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Einstürzende Fabriken, verlassene Plantagen

Immer wieder wird man als Verbraucher mit den menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in globalen Produktionsketten konfrontiert. Als im April 2013 über 1100 Menschen beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch ums Leben kamen, geriet dieses Thema weltweit in die Schlagzeilen. Die mediale Aufmerksamkeit hat in der Zwischenzeit wieder abgenommen, doch die Strukturen, die mit zum Tod der Arbeiterinnen und Arbeiter beigetragen haben, sind fortwährend auch in anderen Wirtschaftsbereichen zu finden.

Titelbild - Studie - Harvesting Hunger - Plantation Workers and the Right to Food

Titelbild der Studie: Harvesting Hunger – Plantation Workers and the Right to Food

Vor einem Jahr kamen bei der Suche nach den Unfallursachen nicht nur Missstände im Arbeitsschutz zur Sprache, sondern auch zahlreiche weitere Verletzungen von Arbeits- und Sozialstandards. Vielfach waren die Angeklagten jene Unternehmen, die Kleidung zu Preisen anbieten, die weit unter dem tatsächlichen Material- und Produktionswert liegen, z.B. KIK, C&A, H&M oder Primark.

Den langjährigen Kritikern der Textilbranche gab das Unglück auf makabre Weise Recht. Man hätte also hoffen können, dass dies einen Wendepunkt für die sozialen Standards in globalen Produktionsketten hätte darstellen können. Es wurde mehr freiwillige Selbstverpflichtung von Industrie und Handel auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen gefordert. Bundesentwicklungsminister Müller (CSU) empfahl als weiteren Lösungsansatz ein neues Gütesiegel für Verbraucher, das aktuell von Wirtschaft und Politik diskutiert wird. Doch reichen solche Maßnahmen aus? Sind die einstürzenden und brennenden Textilfabriken die Ausnahme im globalen Freihandel unserer Zeit? Sozusagen das böse Stiefkind der Globalisierung?

Reale Arbeitsbedingungen auf Plantagen – Kolonialistische Strukturen im 21. Jahrhundert

Das dem nicht so ist, wird überdeutlich, wenn man einen genaueren Blick auf die vielen Plantagen wirft, auf denen weltweit Nahrungsmittel und zunehmend Energieträger für den globalen Markt produziert werden. Unweigerlich fühlt man sich dabei an die Kolonialzeit erinnert. – Ein übertriebener Vergleich? Bei „Kolonialzeit“ denkt man an riesige Haziendas, an Tabakplantagen, an den transatlantischen Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika, an westliches Überlegenheitsdenken, Ausbeutung und Sklaverei.

Die Art der Arbeit auf vielen der heutigen Plantagen unterscheidet sich trotz der technischen Revolutionen in der Landwirtschaft noch immer kaum von damals. Sie ist körperlich extrem anstrengend und ist, wie das Beispiel der Teepflückerinnen und -Pflücker verdeutlicht, noch immer zu einem großen Teil auf rein manuelle, möglichst billige Arbeitskraft angewiesen. Und auch an den wirtschaftlichen Strukturen hat sich wenig geändert. Die Produkte, die damals als teure Kolonialwaren den europäischen Eliten vorbehalten waren, sind heute in unserem Alltag so stark verwurzelt, dass wir uns beim täglichen Konsum selten ihre Herkunft bewusst machen. Bananen, Kaffee und Tee bekommt man in jedem Supermarkt zum Schnäppchenpreis, doch wenn man einmal die Abkürzung des Einzelhändlers EDEKA (Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, ursprünglich E.d.K.), hinterfragt, wird der eine oder andere vielleicht überrascht sein, wie gebräuchlich der Kolonialismus gegenwärtig tatsächlich noch ist.

All dies wäre nicht so empörend, wenn der globale Handel die besonders dunklen Kapitel der menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Plantagenarbeiterverbessert hätte. Doch erschreckenderweise zeigt sich, dass die Arbeitswelt der Teepflücker vielfach noch immer eine Form postkolonialer Leibeigenschaft ist, geprägt von Diskriminierung, Abhängigkeit und Willkür, sexuellem Missbrauch, Verbot gewerkschaftlicher Organisation, menschenunwürdiger Unterbringung und unzureichender Entlohnung.

Das diskrete Leid der Plantagenarbeiter

Anstatt Mindestlöhne durchzusetzen, sind die Plantagenbetreiber jedoch dem Preisdiktat des Weltmarktes ausgesetzt. Die enorme Marktmacht weniger Großhändler, die Tee verstärkt aus neuen Anbauregionen beziehen, setzt Produzenten in traditionellen Regionen unter Druck. So mussten innerhalb der letzten Jahre zahlreiche Plantagen in Indien, dem weltweit zweitgrößten Produzenten von Tee, wegen Misswirtschaft schließen. Und dies ist die größte Katastrophe, die in diesem Zusammenhang vorstellbar ist. Denn obwohl die Situation der Plantagenarbeiterinnen und -Arbeiter vorher von Unterdrückung geprägt war, bot sie auch eine gewisse Sicherheit durch eine rudimentäre Versorgung an grundlegenden Sachleistungen (Nahrung, Medizinische Versorgung, z.T. Bildung). Fällt diese ohne eine finanzielle Kompensation weg, kämpfen die zurückgebliebenen Familien buchstäblich um ihr Leben. Wie lange kann ein Mensch mit einer von heute auf morgen reduzierten Kalorienzufuhr von 250kcal pro Tag überleben?

Verhungern geschieht langsam und es geschieht leise. Darum gelangen diese Schicksale seltener in unsere Medien und erfahren weniger Aufmerksamkeit als der eingangs erwähnte Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch. Hunger kommt in unserer westlichen Lebenswelt quasi nicht vor und schon allein sich davon ein Bild zu machen, fällt schwer.

Über die Autorin: Susanna Hönle studiert in Halle (Saale) den Master International Area Studies, wo sie sich unter anderem mit den Themen internationale Agrarentwicklung, internationale Wirtschaftsräume und Nachhaltigkeit beschäftigt. Ihr persönliches Interesse gilt dabei vor allem der Frage, wie eine sozial- und umweltgerechte Welternährung gestaltet werden kann.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen ihres Praktikums in der Abteilung “Politik und Globale Zukunftsfragen” bei MISEREOR.

 

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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