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Sozial-ökologischer Wandel fängt bei jedem Einzelnen an

Soziale und ökologische Herausforderungen prägen das Weltgeschehen und erfordern einen grundlegenden Veränderungsprozess. Im Sinne des sozial-ökologischen Wandels kann ein solcher Umbruch, dessen Ziel es ist, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben und zu wirtschaften, gelingen. Damit befasst sich auch Jorge Krekeler, Misereor-Berater als Agiamondo Fachkraft in Südamerika. Dort begleitet er Entwicklungsprozesse und konzipiert alternative Ansätze der Lokalentwicklung, die den Wandel greifbar machen. In einem Zukunftsalmanach mit dem Titel “Jenseits von morgen” erzählt er zahlreiche “Geschichten des Gelingens” und macht damit Transformation anschaulich.

Viele nutzen bereits ihre Ressourcen für den Wandel: Aktivist*innen demonstrierten 2023 erfolgreich gegen die Ölförderung im Yasuni-Nationalpark (ecuadorianischen Amazonas). © Krekeler

Herr Krekeler, wie kam es dazu, dass Sie sich mit dem sozial-ökologischen Wandel befassen?

Jorge Krekeler: Ich habe bei meiner Arbeit viele Berührungspunkte zu den Themen Klimawandel und Gerechtigkeit. Dabei habe ich mich emotional in einer Situation gesehen, die für mich recht kompliziert war. Denn Klimawandel ist ein Thema, welches kein Licht am Ende des Tunnels zeigt. Es geht eigentlich nur bergab, und das machte mir emotional sehr zu schaffen. Dann habe ich mir die Frage gestellt, wie wir unsere persönlichen Ressourcen nutzen können, um solche Krisen zu bewältigen. Denn die uns zur Verfügung stehenden Instrumente sollten nicht ungenutzt bleiben. Man muss sich die Systemfragen stellen: Woher kommt der Klimanotstand? Wie kommen wir wieder da raus? Das war für mich der Einstieg zu fragen, “Warum eigentlich nicht mal die Paradigmen wechseln, also unser Handeln transformieren?” Da es schon eine sehr hohe Informationsdichte an negativen Nachrichten gibt, habe ich mir überlegt, dass es interessant wäre, mit Positivnachrichten zu arbeiten. Mit Botschaften, die zeigen, wie es auch anders gehen könnte. Aus diesem Gedanken heraus sind die „Geschichten des Gelingens“ entstanden, bei denen verschiedene Prozesse im sozial-ökologischen Sinne vorgestellt werden.

Können Sie den sozial-ökologischen Wandel genauer erläutern, und warum dieser so wichtig ist?

Krekeler: Wir produzieren derzeit eine Zukunft, die keine weitere Zukunft hat. Vor allem konsumieren wir die Zukunft jüngerer Generationen. Um aus diesem Schlamassel herauszukommen, brauchen wir Veränderung und Wandel. Dies kann mit dem sozial-ökologischen Wandel, auch sozial-ökologische Transformation genannt, gelingen. Transformation hat etwas mit Bewegung in Richtung Verhaltensmuster, Verhaltensroutinen und Verhaltenslogiken zu tun. Transformation bedeutet, Lebensstile umzubauen. Und da muss man meines Erachtens einen Schritt weiter gehen. Transformation kann nicht gelingen, wenn man sich vornimmt, morgen alles anders zu machen, und man macht danach überhaupt nichts anders oder verfällt direkt wieder in alte Routinen. Es ist eine große Herausforderung, Routinen zu kippen und den Alltag umzustrukturieren. Und das fängt bei jedem Einzelnen an. Das kann ich nicht von Olaf Scholz als Bundeskanzler oder von der Weltbank erwarten, sondern muss es selbst anpacken. Ich muss meine Komfortzone verlassen und einfach anfangen, Dinge anders zu machen – ohne einzufordern, dass dies ab sofort auch auf höherer Ebene geschieht.

Was ist die größte Hürde bei der Umsetzung des sozial-ökologischen Wandels?

Krekeler: Das Ausbrechen aus der eigenen Routine. Aber auch, nicht dem Glauben zu verfallen, nichts gegen die Klimakrise ausrichten zu können. Sich unfähig zu fühlen und sich selbst zu sagen, dass es gar keine Chance gibt, etwas verändern zu können. Viele kennen es aus der Selbstkommunikation, wenn man sich fragt, ob das, was man macht, überhaupt einen Sinn hat oder zwecklos ist. Wenn man sagt, es ist alles für die Katz und geht ohnehin den Bach unter, ist es sehr herausfordernd, es trotzdem zu versuchen. Nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern zu sagen: Ich mache es, und ob es zu spät ist, wird sich dann herausstellen.

Jorge Krekelers entwickelter Zukunftsalmanach enthält zahlreiche Beispiele des sozial-ökologischen Wandels aus der Praxis. © Krekeler

Was motiviert Sie bei der Umsetzung des sozial-ökologischen Wandels?

Krekeler: Ich persönlich mache es gewissermaßen als Gewissensberuhigung, aber auch als einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen. Denn wir müssen auch begreifen, dass wir als Spezies Mensch eigentlich nur Teil des gesamten Universums sind. Der wichtigste Einfluss-Faktor auf dem Weg in die Zukunft ist der Mensch. Das heißt also, weil wir in kürzester Zeit in solchem Ausmaß Veränderungen in die Wege geleitet haben, müssen wir uns dafür auch in der Verantwortung sehen. Wir als Menschen müssen moralische Vorstellungen von dieser Welt entwickeln und uns unserer Gestaltungs- und Zerstörungskraft bewusst sein. Es ist wichtig, sich zu fragen, welche Rolle wir spielen und welche Mitverantwortung wir übernehmen sollten. All das spielt bei der Motivation eine Rolle, bescheiden zu beginnen, die ersten Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Und da fängt für mich Transformation an.

Bei Ihrer Arbeit als Berater in Südamerika begegnen Sie vielen Menschen, die im Sinne des sozial-ökologischen Wandels agieren. Wie gelingt es diesen Menschen, trotz all der Hürden, motiviert zu bleiben?

Krekeler: Für die Entwicklung der „Geschichten des Gelingens“ haben mich viele Menschen großzügig am Wandel teilhaben lassen. Dabei habe ich mich oft selbst gefragt, wie viele dieser Menschen ganz bewusst mit dem sozial-ökologischen Wandel begonnen haben. Ich glaube, es gibt eine Gruppe, die sich der Notwendigkeit von Transformationsprozessen vollkommen bewusst ist. Diese Menschen haben sich ganz bewusst dafür entschieden. Die zweite Gruppe von Menschen handelt auch bewusst sozial-ökologisch, ist jedoch durch Zufälle dazu gekommen. Sie wurden durch äußere Umstände dazu gebracht, Dinge anders zu machen und haben es geschafft, ihre Routinen deshalb umzustellen. Das hat gut funktioniert, und sie sind zufrieden damit. Dann gibt es noch die Gruppe der unbewusst Handelnden, die vielleicht aus der Not heraus Dinge anders gemacht haben, weil die Rahmenbedingungen sie dazu gedrängt haben. Diese sagen im Nachhinein, sie machen es jetzt weiterhin anders, weil es zukunftsweisender ist als das, was sie vorher gemacht haben. Generell gilt, dass die Motivation, die Hauptantriebsfeder, beim Menschen selbst liegen muss. Denn diese von außen an die Menschen heranzutragen, ist nicht gerade einfach.

Wie sollen Ihre „Geschichten des Gelingens“ zur Motivation beitragen?

Krekeler: Die „Geschichten des Gelingens“ versuchen, die Neugierde bei den Menschen zu wecken, indem diese durch die Geschichten erkennen, dass jemand wie du und ich einfach angefangen hat, sich die Ärmel hochzukrempeln und es geschafft hat, die eigenen Routinen zu kippen. Wichtig ist, dass die Geschichten immer mit einer gewissen „Extrapolation“ enden. Das heißt, man sollte eine Botschaft aus der Geschichte herausziehen können, die auf die eigene Lebensumwelt anwendbar ist. Und zwar ohne dass man sich in derselben Lebenssituation und Umwelt befindet wie die Person aus der Geschichte.

Inwiefern unterscheiden sich die Transformationsprozesse zwischen Südamerika und Europa?

Krekeler: Ich habe da eine sehr interessante Erfahrung gemacht: Ich glaube, dass die Grundvoraussetzungen, um im eigenen Leben Transformationen einzuleiten, im Norden besser sind als im Süden. Beispielweise hat in Deutschland jemand aus der Mittelklasse wahrscheinlich größere wirtschaftliche Möglichkeiten und Spielräume als jemand aus der Mittelklasse in Ecuador. Aber natürlich kann man das nicht generalisieren. Ich habe mal mit jungen Südamerikaner*innen darüber gesprochen, die mir sagten, dass man in Europa wahrscheinlich nicht so sehr darauf getrimmt ist zu improvisieren. Der Alltag der jüngeren Leute in Südamerika besteht tatsächlich aus reiner Improvisation. Sie erklärten mir, dass sie sich ständig auf unterschiedliche Rahmenbedingungen einstellen müssen, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Das heißt also, ständig Dinge zu transformieren, übt erstmal keinen Druck auf sie aus. Ich fand das hochinteressant und glaube, dass sie damit recht haben. Doch sowohl hier als auch dort kann man mit Transformationen beginnen. Man muss aber darauf achten, auch wirklich ans Eingemachte zu gehen. Strukturell verändernde Tendenzen sind historisch betrachtet immer von der Basis ausgegangen. Da traue ich der Geschichte und sage, Veränderung fängt bei jedem Einzelnen an.


Hintergrund

Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft müssen zusammen gedacht werden – das verdeutlichen zahlreiche Herausforderungen vor denen die Welt nun steht. Für eine lebenswertere Zukunft strebt der sozial-ökologische Wandel eine Neu-Orientierung an, bei der soziale, wirtschaftliche und ökologische Fragen gleichermaßen wichtig sind. Die von der UN entwickelten Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Agenda 2030 bilden die Grundlage einer solchen Neu-Orientierung und untermauern die Notwendigkeit des Wandels. Ohne grundlegende Veränderungen, die in bestehende Strukturen, Gewohnheiten und Machtverhältnisse eingreifen, werden diese Ziele nicht zu erreichen sein. Gemeinsam mit Partnerorganisationen auf allen Kontinenten der Erde setzt Misereor sich dafür ein, diesen Wandel voranzubringen.


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Geschrieben von:

Portrait einer Mitarbeiterin

Charleen Kovac ist Presse-Volontärin bei Misereor.

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