Wie können menschenrechtliche Grundsätze in die Diskussion um eine nachhaltige und inklusive Stadtentwicklung aufgenommen werden? Expertinnen und Experten aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft diskutierten darüber bei der Misereor-Fachtagung „Klimapolitik in Städten ohne Vertreibungen“ in Berlin.
Überflutungen, Schlammlawinen, Hochwasser: Städtebauliche Maßnahmen, die Menschen vor den Folgen des Klimawandels schützen, sind dringend nötig – auch und gerade in den Städten des globalen Südens. Doch diese Schutzmaßnahmen dürfen nicht zu Menschenrechtsverletzungen führen, mahnt MISEREOR.
Immer öfter schlagen MISEREOR-Projektpartner Alarm, weil Bauprojekte, die Städte und ihre Bewohner vor den Folgen des Klimawandels schützen sollen, zu brutalen Vertreibungen führen. Betroffen sind meist die Ärmsten der Armen. Und das in doppelter Hinsicht: Sie siedeln häufig informell, das heißt ohne offizielle Genehmigung oder Grundbucheintrag, in den Gefahrenzonen der Städte. An Flussufern, am Meer, an steilen Hängen oder in Überschwemmungsgebieten. Kommt es zum Beispiel zu Überflutungen sind sie als erste in Gefahr. Und ihr weniges Hab und Gut dazu.
Infrastrukturmaßnahmen wie der Bau von Dämmen, Kanälen, Überlaufflächen sind nötig. Diese finden jedoch meist ausgerechnet dort statt, wo die städtischen Armen wohnen. Rücken die Bagger an, müssen ganze Siedlungen weichen. Die Betroffenen werden nicht informiert, und es gibt für sie meist auch keinerlei Kompensation. Aus MISEREOR-Sicht ist das ein Verstoß gegen grundlegende Menschenrechte.
„Klimapolitik in Städten ohne Vertreibungen“ lautete deshalb der Titel der internationalen Fachtagung, zu der MISEREOR am 31. Mai 2016 im Vorfeld des German Habitat Forums geladen hatte. Projektpartner aus Kamerun und von den Philippinen waren dafür nach Berlin gereist, um den Betroffenen aus ihren Heimatländern Gehör zu verschaffen. Die Diskussion mit den deutschen und internationalen Expertinnen und Experten aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zeigte: Mit seinem Fokus auf das „Recht auf Wohnen“ konnte MISEREOR im Prozess um die Erarbeitung einer „New Urban Agenda“ einen wichtigen Impuls setzen. Die Agenda soll im Oktober, beim 3. UN-Weltgipfel zu Wohnungswesen und nachhaltiger Stadtentwicklung (Habitat III) in Quito, Ecuador verabschiedet werden.
Impressionen von der Veranstaltung:
„Urbane Klimapolitik muss diejenigen im Blick haben, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden und am wenigsten Energie verbrauchen. Es geht also um Klimagerechtigkeit für die städtischen Armen und um deren Schutz.“
Dr. Almuth Schauber, MISEREOR-Expertin für städtische Armut
Lenkte den Blick auch nach Deutschland, Prälat Dr. Karl Jüsten in seiner Begrüßungsrede:
„Nicht nur im globalen Süden, auch wir hier in Deutschland brauchen eine integrative und inklusive Stadtentwicklung. In den Städten sollte eine Mischung aus Wohnungseigentum und Mietwohnungen bestehen. Die Bistümer können mit ihren Bauvorhaben mit Good-Practice-Beispielen vorangehen.“
Fordert regulierte Umsiedelungen innerhalb der Stadt, Alfredo Bernarte Jr, Advocacy Mitarbeiter beim philippinischen MISEREOR-Projektpartner Urban Poor Associates:
„Die bisherigen Umsiedelungen funktionieren nicht. In den Gebieten, die die Menschen zugewiesen bekommen, fehlt eine funktionierende Wasserversorgung, und es gibt kein Abwassersystem. Die zugewiesenen Gebiete liegen weit außerhalb des Zentrums, doch die umgesiedelten Bewohner arbeiten meistens in den Innenstädten. Die Transportzeiten sind zu lang, und die Kosten zu hoch, sodass sich die Familien meistens nur noch an den Wochenenden sehen. Darum fordern wir regulierte Umsiedelungen innerhalb der Stadt.“
„Wir müssen die Städte nach einem integrierten Ansatz für Stadtentwicklung mit erneuerbaren Energien und entsprechenden Verkehrskonzepten ausbauen. Das soll die Weichen stellen, Ausstrahlungskraft auf andere haben und den klimagerechten Ausbau der Städte weltweit fördern.“
Dr. Matthias Schmoll, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
„Unsere Forderung an die deutsche Bundesregierung ist, dass sie ihre ökonomische Macht nutzt, um sich im Zuge des Habitat-Prozesses gegen erzwungene Vertreibungen einzusetzen!“
Elisabeth Mekougou Obama, MISEREOR-Projektpartnerin aus Kamerun
„Wir fordern eine inkludierende Stadtentwicklung, die stärker als bisher alle Bevölkerungsgruppen mit einschließt.“
Prof. Dr. Frauke Kraas, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU)
„Eigentlich brauchen wir jetzt wieder eine Änderung des Grundgesetzes. Dass man sagt, das gesamte Wohnungsthema geht alle an, ist sozusagen eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden und muss als solche auch angegangen werden. (…) Und wenn ich neue Stadtteile baue, muss ich auch gucken, wie mache ich das inklusiv, dass dort auch Menschen mit Behinderungen leben können, dass Menschen aller Bevölkerungsgruppen dort leben können.“
Klaus Mindrup, Mitglied des deutschen Bundestages, SPD, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
„Wir sprechen heute von den globalen Armen in den Städten, die in vorläufigen Behausungen leben. Sie sind besonders bedroht von Zwangsumsiedlungen, wie wir in dem philippinischen Beispiel gesehen haben und auch in Kamerun. Diese Menschen brauchen Resilienz, also Widerstandsfähigkeit. Sie brauchen einen klaren Eigentumstitel, der sicherstellt, dass sie dort, wo sie leben, bleiben können. Das wäre auch ein Schutz gegen die Zwangsumsiedlung.“
Shivani Chaudhry, „Housing and Land Rights Network (HLRN), Neu-Delhi.
„Was wir heute gehört haben – sowohl von der ganz konkreten Aktivitätsbasis in Kamerun, wo ganz elementare Menschenrechte verletzt werden, bis hin zu dem großen wissenschaftlichen Anspruch des WBGU-Gutachtens – macht deutlich, was für ein unglaubliches Erwartungsniveau an die ‚New Urban Agenda‘ gestellt wird.“
Dr. Tania Rödiger-Vorwerk, Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
Ausblick auf die HABITAT-Konferenz im Oktober in Quito, Ecuador:
„Meine Erwartungen an die HABITAT-Konferenz ist, dass es nicht nur ein Papier und eine wunderbare Abschlusszeremonie gibt, sondern, dass die Ziele, die dort vereinbart werden, dann auch tatsächlich ganz konkret national und lokal umgesetzt werden.“
Dr. Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland