Suche
Suche Menü

Verantwortung füreinander

Solidaritätswanderung mit Studierenden im Pfälzer Wald

Es ist zwar keine hochalpine Klettertour – aber es geht ständig bergauf und bergab, über teils steile und holprige Waldpfade. An einer Stelle ist der Weg durch umgestürzte Bäume versperrt. Doch Barrieren sind dazu da, überwunden zu werden. Und auch von der gewittrigen Schwüle lassen wir uns nicht ausbremsen: An zwei Tagen begleite ich 32 Studierende auf ihrer „Solidaritätswanderung“ rund um die Ruine Landeck bei Klingenmünster.

Mit Misereor-Impulsen wandert die Gruppe auf dem 12 Kilometer langen „Burgenweg“. © Birgitta Greif
Mit Misereor-Impulsen wandert die Gruppe auf dem 12 Kilometer langen „Burgenweg“. © Birgitta Greif

„Unterwegs mit Misereor“

…so könnte man die Aktion auch betiteln. Sie findet nun schon zum vierten Mal statt. Im ersten Corona-Jahr, 2020, wurde das Format erfunden. Veranstaltungen in geschlossenen Räumen, mit Studierenden und Lehrkräften, waren damals nicht möglich. So kam in der Schulabteilung des Bistums Speyer die Idee auf, Austausch und Fortbildung ins Freie zu verlegen. „Corona-Solidaritätswanderung“ wurde die Aktion genannt, denn sie sollte den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus auf den globalen Süden lenken. Durch kurze Inputs erfuhren die Teilnehmenden, was die Pandemie für Menschen in armen Ländern und Regionen bedeutet: fehlender Zugang zu Desinfektionsmitteln und Impfstoffen, Einkommensverluste, Nahrungsmittelknappheit, Schulschließungen und Gewalt in den Familien als Folge der klaustrophobischen, von Existenznot geprägten Situation.

„Solidarität“ hieß und heißt ganz praktisch, dass die Teilnehmenden auch jeweils eine Spende geben, um ein – jährlich wechselndes – Misereor-Projekt zu unterstützen. In diesem Jahr sind 250,00€ für das Projekt „Das Dorf macht Schule“ und die Arbeit der Misereor-Partnerorganisation VOZAMA auf Madagaskar zusammengekommen. Sozusagen im Nachklapp zur Fastenaktion 2023 befassen wir uns an drei inhaltlichen „Stationen“ mit dem Land Madagaskar. Die Menschen des ostafrikanischen Inselstaates leiden nicht nur unter dem Klimawandel, sondern auch unter den Folgewirkungen der Corona-Krise. Es gibt auf Madagaskar große Unterschiede zwischen Stadt und Land, moderner und traditioneller Lebensweise, Reich und Arm. Politisch ist die ehemalige Kolonie Frankreichs nie richtig zur Ruhe gekommen und so immer tiefer in die Armut geraten. Die staatliche Misswirtschaft zeigt sich vor allem im Bildungswesen. Viele Grundschulen, besonders in den vernachlässigten ländlichen Regionen, sind geschlossen. Die Pandemie hatte monatelange Unterrichtsausfälle zur Folge. Es wird lange dauern, bis sich das Land davon und von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise erholt hat.

Fastenaktion 2023: Frau. Macht. Veränderung.
Fastenaktion 2023: Frau. Macht. Veränderung.

Madagaskar: Bildungsnotstand im ländlichen Raum

Nur etwa die Hälfte der eigentlich schulpflichtigen Kinder schließt die Grundschule ab. Auf dem Land fehlen die Elementarschulen, in denen die Vier- bis Sechsjährigen die ersten Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen erwerben könnten. Die brauchen sie aber, um auf die – häufig weit entfernte – Grundschule wechseln zu können. Madagaskar liegt auf Platz 141 der „Rangliste der Staaten nach Alphabetisierungsquote“, Deutschland auf Platz 4. Insgesamt führt die Liste – erstellt nach Our World in Data: Literacy Rate – 179 Staaten auf. Der Analphabetismus (rund 22%) ist eine Katastrophe für die Zukunft der Betroffenen und für die Zukunft des ganzen Landes. Deshalb fördert Misereor die Gründung und den Betrieb von Dorfschulen im zentralen Hochland von Madagaskar.

Für viele Kinder im Hochland Madagaskars ist VOZAMA die einzige Chance auf eine Schulbildung. - © VOZAMA
Für viele Kinder im Hochland Madagaskars ist VOZAMA die einzige Chance auf eine Schulbildung. – © VOZAMA

Monika Bossung-Winkler, Referentin für Globales Lernen im Bistum Speyer, stellt in den Wanderpausen dieses Projekt und ebenso die Arbeit der Misereor-Partnerorganisation Vahatra vor. Beide Partner, VOZAMA und Vahatra, setzen sich für ländliche Entwicklung ein und stärken besonders die Frauen. Vahatra berät und schult Kleinbäuerinnen und hilft ihnen, Zertifikate für ihr Land zu erwerben. VOZAMA bildet Frauen aus den Dörfern aus, die den Unterricht in den Elementarschulen übernehmen und durch ihre Arbeit nicht nur ein Zusatzeinkommen erwirtschaften, sondern auch die Entwicklung des ganzen Dorfes voranbringen.

Bedrohtes Inselparadies

Nun aber zu unserer Wanderung. Ehe wir zur ersten Wanderetappe aufbrechen, frage ich ab, was den Teilnehmenden zu Madagaskar einfällt. „Lemuren“, „Regenwald“, „Armut“ lauten die Stichworte, die daraufhin genannt werden. Und natürlich haben alle den Animationsfilm „Madagascar“ gesehen, in dem Zootiere aus New York auf der Insel stranden und auf die dort endemische Tierwelt treffen. Weil sich die Insel Madagaskar bereits vor 150 Millionen Jahren vom afrikanischen Festland getrennt hat, konnte sich die Flora und Fauna zunächst völlig ungestört entwickeln.  Doch heute ist das Paradies existenziell gefährdet. Mir ist es wichtig, sowohl die Waldzerstörung und die daraus resultierende Vernichtung von Lebensräumen anzusprechen als auch die jahrelange Dürre im Süden der Insel, die zu einer Hungerkatastrophe geführt hat.

Das Bevölkerungswachstum hat bewirkt, dass immer mehr Wildnisgebiete verschwinden, um Platz für Felder und Viehweiden zu schaffen. Ursprünglich war die Insel zu 90 Prozent bewaldet. Von den 53 Mio. Hektar Urwald sind heute noch knapp zehn Prozent erhalten. Damit verschwinden einzigartige Pflanzen, Säugetiere, Vögel, Reptilien und Frösche für immer. Zwar steht der Umweltschutz als Staatsziel in der Verfassung – aber er ist nur schwer durchzusetzen, weil sich die Menschen ja irgendwie ernähren müssen. Illegal zu jagen oder Bäume zu fällen, wird nicht als Unrecht, sondern als Überlebensstrategie gesehen.

Es ist wichtig, vor allem bei jungen Menschen ökologisches Verantwortungsbewusstsein zu wecken. Deshalb spielen Umweltbildung und Aufforstungsaktionen in den Misereor-Projekten eine große Rolle. Genauso wichtig sind aber Sozial- und Landwirtschaftsprojekte. Die wirtschaftliche Situation der Menschen muss sich verbessern, damit sie es sich leisten können, die Umwelt zu schützen. Die Ernährung muss vielfältiger und sicherer werden – auch dazu wollen Misereor-Projekte einen Beitrag leisten.

Ursule Rasolomanana bei der Reisernte © Klaus Mellenthin  Misereor
Ursule Rasolomanana bei der Reisernte © Klaus Mellenthin | Misereor

„Wir pflanzen Hoffnung“

Viel Stoff zum Nachdenken und zum Reden auf dem Wanderweg! Zum Abschluss berichten die Studierenden von ihren eigenen Erfahrungen in der Schule, denn die meisten werden im Rahmen des PES-Programms des Landes Rheinland-Pfalz bereits als Vertretungslehrkräfte eingesetzt.

Was „globales Lernen“ bedeutet, haben sie auf der Corona-Solidaritätswanderung am Beispiel Madagaskar erfahren. Sie haben Misereor kennengelernt und wissen, dass sie auf misereor.de ein vielfältiges Angebot an Unterrichtsmaterialien und Aktionsimpulsen für die Schule finden. Dank der Projektstelle für Globales Lernen in der Schulabteilung haben globale Themen im Unterricht, in der Fortbildung für Lehrkräfte sowie in der kirchlichen Studienbegleitung einen besonderen Stellenwert im Bistum Speyer – beste Voraussetzungen für den zukünftigen (Religions-)Unterricht.

Ein gestürzter Baum blockiert den Weg – Chance zum Durchatmen und Reflektieren, wie wir auch in Zukunft Hoffnung pflanzen können. © Birgitta Greif
Ein gestürzter Baum blockiert den Weg – Chance zum Durchatmen und Reflektieren, wie wir auch in Zukunft Hoffnung pflanzen können. © Birgitta Greif

„Hoffnung pflanzen“ – so könnte man die Arbeit der Misereor-Partnerorganisationen auf Madagaskar auch überschreiben. Deshalb war es für die Teilnehmenden auch keine Frage, dass ihre Geldspende als kleiner solidarischer Beitrag in das Projekt „Ein Dorf macht Schule“ fließen soll.



Den Beitrag schrieb Petra Gaidetzka, Bildungsreferentin von Misereor

Geschrieben von:

Avatar-Foto

Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.