Pyelito Kué
Ein halbes Kilo Reis vom Vorabend: Das ist alles, was Gilda Rodrigues und ihre Familie heute zu Essen haben. © Florian Kopp / Misereor

Brasilien hatte zur Jahrtausendwende ein sehr erfolgreiches Null-Hunger-Programm. Wieso ist das Land nun in dieser Situation?

Das hat mit der Politik zu tun. Der rechtspopulistische Präsident Bolsonaro hat die Hilfen für die Indigenen verringert, um sie für ihren Kampf um ihr Land zu bestrafen. Diese Regierung geht davon aus, dass die Indigenen, wenn man sie aushungert, aufgeben und in die Reservate zurückkehren werden.

Und gleichzeitig fördert die Regierung die industrielle Landwirtschaft und den Export von Agrarprodukten in die ganze Welt.

So ist es. Die Indigenen leben inmitten von Soja- und Rinderfarmen. Das Wenige, das sie auf ihren kleinen Flächen selbst anbauen können, wird zerstört durch Pestizide oder durch Rinder, die Zäune durchbrechen und ihre Felder zertrampeln. Die industrielle Landwirtschaft ernährt also andere Länder, entzieht den Indigenen aber die Ernährungsgrundlage.

Dieses Problem besteht in Brasilien schon länger, bedingt unter anderem durch die starke politische Lobby der Großgrundbesitzer.
Welche zusätzlichen Maßnahmen hat Präsident Bolsonaro ergriffen?

Bolsonaro hat zum einen die Ausweisung indigenen Landes eingefroren. Und zum anderen hat er verschiedene Dekrete und Gesetze vorangetrieben, um die Indigenen weiter in die Enge zu treiben. Zum Beispiel wurde die Indigenen-Behörde finanziell geschrumpft. Sie hat kaum noch Geld, um vor Ort tätig zu sein. Viele gute Mitarbeiter wurden entlassen.

Nun stehen Wahlen in Brasilien an. Sollte nicht Bolsonaro gewinnen, was müsste die neue Regierung ändern?

Erst einmal bräuchte es Rechtssicherheit für die indigenen Territorien. Dann bräuchten die Indigenen Unterstützung, um ihre traditionellen Samen und Anbaumethoden wieder zu erlangen.

Brasilien: Familie steht um ein Kochfeld in der Hütte und bereitet Essen zu
Obwohl Brasilien mengenmäßig mehr als genug anbaut, ist der Hunger dort seit Jahren auf dem Vormarsch. Rassismus, Ausgrenzung, Vertreibung und illegale Landnahme führen dazu, dass Hunger indigene Gemeinden besonders häufig trifft. © Florian Kopp / Misereor

Welche Hilfe leistet Misereor?

Misereor leistet Notfallhilfe gegen Hunger und unterstützt Gemeinden mit Saatgut. Es finanziert unseren rechtlichen Beistand, den wir über CIMI leisten. Auch die deutsche Regierung ist ein internationaler Verbündeter, wenn es um indigene Rechte geht.

Wie könnte Deutschland die Guarani sonst noch unterstützen?

Hilfreich wären Gesetze, die in Deutschland den Import von Soja und Fleisch verbieten, wenn diese mit dem Blut der indigenen Völker getränkt sind. Nur wenn es an die Profite der Agroindustrie geht, wird diese reagieren.

Wie könnten besonders die Frauen unterstützt werden?

Eine Kampagne gegen den Einsatz von Agrargiften wäre sehr hilfreich. Denn darunter leiden besonders die Frauen. Über die Muttermilch gelangt das Gift zu den Babys. Brasilien hat viele Pestizide zugelassen, die im Rest der Welt verboten sind. Vieles davon wird auch auf indigene Gemeinden gesprüht, weil sie inmitten der Sojafelder liegen und die Großgrundbesitzer keine Rücksicht auf sie nehmen.

Das Interview führte Sandra Weiss.


Mit Saatgut und Obstbäumchen fing es an

Eine Erfolgsgeschichte aus Laranjeira

Die Guarani-Gemeinde Laranjeira in Mato Grosso do Sul macht vor, wie sich die Dinge mit ein wenig Unterstützung ändern können. Dort leben 50 Familien auf 30 Hektar besetztem Land. Mit Unterstützung von Misereor und CIMI wurden Saatgut und Obstbäumchen gekauft. Bei der Anlage der Felder halfen Agronomen. Nun wachsen dort Orangen, Bananen, Guaven und Maniok, Reis, Mais und Zuckerrohr. „Früher aßen wir nur Fisch und Maniokmehl“, sagt Lileya Pedro de Almeida, eine Bewohnerin. „Heute können meine Kinder eine Banane von einer Maniokknolle unterscheiden.“ Mit dem traditionellen Ackerbau hat sich nicht nur die Ernährung verbessert, sondern es kamen auch die kulturellen Riten wieder: der Jeroky-puku, die Segnung der Samen vor der Aussaat, und Jeroky-mbyky, vergleichbar unserem Erntedankfest.  Die Guaraní aus Laranjeira legen auch Saatgut zur Seite, um anderen Gemeinden zu helfen und unterstützen diese mit ihrem agronomischen Wissen, das dank diesem Projekt wieder auflebte. „Wenn wir dieses Projekt multiplizieren, ist es ein großer Sprung in Richtung Ernährungssouveränität“, sagt Matías Rempel. „So werden die Indigenen unabhängiger von staatlichen Hilfslieferungen und können selbstbewusster ihre Forderungen vorbringen.“


Weitere Informationen

Cover der Publikation "Herausforderung Hunger - Jahresheft Welternährung 2022/23". Ungleich hungrig.

Frauen sind in besonderer Weise von Hunger betroffen, aber gleichzeitig auch Schlüsselpersonen, wenn es um die Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung geht. Die Misereor-Publikation „Herausforderung Hunger – Jahresheft Welternährung 2022/23“ zeigt: Wer Hunger bekämpfen will, muss Frauen stärken und Gleichberechtigung fördern. Misereor stellt damit einen wichtigen Aspekt des Themas Hunger heraus, zeigt die Herausforderungen einzelner ausgewählter Länder und Kontexte, stellt Lösungsansätze vor und greift das Bestreben der Bundesregierung auf, eine feministische Entwicklungs- und Außenpolitik zu betreiben.
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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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