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Südsudan: „Ich sehe mit eigenen Augen, wie die Menschen an Gewicht verlieren“

Viele afrikanische Länder erleben derzeit schwere Hungerkrisen, auch im Südsudan wurde nun der Notstand ausgerufen. Dort hungern nach drei Jahren Bürgerkrieg nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) mehr als 4,9 Millionen Menschen. Während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs mit dem Sudan als auch während der innerstaatlichen Auseinandersetzungen sind MISEREOR-Partnerorganisationen vor Ort geblieben, um der notleidenden Zivilgesellschaft beizustehen. Sebastian Kämpf, Entwicklungsberater in der Diözese Wau, berichtet MISEREOR über die aktuelle Lage im Südsudan.

Derzeit leben rund 4000-8000 Menschen in einem Flüchtlingslager auf dem Kirchengelände der Diözese Wau. Fotos: MISEREOR

Seit rund einem Jahr erleben wir, dass sich die seit langer Zeit bestehenden ethnischen Spannungen zwischen den Dinka und kleineren Stämmen in fast allen Regionen des Landes in Gewalttätigkeiten niederschlagen, auch gegen Zivilisten. Die wichtigsten Überlandstraßen des Südsudan sind wegen Unsicherheit kaum passierbar, Reisende werden von den Kriegsparteien oder „normalen Kriminellen“ ausgeraubt und umgebracht. Die Regierung kann ihre Angestellten nicht mehr regelmäßig bezahlen. Die schweren Verwüstungen, die wir in Wau im Juni 2016 erlebt haben, wurden von plündernden Soldaten verübt. Es zirkuliert eine Vielzahl von Kleinwaffen im Land und es gibt eine große Zahl an Warlords, denen junge Männer auf Gedeih und Verderb folgen. In den konfliktbetroffenen Gebieten herrscht fast völlige Straflosigkeit.

Die Menschen haben beim Gewaltausbruch im Juni 2016 ihre Häuser verlassen. Foto: MISEREOR

Nur noch wenige, dafür teure Lebensmittel

Hinzu kommt, dass die Ernährungslage für Millionen Menschen extrem schlecht ist. Selbst zu „normalen“ Zeiten, z. B. während der relativ friedlichen Jahre zwischen 2005 und 2013, waren im Südsudan zwischen 2 und 3 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Dies hat einerseits mit der äußerst geringen landwirtschaftlichen Produktivität der nach Jahrzehnten aus dem Exil zurückgekehrten Menschen zu tun, die oft erst wieder lernen mussten, Nahrungsmittel zu produzieren. Hinzu kommen die in jüngster Zeit durch den enormen Wertverlust der einheimischen Währung hervorgerufenen, extrem hohen Preise für Nahrungsmittel – sie treffen vor allem die Menschen in den Städten. Seit der letzten UN-Schätzung im Juli 2016 hat das Südsudanesische Pfund noch einmal etwa 80 Prozent seiner Kaufkraft gegenüber dem Dollar verloren. Außerdem sind die Überlandstraßen für Nahrungsmittelimporteure durch Regenfälle und wachsende Kriminalität noch unsicherer geworden. Die Straße zwischen Yambio und Wau ist seit etwa einem Jahr nicht mehr passierbar, denn ihr nördlicher Teil ist unter vollständiger Kontrolle der Rebellen. Wir hier in Wau machen uns darüber hinaus große Sorgen um die einzige noch verbleibende Straße in die Hauptstadt Juba: Auch sie ist konfliktbetroffen, womöglich werden die lokalen Kämpfe  noch weiter eskalieren. Das hat zu erheblichen Versorgungsengpässen, vor allem bei Nahrungsmitteln sowie bei anderen Gütern wie Benzin etc. geführt. Fast alle Güter müssen aus dem benachbarten Ausland importiert werden.

Unterernährung bei Kindern hat sich verdoppelt

Ich sehe mit eigenen Augen, wie die Menschen hier in Wau innerhalb von wenigen Monaten an Gewicht verloren haben. In einigen Gebieten liegt die akute Unterernährung von Kindern bei über 30 Prozent – und damit doppelt so hoch wie normalerweise. Das Welternährungsprogramm WFP konnte bereits 2013, noch vor Ausbruch des aktuellen Konflikts, seine Zusagen für die Lieferung von Grundnahrungsmitteln für Kinder, chronisch Kranke, Schwangere und stillende Mütter in besonders betroffene Regionen nur zu etwa 50  Prozent einhalten. Das WFP ist chronisch unterfinanziert. 

Verschiedene Hilfsorganisationen und die Diözese versorgen die Menschen mit Wasser, Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs.

Nicht einmal Verstorbene können angemessen beigesetzt werden

Schrecklich ist die Lage vor allem für die mehr als 200.000 Menschen in den Lagern der UN, die inmitten der Hauptkonfliktgebiete liegen – in den drei ölreichen Bundesstaaten Jonglei, Unity und Upper Nile. Im überfüllten Lager von Bentiu (100.000 Binnenflüchtlinge) im Unity State soll die Lage nach wie vor katastrophal sein. Im unmittelbaren Umland wurde bis vor kurzem immer wieder gekämpft, so dass oft nicht einmal im Lager Verstorbene angemessen außerhalb bestattet werden konnten. Das Problem ist nicht nur der Mangel an Nahrungsmitteln, sondern auch die katastrophalen hygienischen Verhältnisse. Durchfallerkrankungen sorgen dafür, dass die geschwächten Menschen, darunter vor allem viele Kinder, Nahrung schlecht aufnehmen können. Die Flüchtlingskatastrophe des Südsudan gilt als die derzeit schlimmste in ganz Afrika.

Die internationale Gemeinschaft möchte die kaum noch verbleibende Trockenzeit nutzen, möglichst viele Nahrungsmittel über die schlechten Straßen in die meist betroffenen Gebiete zu bringen, bevor der einsetzende Regen eine Hilfe schrittweise unmöglich macht. Dafür ist jedoch viel Geld nötig. Die Zeit drängt. Ich weiß nicht, ob und wann eine Versöhnung auf absehbare Zeit und damit auch eine Verbesserung der Lage für die viele Millionen Menschen im Südsudan möglich ist.


Weitere Informationen

„Alle Hoffnungen der Menschen liegen jetzt auf der nächsten Regenzeit, die ab April erwartet wird. Sollte auch diese ausfallen, sehen wir uns einmal mehr einer humanitären Katastrophe in Ost-Afrika gegenüber, der nur mit massiver internationaler Hilfe begegnet werden kann“, erklärte MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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