Mehr als drei Milliarden Menschen weltweit leben heute in Städten – über ein Drittel davon in Armenvierteln. Ab Montag diskutieren Vertreter der Vereinten Nationen in Ecuador über ein zukünftiges Leitbild für nachhaltige Stadtentwicklung, die „New Urban Agenda“. Misereor-Expertin Altmuth Schauber will auf der UN-Konferenz in der Hauptstadt Quito den Armen in der Stadt eine Stimme verleihen.
Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht Almuth Schauber über ihre Erwartungen.
Auf der UN-Konferenz Habitat III sollen Wege gefunden werden, wie Städte im Rahmen der Agenda 2030 nachhaltig weiterentwickelt werden können. Warum braucht es eine eigene Konferenz speziell für den Bereich „Stadt“?
Schauber: Mindestens 65 Prozent der Messlatten der Agenda 2030 können nur erreicht werden, wenn sie in Städten umgesetzt werden. Schon heute lebt ein Drittel der Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern in informellen Siedlungen. Diese Wohnviertel sind auch sichtbare Zeichen eines sozialen, politischen und ökonomischen Ausschlusses, den es zu überwinden gilt. Arme Stadtbewohner sind mit ihrem geringen ökologischen Fußabdruck nicht verantwortlich für den globalen Klimawandel. Aufgrund der Tatsache, dass Städte 70 Prozent der weltweit erzeugten Energie verbrauchen und 70 Prozent der Treibhausgase ausstoßen sind Städte ins Zentrum der Klimapolitik gerückt. Sie haben eine globale Bedeutung erhalten. Profitieren städtische Arme von Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimawandelanpassung? Das zumindest wäre die logische Folge, wenn man Klimapolitik als Instrument der Armutsminderung versteht.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Menschen in den städtischen Armutssiedlungen?
Schauber: Eklatanter Wohnungsmangel zwingt Menschen dazu, sich selbst mit Wohnraum zu versorgen. Sowohl die Menschen als auch die Siedlungen werden von Kommunen nicht anerkannt. Es fehlen Basisinfrastrukturen. Viele informelle Siedlungen befinden sich in unmittelbaren Gefahrenzonen, z. B. an Flussufern und Küstenstreifen. Die Menschen arrangieren sich mit saisonal eintretendem Wasser in ihren Wohnungen. Erstaunlicherweise bedrohen Maßnahmen zum Schutz der Städte vor Überflutungen diese Menschen zusätzlich. Der Bau von Dämmen und Deichen führt immer häufiger zu Menschenrechtsverletzungen, insbesondere zu Vertreibungen. Solche Projekte wiederum sind meist mehr als pure Schutzmaßnahmen. Sie verbinden sich mit Einkaufszentren, Flaniermeilen, kleinen Yachthäfen und Luxuswohnraum. Gegen diese Verdrängung wehren sich städtische Arme weltweit.
Misereor wendet sich in seinem Positionspapier zum UN-Siedlungsgipfel auch an die deutsche Bundesregierung. Welche Forderungen stellen Sie konkret?
Schauber: Wir erwarten ein unmissverständliches Engagement für den Schutz der Ärmsten, für ihre Rechte auf Stadt und Wohnen und auf ein menschenwürdiges Leben. Wir erwarten, dass die Umsetzung ökologischer Nachhaltigkeit zum Preis von Menschenrechtsverletzungen geächtet wird. In Quito geht es um sehr viel Geld. Deutschland ist ein wichtiger Förderer der Entwicklungsbanken, unterstützt aber auch in vielfältiger Weise direkt Initiativen zum Schutz vor Klimawandelfolgen und des Klimaschutzes. Alle öffentlichen und internationalen Projekte müssen auf die Einhaltung verbindlicher sozialer, ökologischer und menschenrechtlicher Standards überprüft werden – seien die finanziellen Beteiligungen Deutschlands direkt oder indirekt. Sehr häufig werden auch Maßnahmen des Klimaschutzes als öffentlich-private Partnerschaften durchgeführt, d. h. als Allianzen zwischen öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit und Privatwirtschaft. Diese Partnerschaften sind zwangsläufig renditeorientiert. Wir bezweifeln, dass diese Art der Finanzierung jenen nutzt, die besonders stark von Klimawandelfolgen betroffen sind. Stattdessen ist es angemessen, dass die Menschen selbst Zugang zu Budgets erhalten, um ihre Stadtteile zu entwickeln. Auch hier erwarten wir ein entsprechendes Engagement in den anstehenden Verhandlungen.
Die Agenda 2030, das Pariser Klimaabkommen und nun die New Urban Agenda – das sind viele Abkommen, die auf UN-Ebene beschlossen werden. Besteht hier nicht die Gefahr, dass viel diskutiert und wenig umgesetzt wird? Wie können diese verschiedenen Abkommen ineinandergreifen?
Schauber: Genau darum muss es gehen. Die Habitat III Konferenz soll den Maßnahmenkatalog der Städte zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele definieren, die „Neue Städtische Agenda“. Das Pariser Klimaabkommen besagt, dass diese Ziele so erreicht werden müssen, dass die Erderwärmung 1,5 Grad nicht überschreitet. Aus Sicht von Misereor muss es konkret darum gehen, dass nachhaltige Entwicklung armuts- und gerechtigkeitsorientiert verläuft. Die Menschenrechte müssen Ausgangpunkt und Rahmen dieser Umsetzung bilden. Das Monitoring der Maßnahmen ist besonders wichtig: Wer könnte dies besser machen als die Menschen, die heute in Armensiedlungen leben? Sie werden authentisch berichten, ob und wie ihre Interessen und Rechte in Zukunft in das Handeln ihrer Kommunen einfließen.
Das Interview führte Lena Kretschmann und erschien zuerst auf weltkirche.katholisch.de
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