Immer häufiger kaufen Investoren große Agrarflächen im globalen Süden auf mit dem Argument: Nur durch großindustrielle Landwirtschaft lässt sich der weltweite Hunger bekämpfen. Doch welche Auswirkungen haben die Investitionen auf lokale Kleinbauern? Ist industrielle Landwirtschaft im Vergleich zur kleinbäuerlichen Produktion der effektivere Weg der Nahrungssicherung ? Über die Chancen und Risiken großflächiger Agrarinvestitionen diskutierten Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Köln auf einer von MISEREOR organisierten Podiumsdiskussion. Lesen Sie hier die einzelnen Standpunkte:
Stefan Schmitz, Sonderbeauftragter der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), erläuterte zu Beginn der Diskussion die Entwicklungspolitik der Bundesregierung im Agrarsektor: „Nicht alle Kleinbauern, die unsere Entwicklungspolitik fördert, werden in 15 Jahren noch Kleinbauern sein. Es wird heißen: Wachse oder weiche! Diejenigen, die nicht wachsen wollen, werden in andere Beschäftigungen weichen. Wir sollten den Strukturwandel nicht verhindern, aber er muss im richtigen Tempo betrieben werden.“
Der Filmemacher Valentin Thurn (u.a. „10 Milliarden“, „Taste the Waste“) hielt dagegen und kritisierte: „Die momentane Entwicklungspolitik repariert lediglich die Schäden unserer auf Liberalisierung ausgerichteten Handelspolitik. Dies gelingt ihr nur in kleinem Maßstab. Wir sollten den afrikanischen Ländern keinen Freihandel oder Strukturwandel aufzwängen. Warum reden wir über Entwicklungspolitik, wenn es unsere Handelspolitik ist, die die Schäden verursacht?“
Freihandel oder Protektionismus?
Stefan Schmitz räumte in puncto Freihandel und Entwicklung ein, dass es dazu unterschiedliche Positionen innerhalb der Bundesregierung gebe, betonte aber gleichzeitig: „Die allermeisten afrikanischen Staaten hätten die Möglichkeit, ihre Grenzen für Importe dicht zu machen. Protektionismus wird aber oft von den jeweiligen Regierungen gar nicht gewollt und wäre auch nicht der beste Weg. Oft stehen die europäischen Subventionen für die eigene Landwirtschaft am Pranger. Ich habe jedoch große Zweifel, dass diese der entscheidende Punkt sind. Man kann die Agrarsubventionen der EU sicherlich sinnvoller ausrichten, aber diese haben nicht den größten Einfluss auf die wirtschaftliche Lage in armen Ländern. So gibt es durchaus viele wichtige Stellschrauben in der Handelspolitik, aber an der Freiheit des Weltagrarhandels sollten wir nicht rütteln.“
Dem widersprach Professor Theo Rauch von der Freien Universität Berlin: „Ich bin zwar skeptisch, was Protektionismus bei der Produktion von Grundnahrungsmitteln angeht. Wenn es um verarbeitete Produkte geht, kann Protektionismus aber für Afrika durchaus ein sinnvoller Schritt sein. Damit das Credo „Wachse oder Weiche“ für die Betroffenen nicht im Mittelmeer endet, benötige wir beim zu erwartenden Wachstum der Bevölkerung auf dem Land in Afrika neue Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft. Der Aufbau dieses Kleingewerbes ist unter internationalen Marktbedingungen allerdings viel zu unsicher und braucht daher einen gewissen Schutz.“
Sabine Dorlöchter-Sulser, MISEREOR-Referentin für ländliche Entwicklung ergänzte: „Die Ausgangspunkte vieler heutiger Probleme in der Weltagrarwirtschaft liegen in eben jenen Strukturanpassungsprogrammen der 1980er Jahre. Dabei wurden viele Unterstützungs-, Beratungs- und Finanzdienstleistungen für Kleinbauern abgebaut und bis heute nicht angemessen durch private Initiativen ersetzt. Vielmehr werden die Bauern durch den Wegfall staatlicher Subventionen unter Druck gesetzt.“
Dies zeige die kürzlich von MISEREOR durchgeführte Studie „A Right to Food Perspective“ im Falle der SAGCOT-Initiative in Tansania, die einen landwirtschaftlichen Wachstumskorridor schaffen und private Investoren anlocken soll. „In diesem Zuge sind die Bauern beispielsweise beim Kauf von Saatgut und Dünger zunehmend abhängig von privaten Firmen. Durch den Wegfall staatlicher Subventionen können die Kleinbauern sich diese teureren ausländischen Produkte aber immer weniger leisten. Darüber hinaus werden viele Kleinbauern durch den Landkauf ausländischer Investoren von dem Land vertrieben, das sie seit Generationen landwirtschaftlich genutzt haben“, erläuterte Dorlöchter-Sulser.
Theo Rauch illustrierte dies mit einem Beispiel: „Das Versprechen von Arbeitsplätzen durch die privaten Investitionen ist zwar nicht zu unterschätzen. Bei allen Vorteilen ist das Dilemma der Landkäufe aber, dass die Elite eines Dorfes oft über die Ländereien von Minoritäten entscheidet. Die abgegebenen Flächen sind für die sehr armen Minderheiten oft überlebenswichtig. Dieser sozial selektive Prozess heizt Konflikte auf lokaler Ebene an.“
Agrarinvestitionen als Entwicklungsmodell?
„Trotz nicht zu leugnender Negativbeispiele sollten großflächige Agrarinvestitionen nicht grundsätzlich verteufelt werden“, argumentierte Stefan Schmitz vom BMZ. „Wir müssen die Chancen, die solche Investitionen bieten, nutzen und gleichzeitig dafür eintreten, Fehlentwicklungen zu vermeiden.“
Laut Martin Märkl, Senior Sustainable Development Manager von Bayer CropScience, trägt der Privatsektor maßgeblich zur Entwicklung der Landwirtschaft in Afrika bei. Der Zugang zu Innovationen im Agrarbereich wie etwa Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz oder die Mechanisierung würde dabei eine entscheidende Rolle spielen. Bayer CropScience sehe gerade Kleinbauern als wichtige Kundengruppe an, die wesentlich dazu beitragen könne, Afrika wieder unabhängiger von Lebensmittelimporten zu machen.
Daher sei der deutsche Konzern auch Partner der tansanischen SACGOT-Initiative. Märkl berichtete von den Erfahrungen: „Das Anlocken privater Investoren hat in dem erhofften Maße bisher nicht funktioniert. Die rechtlichen Unsicherheiten bezüglich der Landtitel sind für Investoren die gleichen wie für Kleinbauern. Bayer hat zwei Jahre gebraucht, um vor Ort eine Zweigstelle zu eröffnen, da der administrative Aufwand enorm groß war. Wir empfehlen, SAGCOT daher als Laboratorium anzusehen.“ Die Initiative sei noch zu jung für eine Bewertung. Langfristig seien Monitoring und Evaluation sehr wichtig, um ein besseres Verständnis der Probleme und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. „Der Privatsektor alleine ist sicher nicht die einzige Lösung! Man muss die Themen aber aus verschiedenen Perspektiven angucken und sollte Pauschalisierungen vermeiden“, forderte Märkl.
Kleinbauern zuerst!
„Meine Skepsis gegenüber großflächigen Landinvestitionen ist keine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Agrobusiness“, entgegnete Theo Rauch. „Kleinbauern sind keine Unternehmer, so dass ihnen der Marktanschluss oft schwer fällt. Entwicklungszusammenarbeit sollte bei diesem Problem ansetzen. Die Integration der Kleinbauern in internationale Wertschöpfungsketten ist ein guter Weg, um ihnen diese unternehmerische Leistung zu ersparen. Die wäre ein sinnvolleres Entwicklungsmodell als großbetriebliche Landwirtschaft. Es sollte aber das Subsidiaritätsprinzip gelten: Kleinbauern zuerst! Kleinbauern verstehen etwas von der Produktion, und die muss man ihnen lassen. Dafür sollte die Politik ihnen standort- und produktspezifische Hilfe beim Marktanschluss und der Abnahme ihrer Produkte anbieten. Das ist keine Sozial- sondern auch Wachstumspolitik!“
Dorlöchter-Sulser ergänzte abschließend, dass es dabei jedoch wichtig sei zu fragen: „Wer schöpft bei öffentlich-privaten-Partnerschaften am Ende die Gewinne ab? Und wer entscheidet darüber, wer am Ende profitiert und wer nicht? Die Beteiligung der betroffenen Bauern an diesen Entscheidungsprozessen ist oft relativ gering. Die Entscheidungen fallen aktuell zu stark zugunsten der großen Akteure aus der Wirtschaft aus und zu selten zugunsten der lokalen Akteure. Es gibt beim Marktzugang für Kleinbauern tatsächlich viele Probleme. Die Frage ist jedoch: Wen unterstützt Entwicklungspolitik? Die breite Masse an Kleinbauern oder nur die 20 Prozent sogenannter Potentialbauern? Es wäre der falsche Weg, ausschließlich diejenigen zu fördern, denen man Wachstum und die Eingliederung in internationale Wertschöpfungsketten zutraut!“
Die Studie ‚A Right to Food Perspective‘ zu den Folgen von großflächigen Agrarinvestitionen für Kleinbauern in Tansania finden Sie hier als Vollversion (Englisch) und in der Kurzversion (Deutsch).
„Die Integration der Kleinbauern in internationale Wertschöpfungsketten ist ein guter Weg, um ihnen diese unternehmerische Leistung zu ersparen. Die wäre ein sinnvolleres Entwicklungsmodell als großbetriebliche Landwirtschaft. “ Genau das leistet der Faire Handel, indem er Kleinbauernkooperativen fördert!