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„Keine Invasion sondern ein Recht!“ – Indigene in Brasilien kämpfen um ihr Land

Seit 1972 setzt sich der MISEREOR-Partner CIMI (Conselho Indigenista Missionário) in Brasilien für die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen ein. Cleber César Buzatto, Familienvater und studierter Philosoph, wurde kürzlich für weitere vier Jahre zum Generalsekretär der Fachstelle der katholischen Kirche für Indigene gewählt. In Aachen sprach er mit MISEREOR über die Diskriminierung der Indigenen in Brasilien und die schwierigen Bedingungen der Arbeit von CIMI.

Cleber Buzatto, Generalsektretär der MISEREOR-Partnerorganisation CIMI. © MISEREOR

Cleber Buzatto, Generalsektretär der MISEREOR-Partnerorganisation CIMI. © MISEREOR

Unter welchen Problemen leiden Indigene in Brasilien?

Die meisten Indigenen leben unter sehr prekären Bedingungen. Die Guarani im Bundestaat Mata Grosso do Sul zum Beispiel leben in winzigen, vor Jahrzehnten geschaffenen Reservaten. Diese beengten Lebensbedingungen führen zu sozialen Problemen wie Alkoholismus, Drogenkonsum und Gewalt. Die Rate an Morden und Selbstmorden ist in der Folge extrem angestiegen.

Darüber hinaus werden die Guarani und ihre Rechte zunehmend von außen attackiert. Es kommt regelmäßig zu direkten Übergriffen bewaffneter, paramilitärischer Gruppen, die ohne jegliche gesetzliche Legitimationsbasis agieren und von Großgrundbesitzer angeheuert werden, um die Guarani einzuschüchtern.

Die Anzahl der von uns registrierten Fälle von Gewaltanwendung gegen die Guarani ist enorm gestiegen. Allein in den letzten drei Monaten gab es fünfzehn Übergriffe zu verzeichnen, die zu einem Todesfall führten. Sehr viele Menschen wurden durch Schusswaffen, Gummigeschosse oder Brandschatzung verletzt. Es kam sogar zu Fällen von Folter und Gruppenvergewaltigung. Insgesamt haben wir eine Situation, die CIMI und viele Anthropologen als Genozid charakterisieren.

Welche Motive stehen hinter dieser Schikane?

Das Hauptproblem ist eine Einheit von wirtschaftlichen Kräften aus dem Agrarbusiness, dem Bergbausektor und Firmen aus dem Infrastruktursektor (wie z.B. dem Straßen- oder Staudammbau), die auf eine sehr kohärente und aggressive Weise agieren und systematisch die indigenen Völker Brasiliens und ihre Rechte angreifen.

Ihr Ziel ist es, die Überlebensfähigkeit der indigenen Völker auf absehbare Zeit unmöglich zu machen durch die Zerstörung ihres Lebensraums und die Unterbindung der Demarkierung ihrer Territorien durch den brasilianischen Staat. Die Unternehmen wollen ihren eigenen Zugang zu dem Land sichern, das den Indigenen bereits durch den Staat anerkannt wurde. Dazu wird der administrative Prozess der Demarkierung und Anerkennung des indigenen Landes immer wieder behindert und gelähmt. Die Unternehmen versuchen auch, bereits abgeschlossene Demarkierungsverfahren wiedereröffnen zu lassen und die Anerkennung des indigenen Landes erneut zur Debatte zu stellen.

Welcher Instrumente bedienen sich die Firmen, um diese Ziele zu erreichen?

Die zentrale Strategie ist, Druck auszuüben auf die drei Elemente der Gewaltenteilung. Am offensichtlichsten ist das im Falle des Parlaments. Hier wird ein direkter, unmittelbarer Einfluss auf die Abgeordneten ausgeübt. 2014 bildete sich die sogenannte Bancada Ruralista, eine Gruppe von Abgeordneten verschiedener politischer Parteien, welche zum größten Teil Verbindungen zur Agrarindustrie haben. Die Wahlkampagnen dieser Abgeordneten wurden zum größten Teil von nationalen und internationalen Unternehmen finanziert wie z.B. der Fleischfirma JBS, aber auch internationalen Konzernen wie Cargill oder Monsanto.

Von den insgesamt 513 Abgeordneten umfasst die Bancada Ruralista etwa 200 Parlamentarier. Diese Abgeordneten arbeiten mit Hochdruck daran, die Verfassung im Sinne der erwähnten Ziele zu ändern. Zum Vergleich: Nur etwa 30 Parlamentarier setzen sich aktiv für die Belange der Indigenen ein. Das sind sehr wenige.

Auch die kommerziellen Medien sind im Grunde antiindigen. Es gibt nur wenige alternative Medien, die eine progressivere, proindigene Haltung einnehmen. Die kommerziellen Medien sind durch die gleichen wirtschaftlichen Gruppen finanziert wie die Bancada Ruralista und unterstützen sie daher. Darum braucht es Organisationen wie CIMI.

Wo setzt in diesem Kontext die Arbeit von CIMI an? Was kann MISEREOR tun, um CIMI in seiner Arbeit zu stärken?

Als Verbündeter von 180 indigenen Völkern setzt CIMI auf einen Prozess der Mobilisierung und Aufklärung. Wir wollen den Menschen ermöglichen, für ihre eigenen Rechte einzutreten. Wir informieren und mobilisieren die Menschen auf lokaler und regionaler Ebene. Das ist die Grundvoraussetzungen, damit sie dem beschriebenen Prozess die Stirn bieten und gegen die Verletzung ihrer Rechte Beschwerde einlegen können. Dazu leisten wir auch logistische Hilfe, um die indigene Präsenz in der Hauptstadt Brasilia zu stärken und ihnen bei den Staatsgewalten Gehör zu verschaffen.

Darüber hinaus betreiben wir im Bereich der Menschenrechte intensiv Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten. Nicht nur wegen der finanziellen Unterstützung ist MISEREOR in diesem Prozess ein sehr wichtiger Unterstützer. MISEREOR hilft uns auch dabei, auf internationaler Ebene Sichtbarkeit zu erlangen und uns zu vernetzen.

Können Sie als Generalsekretär von CIMI unbehelligt arbeiten oder stehen Sie auch im Fokus der mächtigen Interessensgruppen?

Es gibt eine parlamentarische Untersuchungskommission, in deren Augen CIMI sehr verdächtig ist. Ich werde bald wieder vor dieser Kommission vorstellig werden müssen, um unsere Arbeit zu rechtfertigen. Die Parlamentarier der Bancada Ruralista sitzen in der Kommission und haben Organisationen wie CIMI im Visier. Sie wollen uns kriminalisieren und Beweise finden, dass CIMI sogenannte „Invasionen“ in die Ländereien der Großgrundbesitzer finanziert. Nachdem die vertriebenen Guarani jahrelang unter Plastikplanen gelebt haben, sind einige tatsächlich in die ihnen angestammten Gebiete zurückgekehrt, ohne den Ausgang des gelähmten Anerkennungsprozesses abzuwarten. Da sich die Gebiete aktuell unter der Kontrolle von Großgrundbesitzern befinden, ist das nach der Definition der Kommission eine „Invasion“. Nach unserer Definition ist das keine Invasion, sondern ein Recht.

Welche Möglichkeiten haben die Guarani konkret, um sich gegen die Verletzung ihrer Rechte zu wehren?

Auf Initiative der Guarani und anderer indigener Gruppen in Mato Grosso do Sul entstand mit unserer Unterstützung eine Sensibilisierungskampagne, die sich speziell an die Gesellschaften und Regierungen von den Ländern richtet, die landwirtschaftliche Produkte aus der Region importieren und deren Firmen mit dem brasilianischen Agrarsektor gemeinsame Sachen machen. Viele ausländische Firmen, darunter auch deutsche wie BASF und Bayer, wollen in Mato Grosso do Sul investieren und Land kaufen. Die Kampagne verfolgt das Ziel, diese Investitionen durch politischen Druck zu stoppen, solange die Territorien der Indigenen nicht klar demarkiert und ihre Rechte anerkannt sind. Durch internationalen Druck und Sensibilisierung sollen auch die Firmen selbst dazu bewegt werden, von Investitionen abzusehen, welche die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen beschränken.


Weitere Informationen

„Die brasilianische Regierung muss auch die jüngsten Morde aufklären, die Rechte der Indigenen garantieren und Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Gemeinden einleiten“, betonte MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel kürzlich.

 

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Thomas Kuller ist Fachreferent für Friedensförderung und Konflikttransformation bei MISEREOR.

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