Pablo Escobar, „Stadt des ewigen Frühlings“, Instagram-Posts von Wandmalereien in der Comuna 13 – Medellín erfreut sich nicht zuletzt durch Netflix-Produktionen und die sozialen Medien wachsender Beliebtheit. Neben der heilen-Tourismus-Welt gehört zur Realität jedoch auch eine andere Seite. Auf dieser drängen sich Häuser bis hoch in die Hänge der umliegenden Anden und reichen bis an den Rand des oft überschwemmten Flusses. Bis dorthin reicht der Tourismus-Boom nicht. Dort kämpfen die Bewohner*innen darum, überhaupt als Personen mit Rechten wahrgenommen zu werden.
Leben am Rande der Gesellschaft
„Bevor wir die Treppen installiert haben, mussten die Menschen auf allen Vieren zu ihren Häusern hochklettern, so steil ist es hier“, erzählt mir Arlex López, Direktor der Partnerorganisation Convivamos. Wir sind gemeinsam in der Comuna 1, einem Viertel am nordöstlichen Stadtrand der zweitgrößten Stadt Kolumbiens. Allein die Anfahrt war bereits eine Herausforderung, denn ohne Allradantrieb kommt man in dem Teil Medellíns nicht weit.
Hier leben die Familien, für die woanders kein Platz mehr war: Vertriebene, Afro-Kolumbianer*innen, Indigene, Migrant*innen und viele weitere. Platz gibt es eigentlich keinen mehr, mangels Alternativen zieht es die Menschen trotzdem hierhin. In den sogenannten „barrios populares“ bauen sie an steilen Hängen und auf felsigem Boden, der von der Natur nicht für die Besiedlung ausgelegt ist. Erdrutsche, bei denen eben diese Baukonstruktionen zerstört werden, gehören hier dazu. „Wir haben nach wie vor keinen Trinkwasserzugang, weil sich die Stadt für uns nicht interessiert“, berichtet eine Bewohnerin der Comuna 1.
Ihr Viertel befindet sich, wie so viele der barrios populares, am Stadtrand an der Grenze zu den umliegenden Landkreisen. „Die Stadtteile gehört weder zur Stadt, noch zum Landkreis. Somit fühlt sich keiner so richtig dafür zuständig, wir befinden uns in einer rechtlichen Grauzone“, erklärt López. „Genau deshalb ist es jedoch wichtig, dass die Bewohner*innen ihre Stimme erheben. Es gibt Handlungsmöglichkeiten. Wir als Organisation unterstützen beispielsweise die Menschen darin, sich in Räten zusammenzuschließen, Stadtteilentwicklungspläne oder auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation zu entwickeln und bei den lokalen Behörden einzureichen.“ Durchaus mit Erfolg: In der Comuna 1 mussten die Menschen zuvor regelrecht die Hänge hoch zu ihren Häusern klettern, als Teil der Stadtteilentwicklung erleichtern jetzt jedoch Treppen ihren Alltag.
Bürgerbeteiligung als Schlüssel der Veränderung
Der Weg hin zu einer Stadt, in der die barrios populares als Teil Medellíns ernstgenommen werden, ist jedoch noch weit. Einfach gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Medellíns Lokalpolitik nämlich keineswegs, berichtet auch der Misereor-Partner Corporación Région. „Die politische Landschaft hier ist traditionell konservativ geprägt. Deshalb besteht wenig Hoffnung, dass bei den im Oktober anstehenden Kommunalwahlen jemand gewinnt, der den Menschen und ihren Lebensumständen in den Zonen am Stadtrandmehr Aufmerksamkeit schenkt“, meint Projektkoordinator Fernando Zapata. Die einzige Option, die bleibt ist, sich selbst zu helfen.
Neben der Comuna 1 ist auch die Comuna 2 eines der barrios populares. Sie ist ebenfalls dicht besiedelt, liegt jedoch nicht am Hang, sondern unmittelbar am Fluss in Nordosten der Stadt. Nicht nur der viele Müll, der im und am Fluss entsorgt wird, ist ein Problem: „Es kommt oft zu Hochwasser, insbesondere verstärkt durch die Klimakrise – beim letzten Mal ist der Fluss bis zu diesem Punkt angestiegen“, erzählt uns Erica Muriel von der Organisation „Mi Comuna 2“ – „Meine Comuna 2“, und deutet auf einen Punkt oberhalb ihres Kopfes. In dem tiefliegenden Stadtteil gehört das zum Alltag dazu. Aber auch hier möchte man sich einbringen: Die Lokalzeitung „Mi Comuna 2“ entsteht von der Titelseite bis zum Impressum komplett im Stadtteil – von und für die Menschen vor Ort. Nur drucken können sie nicht selbst, dazu fehlen die Kapazitäten. Auch Kinder- und Jugendarbeit sowie weitere Gruppen gibt es, die sich austauschen und Vorschläge entwickeln.
Im Fokus steht das „Recht auf Stadt“, das vor dem Hintergrund der Situation in Medellín eine ganz andere Bedeutung bekommt: In einer Weltstadt wie Medellín sollten Trinkwasser, Anpassungsmechanismen an die Klimakrise und eine gut zugängliche Infrastruktur zum Standard dazugehören und nichts sein, wofür die Leute kämpfen müssen. Dass sich lokale Regierung auf mittlere Sicht mehr solchen Themen widmet, ist jedoch nicht zu erwarten. Die Bewohner*innen der barrios populares tun deshalb das einzig wirksame: Sie erheben ihre Stimme. „Wir wollen ein würdiges Leben führen und möchten, dass wir und unsere Rechte ernstgenommen und eingehalten werden“, lautet ihr Credo.
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