Im Norden Kenias leben eine Vielzahl von Hirtengemeinschaften (auch Pastoralist*innen genannt). Die Hirtengemeinschaften ziehen mit ihren Herden von Weide zu Weide. Ihre gemischten Herden bestehen aus Rindern, Schafe und Ziegen, viele von ihnen halten auch Dromedare (1-höckerige Kamele). In den Weidelandschaften dieses trockenen Naturraums stehen nahrhafte Gräser und Wasser nur sehr kurzlebig und räumlich verteilt zur Verfügung. Dank ihrer Mobilität nutzen Pastoralist*innen und ihre Herden diese Ressourcen in sehr produktiver und an die natürliche Umwelt angepasste Weise. Die Fleisch- und Milchprodukte ihrer Tiere leisten einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der gesamten Bevölkerung Kenias oder zum Export (Lebendtiere, Felle und Häute).

Im letzten Jahrzehnt ist der trockene Norden Kenias ins Zentrum des Interesses zahlreicher Akteur*innen gerückt. Investor*innen aus Bergbau, Windenergie, Bewässerungslandwirtschaft aber auch aus dem Naturschutz und Tourismus sowie das kenianische Militär haben sich große Flächen angeeignet. Große Gebiete an Weideland, aber auch strategisch gelegene Wasserressourcen und Rückzugsgebiete für Notzeiten gingen den Pastoralist*innen so verloren. Die Vielzahl der Zäune erschweren den Hirt*innen und ihren Herden zudem den direkten Zugang zu den verbliebenen Weiden und Wasserstellen.

Misereor-Projektpartner im Einsatz für Hirtengemeinschaften
Der Misereor-Partner „Indigenous Movement for Peace Advancement and Conflict Transformation“ (IMPACT) unterstützt Hirtengemeinschaften in den Landkreisen Marsabit, Laikipia, Samburu und Isiolo dabei, ihre naturnahe Lebensweise trotz des Landverlusts weiterzuführen. IMPACT unterstützt die Hirtengemeinschaften dabei
- die Wasserversorgung für Menschen und Tiere zu verbessern,
- ihre Vierherden zu diversifizieren,
- ihr Weidemanagement zu optimieren,
- ihr Weideland zu rehabilitieren z.B. bei Überwucherung durch invasive Pflanzen,
- für ihre Interessen auf politischer Ebene einzutreten, und
- ihre Landrechte an Weideland abzusichern.
Kenias Norden wurde von der Regierung jahrzehntelang als unproduktives Land verstanden und Pastoralist*innen galten als rückständig. Erst 2012 fand ein Paradigmenwechsel statt, indem die kenianische Regierung Pastoralismus offiziell als ökonomische Tätigkeit und als kulturelle Identität anerkannte. 2016 wurde eine neue kenianische Landgesetzgebung (Land Act) vom Parlament beschlossen, mit der Pastoralist*innen ihre Landrechte an Weideland absichern können.
IMPACT unterstützt die Hirtengemeinschaften dabei ihre Landrechte an Weideland in Form gemeinschaftlicher Titel abzusichern. Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies ein aufwändiger und langwieriger Prozess ist und es häufig an politischem Willen seitens der lokalen Administration mangelt. Außerdem fehlen verankerte Rechte, Weideland außerhalb der eigenen angestammten Gebiete nutzen zu dürfen. Ohne eine verbindliche Ausweisung von Weideland erteilen die Behörden immer wieder Genehmigungen, die Landflächen anderen Nutzungen zuführen, so dass Pastoralist*innen der Verlust ihrer Lebensgrundlagen droht.
Hintergrund
- In Kenia leben etwa 9 Millionen Menschen (1,73 Millionen Haushalte), die sich als Pastoralisten verstehen.
- Von diesen sind 4,0 Millionen Menschen (0,8 Millionen Haushalte) direkt von der Tierhaltung abhängig.
- Sie halten etwa 70% der Rinder des Landes, 87 % der Schafe und 81 % der Ziegen, 100% der Kamele, 88% der Esel und 74 % der Bienenstöcke.
- Die pastorale Tierhaltung erwirtschaftete im Jahr 2019 einen Wert von 1,13 Milliarden Dollar: 92% aus der Tierhaltung und 8% aus anderen Produkten (Milch Fleisch, Felle und Häute etc.) und Dienstleistungen.
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Autorin des Textes ist Sabine Dorlöchter-Sulser, Referentin
für Ländliche Entwicklung in Afrika bei Misereor