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Klimawandel und Stadt: Die Bevölkerung zahlt für die Ignoranz der Verantwortlichen!

Marco Kusumawijaya ist Architekt, überzeugter Aktivist, Visionär und Direktor des Research Center für urbane Studien, kurz RUJAK, in Jakarta. Derzeit kämpft er zusammen mit anderen indonesischen Organisationen und Gemeinden gegen die „Giant Sea Wall“ in Jakarta, ein gigantisches Deichprojekt, das über eine Länge von 37 Kilometern die Stadt vor Klimawandelfolgen wie Überflutungen schützen soll. Warum Marco Kusumawijaya das tut, erklärt er im Interview.

Marco Kusumawijaya fordert mit Blick auf die UN Habitat-Konferenz im Oktober, dass die Armen im Vordergrund stehen müssen.

Marco Kusumawijaya fordert mit Blick auf die UN Habitat-Konferenz im Oktober, dass die Armen im Vordergrund stehen müssen. Foto: Privat

Was ist das Problem mit dem Deich-Projekt in der Bucht vor Jakarta?

Derzeit sind vor Jakarta zwei Großprojekte in Planung: Zum einen 17 künstlich angelegte Inseln in der Nähe der Küste, von denen zwei bereits angelegt sind und die an Privatkäufer gehen. Zum anderen ein gigantischer Damm zum Schutz vor Überflutungen. Unser Hauptkritikpunkt daran ist: Hier werden nicht die Probleme der Bewohner Indonesiens angegangen! Der Klimawandel führt dazu, dass der Meeresspiegel in Jakartas Bucht um rund sechs Millimeter im Jahr ansteigt. Ein viel größeres Problem ist aber, dass das Land zwischen drei und 20 Zentimetern im Jahr absinkt, je nach Region. Einerseits, weil das Grundwasser sinkt, andernorts aufgrund der Belastung durch Baustrukturen und drittens aufgrund der Bewegung der Kontinentalplatten bei Japan und Indonesien. Der Deich würde Jakarta vor dem steigenden Meeresspiegel schützen, nicht aber vor der Landsenkung. Und: Er würde die gesamte Bucht von Jakarta quasi abriegeln. Das Wasser, das aus dem Hinterland zurück in die Flüsse und damit in die Stadt fließt, müsste abgepumpt werden – und das wird teuer, weil es eine Menge ist.

Sie sagen, dass das eigentliche Problem nicht adressiert wird und dass viele Menschen in und um Jakarta schwerwiegende Nachteile aus dem Projekt haben werden. Welche sind das?

Die Menschen zahlen heute schon die Kosten dafür, dass die Verantwortlichen die eigentlichen Probleme ignorieren. Es gibt bereits jetzt, nach Anlegung der ersten zwei Inseln, negative Effekte auf den Lebensraum von mehr als 17.000 Familien. Die Inseln blockieren die Route der Fischer zum Meer. Andere berichten, dass sie auf wichtigen Fischereigründen stehen. Innerhalb von nur sechs Monaten wurden bereits zehntausende Fische tot an der Küste angespült. Ein unglaubliches Bild! Experten betonen, dass das am geringen Sauerstoffgehalt im Wasser liegt. Die Inseln verändern die natürliche Strömung; mehr organisches Material muss abgebaut werden und für die Fische bleibt nicht genug Sauerstoff. Es gab Gespräche seitens der Regierung mit den Fischern – aber erst, nachdem die Pläne für das Projekt fertig waren! Nun hat das Gericht über eine Insel entschieden und den Weiterbau gestoppt. Das aber nur, weil physische Auswirkungen schon nachgewiesen werden können. Für die anderen beiden Inseln ist unser Einspruch in Planung.

Warum können solche Projekte angestoßen werden, obwohl Experten schon vor Beginn vor den Folgen warnen?

Die Inseln wurden ohne Genehmigung der Regierung errichtet. Das kann man sich in Deutschland vielleicht nicht vorstellen, aber unsere Gesetzgebung ist vielschichtig und nicht immer ganz eindeutig. Plus: Die Indonesische Antikorruptionsbehörde ermittelt. Investoren haben nicht nur die Inseln bereits gebaut, sondern auch Häuser darauf gesetzt. Was ganz anderer Genehmigungen bedurft hätte. Auch die lagen nicht vor.

Gäbe es Alternativen zum Deich-Projekt?

Experten haben bewiesen, dass es günstigere Alternativen zu dem Damm gibt, wie einfachere, lokale und weniger teure Konstruktionen entlang der bereits bestehenden Küstenlinie.

Ist die „Giant Sea Wall“ beispielhaft für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die auf Kosten der lokalen Bevölkerung gehen?

Definitiv, derartige Projekte sind Beispiele für einen dreifachen Skandal: erstens die Ignoranz über die Ausmaße des Problems und des Projekts. Es geht hier nicht nur um tausende bedrohte Fischer und deren Familien, sondern auch um eine langfristige Betroffenheit der ganzen Bevölkerung. Es gab so wenige Konsultationen! Zweitens: Im Prozess unserer Arbeit gegen dieses Projekt haben wir mit vielen Experten gesprochen, die ganz unterschiedlicher Ansicht waren als die Experten, die die Regierung beauftragt hat. Die Regierung hat all das durchgesetzt, ohne das Wissen und die Interessen vieler anderer Stakeholder zu berücksichtigen. Und drittens, es tut mir leid: Die Unterstützung von Regierungen und Beratern aus Europa. Wir haben Unterlagen gesehen, in denen das Projekt und die damit verbundenen Bedenken viel zu eindimensional vorgestellt wurden. Ich finde, da ist mit Informationen nicht fair und auch nicht ehrlich umgegangen worden.

Zerstörungen auf den Philippinen nach Taifun Yolanda.

Zerstörungen auf den Philippinen nach Taifun Yolanda. Foto: Hartmut Schwarzbach

Sie sagen in einem anderen Interview, die lokalen, oft marginalisierten Gemeinschaften seien die eigentlichen „Vermittler des Wandels“. Wie meinen Sie das?

Wir sagen immer wieder: Der öffentliche Sektor kommt mit singulären Lösungen, wo lokale und individuelle Lösungen notwendig und oftmals besser sind. Ich verstehe ihre Argumente, zum Beispiel gemeindebasierte Lösungen seien zu kompliziert, aber ich akzeptiere sie nicht. Wir brauchen lokale Ansätze, weil eben der globale Klimawandel ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Regionen, die Natur und die Menschen hat! Diese postkoloniale Mentalität ist uns allen bekannt, wenn es heißt: die Armen sind ungebildet und unfähig. Das ist falsch. Wir haben das nach dem schweren Taifun  2013 gesehen, wo in dem Küstenort Tacloban Gemeinden mit Unterstützung von Misereor-Partnern selbst ihre Häuser wieder aufbauen konnten, sich selbst organisierten und ihre Interessen vertraten.

Im Oktober findet Habitat III statt, der 3. UN-Weltgipfel zu Wohnungswesen und nachhaltiger Stadtentwicklung in Quito, Ecuador. Ziel soll eine „New Urban Agenda“ zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele für den Bereich Stadt sein. Was erwarten Sie von der Konferenz, bei der Sie selbst sogar Teilnehmer sein werden?

Die von mir genannten Probleme sind doch nicht neu. Habitat III soll die „neue urbane Agenda“ sein? Dabei wurden die alten Probleme, vor allem der Ausschluss der Armen in Entwicklungsländern, noch immer nicht gelöst. Im Zentrum muss stehen: Wie können wir ihre Gemeinschaft in den Vordergrund rücken, vor allem mit Blick auf ihre eigene Stimme! Globalisierung und Internationalisierung dürfen nicht nur unter dem Aspekt Wettbewerb betrachtet werden, es muss auch um Solidarität und Zusammenwirken gehen. Die UN und vor allem Habitat III müssen deren Vertreter sein – und dürfen nicht die neue Weltbank werden, weil es um das Geld geht.

Von Montag, 25. Juli bis Mittwoch, den 27. Juli,  findet mit der PrepCom III in Surabaya (Indonesien) die letzte große Vorkonferenz vor Habitat III in Quito statt. Marco Kusumawijaya wird vor Ort sein und wie andere Vertreter nichtstaatlicher Organisationen sowie der Zivilgesellschaft kritisch auf den Entwurf der „neuen urbanen Agenda“ schauen.


Weitere Informationen

Interview mit Almuth Schauber, Referentin für städtische Entwicklung bei MISEREOR: Klimaschutz darf nicht zu Lasten der Ärmsten Bevölkerung gehen

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Rebecca Struck hat als persönliche Referentin von MISEREOR-Chef Pirmin Spiegel gearbeitet.

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