Bis 2030 sollen sie erreicht sein: Die UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals (SDGs)). Die 17 Ziele sollen der weltweiten Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen. Drei davon – SDG 6 (Sauberes Wasser und Sanitäre Einrichtungen), 11 (Nachhaltige Städte und Gemeinden) und 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) – dienen insbesondere dazu, die am stärksten gefährdeten städtischen Bevölkerungsgruppen und ihre Wasserversorgung zu priorisieren. Im Zuge des gerade stattfindenden Hochrangige Politische Forum für nachhaltige Entwicklung (High-level Political Forum, HLPF), bei dem unter anderem die SDGs 6 und 11 in den Fokus genommen werden, erläutern wir Ihnen, welche Rolle die Themen in Lateinamerika spielen und wie unsere Partnerorganisationen bereits guten Beispiels in der Anpassung voran gehen.
Das Recht auf Wasser
Der Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen ist ein Menschenrecht, das für alle Menschen gleichermaßen gilt – das ist unbestreitbar. Aber obwohl dieses Recht in den Verfassungen vieler Länder anerkannt und verankert ist, wird es noch längst nicht überall gewährt. In Lateinamerika und der Karibik haben beispielweise 161 Millionen Menschen keinen angemessenen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 431 Millionen verfügen nicht über den Zugang zu einer angemessenen Abwasserentsorgung (ECLAC 2022). Vor allem in informellen Siedlungen und Armutsvierteln ist dieses Problem besonders groß – und der Klimawandel trägt sein Übriges dazu bei, die problematische Lage der Wasserversorgung zu verschärfen. Nichtsdestotrotz sehen die Indikatoren für die Wasserver- und Abwasserentsorgung beispielsweise in Bolivien, El Salvador, Mexiko und Peru zwar eigentlich recht gut aus: Laut offiziellen Angaben verfügen in den Hauptstädten dieser vier Länder zwischen 92 und bis zu fast 100% über Zugang zu Trinkwasser. Doch diese Werte spiegeln die Realität über die tatsächliche Verteilung des Trinkwassers kaum wieder. So geben sie lediglich an, wie hoch das Ausmaß verlegter Leitungen ist, sagen jedoch nichts aus über den ausreichenden, kontinuierlichen und erschwinglichen Zugang oder über die Qualität. In den meist abgelegenen, heruntergekommenen und verarmten Viertel der Städte werden häufig keine oder keine verlässlichen Daten erhoben. Es wird geschätzt, dass der tatsächliche Zugang zu Trinkwasser und Abwasserentsorgung deutlich unter den offiziellen Zahlen liegt (15 – 20% niedriger für Trinkwasser und 20 – 40% niedriger für Abwasserentsorgung).
Die Auswirkungen des Klimawandels: Wasserunsicherheit in Lateinamerika
Vor allem für die armen Menschen kommt hinzu, dass die Auswirkungen des Klimawandels die ökologischen und sozialen Folgen verschärfen. So sorgen extreme Niederschläge und Überschwemmungen sowie Temperaturanstieg, Hitzewellen, Dürren und das Abschmelzen der Gletscher zukünftig dafür, dass zum Beispiel
- die Speicherkapazität für Wasser sinkt
- die Wasserverfügbarkeit sinkt
- Erdrutsche und Schlammlawinen zunehmen.
Für die Menschen in Städten wie La Paz, El Alto (Bolivien), San Salvador (El Salvador), Mexiko-Stadt (Mexiko) und Lima (Peru) sind diese Folgen fatal: Gebiete, in denen sich arme Familien notdürftig niederlassen sind durch die Klimafolgen am stärksten bedroht, da sie häufig in Risikozonen, z.B. an unbefestigten Hängen oder Flussufern liegen. Die Gesundheit der Menschen wird durch den Temperaturanstieg gefährdet – Müdigkeit, Krämpfe, Sonnenstich und Hitzeschlag sind die Folge – und gerade bei steigender Hitze ist der verlässliche Zugang zu Trinkwasser überlebensnotwendig.
Sofortige politische Maßnahmen mit Bürgerbeteiligung
Umso dringlicher ist es, dass die Regierungen entschlossen und unverzüglich handeln und so die Wassersicherheit der Städte und den Schutz der Menschen gewährleisten. Stadt – Wasser – Klima. Diese drei Themen müssen (unter anderem) zusammen gedacht werden. Doch häufig reicht das Engagement der Politik nicht weit genug, weshalb die Stärkung von Bewohner*innen und ihre politische Beteiligung Schlüssel zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandel bilden. Die Menschen vor Ort leben tagtäglich mit den Folgen und wissen am besten, welchen Bedarfen und Problemen entgegnet werden muss. In den gefährdeten Gebieten lateinamerikanischer Städte mobilisieren sich daher längst die Betroffenen selbst, um die enormen Herausforderungen zu bewältigen, die mit den sozialen und klimabedingten Ungerechtigkeiten, unter denen sie leiden, einhergehen. Im Folgenden stellen wir zwei Beispiele vor.
Anpassung an den Klimawandel an den Hängen von La Paz und El Alto (Bolivien)
In La Paz und El Alto führt die Organisation Red Hábitat das „Programm für sicheres, gesundes und nachhaltiges Wohnen in der Nachbarschaft und in Gemeinschaft“ durch. Es unterstützt die Bewohner*innen der Stadtviertel mit technischer Beratung dabei sich an den Klimawandel anzupassen. So hat die Organisation ein Konzept bestehend aus diversen Ansätzen entwickelt, das folgende Aspekte beinhaltet:
- Identifizierung und Erhebung von Risiken in Wohngebieten, mit Hilfe eines Leitfadens für die Bewohner*innen;
- Kartierung von besonders gefährdeten Gebieten und Wohnhäusern;
- Partizipative Entwicklung von Forderungen und Vorschlägen an die lokalen Regierungen von La Paz und El Alto zur Verringerung der Risiken;
- Erstellung von Notfallplänen für die Nachbarschaft;
- Erste-Hilfe-Schulungen;
- Installation von Regenwassersammelsystemen für ein verbessertes Wassermanagement;
- Nutzung von Solarenergie.
Red Hábitat setzt dabei auf den direkten Austausch, aufbauend auf dem lokalen Wissen der Menschen vor Ort. Neben den praktischen Lösungen für Haushalt und Nachbarschaft spielt auch der Bildungsprozess eine wichtige Rolle. Mit theoretischen und praktischen Kursen zu dringenden Themen wie Klimawandel, Wassermanagement und Wohnraumversorgung stellt die Organisation sicher, dass die Menschen der Armenviertel von La Paz und El Alto – mit fundiertem Wissen über ihre Rechte – mit der Politik in den Dialog treten können. Seit 2020 haben sie bereits in 17 Stadtvierteln Kurse umgesetzt, an denen mehr als 1.100 Personen teilgenommen haben. Die daraus gewonnen Erkenntnisse wurden für die Entwicklung eines Leitfadens für die nachhaltige Nutzung von Wasser genutzt, der an die nationale Regierung übergeben wurde. Außerdem hat die Organisation erreicht zu den genannten Themen Kooperationsabkommen mit den lokalen Regierungen von La Paz und El Alto zu schließen.
Schutz der Wasserressourcen angesichts des Klimawandels in San Salvador (El Salvador)
Ein weiteres Beispiel ist die Partnerorganisation FUNDSAL. In San Salvador (Einzugsgebiet Jiboa) arbeitet die Organisation mit den Bewohner*innen daran zu identifizieren, inwiefern und wodurch die Wasserqualität in ihren Wohngebieten beeinträchtigt wird und versucht dies zu ändern. Dafür vernetzen sie unterschiedliche Gemeinden und Akteure (Dorfbewohner, soziale Organisationen, Hochschulen, Stadtverwaltungen, Fachinstitutionen), die sich wiederum selbst organisiert haben, um Schulungen durchzuführen zu Themen wie
- Gemeindeorganisation
- Gemeindebewertung und Planung
- Umweltanalyse
- Informationen über Institutionen und deren Kompetenzen
- Wohnen und Lebensraum.
Zwischen den Gemeinden und Organisationen werden Erfahrungen ausgetauscht und partizipative Politikvorschläge erarbeitet. So wurden beispielsweise Vorschläge zur Förderung von Zugang zu angemessenem Wohnraum, integriertem Wassermanagement sowie kommunalen Verordnungen formuliert. Ein entscheidender Schritt war die Einrichtung von Wasserkomitees in der Nachbarschaft, die sich organisieren, um die Wasserversorgungssysteme zu verwalten und Instand zu halten und die Wasserressourcen als Gemeingut in ihren Gemeinden zu schützen.
In einem anderen Einzugsgebiet (Arenal Montserrat) hat FUNDASAL Erhebungen durchgeführt, die die Auswirkungen und Risiken der Klimakrise in den Siedlungen zeigen. Dabei wurden besonders die Siedlungen als bedroht eingestuft, in denen eine hohe Bevölkerungsdichte herrscht, die stark von Naturkatastrophen bedroht sind und von den lokalen Ökosystemen abhängen. Dort werden nun Lösungen für „ökosystembasierte Anpassung“ angewendet, die die Risiken für die Stadtbewohner*innen mindern sollen. Lösungsorientierte Ansätze umfassen zum Beispiel Interventionen zur Erzeugung von ökosystembasierten Dienstleistungen, wie das Anlegen von vertikalen Gärten und Bio-Gärten;
- die Begrünung von Wegen und Straßen oder von Flächen entlang von Bächen und Flussufern;
- die Rückgewinnung von Brachflächen;
- und die Schaffung von Parks und städtischen Wäldern;
FUNDASAL hat Schul- und Gemeinschaftsgärten angelegt, Aufforstungsprojekte umgesetzt und Regenwasserauffangsysteme gebaut. Diese Maßnahmen werden sogar mittlerweile von der lokalen Regierung anerkannt und in anderen Gemeinden repliziert.
Weiterführende Informationen
Weitere inspirierende Anpassungserfahrungen in städtischen Gebieten Lateinamerikas (zum Beispiel in Mexiko Stadt (Mexiko) und Lima Peru)) lesen sie in unserer Studie: