Neelima Borwal. Gemeindevorsteherin und Geschäftsfrau. Indien. Als Mitglied der Gemeinde hilft sie hilfsbedürftigen und benachteiligten Menschen, ihre Lebensumstände zu verbessern. Ihr Augenmerk gilt besonders der Erziehung und Ausbildung von Mädchen.
Das sind meine Wurzeln
Im Alter von 22 Jahren wurde ich verheiratet, allerdings war die Ehe von Gewalt geprägt. Bereits nach einem Jahr hat mein Mann mich und unsere Tochter dann verlassen. Zu diesem Zeitpunkt war ich wieder schwanger, weshalb ich gezwungen war, in mein Elternhaus zurückzukehren. Bis heute haben wir uns noch nicht offiziell scheiden lassen. Deshalb lebe ich heute mit meinen beiden Kindern bei meinem Vater – in einer Hütte mit nur einem Zimmer. Mir stehen keine Kommunikationsmittel zur Verfügung, ich kann nicht auf die Unterstützung meines Mannes zählen. Ich habe kein regelmäßiges Einkommen und muss als Tagelöhnerin arbeiten, um unseren Lebensunterhalt einigermaßen sichern zu können. Seit 17 Jahren muss ich mich diesen Herausforderungen nun stellen.
Das verleiht mir Flügel
Meine Tochter und mein Sohn sind meine große Motivation, weiterzumachen. Ich wünsche mir, dass sie ein besseres Leben haben werden als ich und dass ich ihnen eine bessere Zukunft bieten kann – dafür würde ich alles tun, was mir möglich ist. Deshalb sollen die beiden die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen und eine Ausbildung zu machen, die sie für einen anständigen Job brauchen. Sie sollen auf eigenen Füßen stehen und in Zukunft ein besseres Leben haben, als ich es hatte.
Dafür setze ich mich ein
Wenn ich auf die 17 Jahre voller Herausforderungen zurückblicke, stelle ich fest, wie wichtig gute Bildungsmöglichkeiten sind, insbesondere für Kinder. Ich glaube fest daran, dass Bildung, vor allem für Mädchen, der Schlüssel für ein besseres Leben ist – für sich selbst, aber auch für ihre Familien. Deshalb konzentriere ich mich in unserem Dorf besonders auf die Erziehung und Ausbildung von Mädchen. Aber ich helfe auch Frauen, die dasselbe durchgemacht haben wie ich, Armut und Ausgrenzung zu überwinden.
Es muss etwas passieren, weil…
„Sei die Veränderung in der Welt, die du sehen willst“, das ist mein Motto. Es ist wichtig erst sein eigenes Verhalten zu verändern und dann das der anderen. In der indischen Gesellschaft werden vor allem die Frauen auf dem Land mit häuslicher Gewalt, Verletzlichkeit, Ungleichheit, Unterdrückung, Ausbeutung und Entmachtung konfrontiert. Zwar gibt es viele Faktoren, die ihnen das Leben erschweren, aber der Hauptfaktor ist die Bildungslücke in den ländlichen Gebieten, die all diese Umstände nach sich zieht. Chancengleichheit für Mädchen und Jungen würde eine Veränderung bewirken – in den Familien und der Gesellschaft.
Meine Arbeit ist beendet, …
…wenn meine beiden Kinder ihre Ausbildung beendet und Berufe gefunden haben, die ihnen ein regelmäßiges Einkommen sichern. Und ich werde weiterhin hart daran arbeiten, ihnen ein herzliches Zuhause zu bieten.
Als Mitglied der Gemeinde Panchayat möchte ich außerdem die hilfsbedürftigen und unterdrückten Gemeindemitglieder dabei unterstützen, Zugang zu staatlichen Sozialversicherungsprogrammen zu erhalten, damit sich ihre Lebensumstände verbessern. Außerdem würde ich gerne das Bewusstsein für die Rechte von Frauen fördern und ihnen helfen, sich gegen häusliche Gewalt zu wehren. Auch die Bildung von Mädchen ist ein Anliegen, das ich fördern will, damit sie die gleiche Ausbildung erfahren und später für ihre Rechte einstehen können.
Frauen können…
… im Leben alles schaffen und erfolgreich sein. Sie spielen dabei eine entscheidende Rolle in ihrer Familie, der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft – doch leider mangelt es an der nötigen Anerkennung. Wenn eine Frau die Möglichkeit bekommt, sich angemessen zu bilden, profitiert auch ihre Familie und nicht zuletzt die ganze Gesellschaft davon. Denn dann kann sie in politischen Prozessen mitwirken oder ihr eigenes Unternehmen erfolgreich aufbauen und führen. Sie kann sich trotzdem um ihre Familie kümmern. Eine gebildete Frau kann für ihre Rechte und für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen.
Hintergrund
Vor 17 Jahren wurde die heute 38 Jahre alte Neelima Borwal von ihrem Ehemann und dessen Familie aus dem gemeinsamen Zuhause verjagt. Sie musste zurück zu ihren Eltern fliehen, auf deren Grundstück sie sich eine kleine Hütte bauen konnte. In dieser notdürftigen Unterkunft lebt sie seitdem mit ihrer Tochter (18 Jahre) und ihrem Sohn (15 Jahre) und teilt sich das einzige vorhandene Zimmer. Notdürftig sicherte Neelima sich als Tagelöhnerin ihren Lebensunterhalt, stets auf der Suche nach weiteren Einkommensquellen, um ihre Familie ernähren zu können. Mit der Zeit erfuhr sie von staatlichen Unterstützungsprogrammen, die ihr finanziell helfen konnten. Die regelmäßigen Behördenbesuche und langen Antragsverfahren schulten sie gewissermaßen im Umgang mit den Behörden und so entwickelte sie ein ausgeprägtes Verständnis für das Regierungssystem.
Auf ihrem Weg begegnete Neelima dann dem Samarth-Projekt, das von Misereor und Caritas India unterstützt wird. Der Projektpartner bietet Frauen unter anderem die Starthilfe bei der Gründung von Kleinunternehmen und half Neelima 2021 ein eigenes Schreibwarengeschäft zu eröffnen. Seitdem führt sie ihren kleinen Laden praktisch aus ihrer Hütte heraus. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Kleinunternehmerin und mit ihrem Fachwissen bzgl. der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen begann sie allmählich damit, anderen dabei zu helfen, staatliche Leistungen zu beantragen und zu erhalten. So hat sie zum Beispiel bereits 40 Frauen dabei unterstützt, eine Witwenrente zu erhalten. Im Jahr 2022 wurde sie aufgrund ihrer fundierten Kenntnisse zur Gemeindevorsteherin von Dhanora gewählt – eine Seltenheit, in der sonst von Männern dominierten indischen Führungskultur.
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