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Barrieren überwinden, neuen Mut fassen

Der für Misereor zuständige Freiburger Erzbischof Stephan Burger und Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel reisten kürzlich nach Ägypten. Dort machten Sie sich neben vielen Gesprächen mit Vertreter*innen aus Kirchen, Politik und Zivilgesellschaft ein Bild von Projekten mehrerer Misereor-Partnerorganisationen.

Hohe Armutsquote: Ein Wohnviertel mit prekären sozialen Bedingungen in Ägypten. Foto © Klüppel
Hohe Armutsquote Ein Wohnviertel mit prekären sozialen Bedingungen in Ägypten. Foto © Klüppel

Eine Fachklinik für Brandverletzungen

Unter anderem besichtigten sie in Assiut, 375 Kilometer südlich der Hauptstadt Kairo, eine Fachklinik für Brandverletzungen. Getragen wird das Krankenhaus von der Al-Firdous-Vereinigung für nachhaltige Entwicklung, einem der erwähnten Misereor-Partner. Das Gouvernorat Assiut in Oberägypten gehört zu den am wenigsten entwickelten Regionen des Landes und verzeichnet die höchste Armutsrate in dem Staat am Nil.

Insbesondere bei den von Armut betroffenen Menschen in Ägypten kommen schwerste Verbrennungen häufig vor. Oft passieren Unfälle durch offene Flammen von Kerosinkochern, die innerhalb von zumeist überfüllten Wohnungen auf unebenem Boden benutzt werden. Zudem steigt die Zahl der Opfer von Gewalt und der Überlebenden von Suizidversuchen: Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge werden somit in Ägypten täglich bis zu 300 Menschen Opfer von Verbrennungen.

Die vier staatlichen Krankenhäuser in Assiut verfügen für die Versorgung von Patient*innen mit Verbrennungen lediglich über 68 Betten. Die Kapazitäten reichen nicht aus, um eine angemessene Erstversorgung und Rehabilitation sicherzustellen. Hier setzt das von Misereor unterstützte Projekt der Al Firdous Association an. Sein Ziel ist die erfolgreiche Behandlung von jährlich mindestens 1000 neuen Patient*innen in der Verbrennungsklinik. Darüber hinaus verbessert die Al Firdous Association die Rehabilitationsmöglichkeiten nach Verbrennungen und bietet Klinik-Mitarbeitenden verschiedene Möglichkeiten an, sich weiter zu qualifizieren. Schließlich gehört zu dem Projekt auch ein Maßnahmenpaket für die Vorbeugung von Verbrennungen. Dabei wird die Bevölkerung für Brandgefahren stärker sensibilisiert. Das Krankenhaus in Assiut hat somit eine herausragende Bedeutung für die Region.

Besuch in einer Verbrennungsklinik in Assiut (Ägypten): Misereor-Chef Pirmin Spiegel und Erzbischof Stephan Burger machten sich ein umfassendes Bild von der Arbeit des Krankenhauses. ©ABC.
Besuch in einer Verbrennungsklinik in Assiut: Misereor-Chef Pirmin Spiegel und Erzbischof Stephan Burger machten sich ein umfassendes Bild von der Arbeit des Krankenhauses. ©ABC.

Nahrungsmittelpreise

Ein wichtiges Thema bei der Reise von Spiegel und Burger waren die aktuell stark angehobenen Nahrungsmittelpreise. Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt, etwa 80 Prozent des Bedarfs wird aus dem Ausland gedeckt. Das meiste davon bezog Ägypten in der Vergangenheit aus der Ukraine und Russland. Die Brotpreise sind seit Beginn des Ukraine-Krieges um gut die Hälfte gestiegen.

Die Steigerung des Brotpreises und sonstiger Grundnahrungsmittel spüren auch die Dorfbewohner*innen des von Misereor geförderten „Bread-Winner“-Projektes. Über die lokale Partnerorganisation IDAM unterstützt das kirchliche Werk für Entwicklungszusammenarbeit Frauen aus dem nördlichen Oberägypten, die aufgrund von Scheidung oder Tod ihres Ehemannes dazu gezwungen sind, die Familie selbst zu ernähren. Diese Frauen leiden aufgrund ihrer Situation besonders unter den gestiegenen Lebensmittelpreisen. IDAM unterstützt sie darin, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften, sei es durch den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte, den Verkauf selbst hergestellter Reinigungsmittel oder selbstgenähter Kleidung.

So sagte Alfat Fathi, deren Mann nach kurzem Krebsleiden starb „Als mein Mann verstarb, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich habe fünf Kinder und bin die Einzige, die für den Lebensunterhalt sorgt. Also habe ich mich an IDAM gewendet und die Organisation hat mir ihre Unterstützung angeboten. Sie half mir dabei, meine Trauer zu überwinden und mich mit einem kleinen Projekt zur Herstellung von häuslichen Reinigungsmitteln selbstständig zu machen. Jetzt können meine Kinder und ich davon leben. Außerdem habe ich gelernt, wieder Vertrauen aufzubauen und Mut zu fassen.“

Besuch in einer ländlichen Region Pirmin Spiegel im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern. © Dorothee Klüppel
Besuch in einer ländlichen Region Pirmin Spiegel im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern. © Dorothee Klüppel

Safeguarding

(Sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und Kinder ist keine Seltenheit in Ägypten und wird bis heute oftmals geduldet und als normal erachtet. Eine von der Organisation „UN Women“ 2013 durchgeführte Untersuchung ergab, dass über 99 Prozent der befragten ägyptischen Mädchen und Frauen in ihrem Leben bereits Formen von sexueller Belästigung erlebt haben. Einem Bericht von Amnesty International von 2015 zufolge ist fast jede zweite Frau von häuslicher Gewalt betroffen. Auch Kinder gehören in allen Altersgruppen zu den Betroffenen. Laut Studien von UNICEF und ägyptischen Behörden werden mindestens 70 Prozent der Kinder in der Schule und zu Hause geschlagen.

Was sexuelle Gewalt anbelangt, ist die Datenlage uneindeutig. Vergewaltigungsopfer gehen fast nie in ein Krankenhaus und schon gar nicht zur Polizei. Es gibt keine medizinischen Protokolle für Vergewaltigungen, und die Polizei behandelt weibliche Opfer teilweise wie Täterinnen. Das Stigma, das mit der Anzeige von häuslicher Gewalt verbunden ist, das Fehlen von Gesetzen, die häusliche Gewalt ausdrücklich verbieten, und die unzureichenden Schutzmechanismen führen dazu, dass Frauen und Kinder häufig jahrelang schweigend Misshandlungen erleiden, darunter auch potenziell lebensbedrohliche Gewalt.

Die ägyptische Bischofskonferenz nahm sich den Aufruf von Papst Franziskus aus dem Jahr 2021, mehr für den Schutz von Kindern zu tun, zu Herzen . So hat sie in der Diözese Minia unter Leitung des Bischofs Basilios und des Priesters Makarios ein Rehabilitationszentrum eingerichtet. Das sogenannte Oasis-Zentrum soll eine wichtige Rolle bei der Förderung umfassender Kinderschutzvorkehrungen, der Formulierung entsprechender Leitlinien sowie der Durchführung von Aufklärungs-, Trainings- und Rehabilitierungsmaßnahmen spielen. Die Delegation rund um Burger und Spiegel besuchte das Zentrum auf ihrer Ägypten-Reise und bekräftigte die Unterstützung Misereors bei diesem wichtigen Vorhaben.

Interreligiöser Dialog

Begegnung mit der koptisch-katholischen Kirche in Ägypten: Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel und Erzbischof Stephan Burger feierten in Kairo mit einheimischen Glaubensbrüdern einen Gottesdienst. © Dorothee Klüppel
Begegnung mit der koptisch-katholischen Kirche: Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel und Erzbischof Stephan Burger feierten in Kairo mit einheimischen Glaubensbrüdern einen Gottesdienst. © Dorothee Klüppel

Obwohl die Staatsreligion in Ägypten der Islam ist und die Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung darstellt, genießen Christ*innen (schätzungsweise rund acht Prozent) unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi überwiegende Religionsfreiheit. Das geistliche Oberhaupt der koptischen Kirche, Tawadros II., äußerte sich positiv über die Regierung und sagte, dass es keine systematische Verfolgung der Christen gebe. Trotz dieser offiziellen Verbesserung der Situation ist das Verhältnis zwischen koptischen Christ*innen und Muslim*innen in Ägypten nach wie vor von Spannungen geprägt. Die Christ*innen werden von der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung geduldet, in der Vergangenheit kam es allerdings immer wieder zu zum Teil blutigen Zusammenstößen.

Ein Großteil der Partnerorganisationen von Misereor in Ägypten ist Teil der koptisch-katholischen oder koptisch-orthodoxen Kirche. Alle diese Partnerorganisationen eint ihr Anspruch, die ärmsten und bedürftigsten Menschen zu unterstützen, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit. Die demographische Situation in Ägypten führt dazu, dass der größte Teil der Zielgruppen dem Islam angehören. Die von der Delegation besuchten Projekte betonten ausdrücklich, wie wichtig die interreligiöse Komponente für die Menschen ist. Zeigten sich insbesondere Muslim*innen anfänglich skeptisch, von einer christlichen Organisation unterstützt zu werden, sind sie nun sehr dankbar für die Hilfe. So erläuterte der Vater von Ahmed: „Ahmed hatte verschiedene Probleme mit seinen Ohren. Wir mussten uns sehr abmühen, Unterstützung durch die Krankenkasse der Regierung zu erhalten und haben am Ende aufgegeben. Dank der Unterstützung des Sozial-Pastoralen-Büros durften wir miterleben, wie Ahmed nach 13 Jahren sein erstes Wort sprach. Sie können sich vorstellen, welches Glück wir dabei empfanden, zum ersten Mal seine Stimme zu hören.“

Das geteilte Leid der unterstützen Christ*innen und Muslim*innen verbindet die Menschen. Das gegenseitige Verständnis, aber auch die Solidarität und der Zusammenhalt über Religionsgrenzen hinweg wächst stetig weiter. Eine Teilnehmerin des Projektes sagte dazu: „Ich traf auf große Akzeptanz und Unterstützung, trotz meiner Religion und des Extremismus, unter dem wir hier in Ägypten leiden.“

Die Maßnahmen werden auf lokaler Ebene auch von den religiösen Führungspersonen unterstützt. Trotz des Besuchs der Delegation an einem Freitagvormittag, kurz vor dem für Muslim*innen wichtigsten Gebet, nahm der Imam des Dorfes an dem Treffen teil, um seine Unterstützung auszudrücken.

Die Förderung der Projekte betrifft nicht nur den interreligiöse Dialog, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern. So sagte der im Rahmen des Projektes von St. Mark teilnehmende Bauer Faiz: „Wir sind eine traditionelle Gesellschaft. Seit der Zeit unserer Großväter folgen wir den gleichen Traditionen, egal ob dies richtig ist oder nicht. Dank der Unterstützung von St. Mark konnten wir die Barrieren zwischen uns Männern und Frauen zerschlagen. Wir haben begonnen, miteinander zu kooperieren und uns auszutauschen.“

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