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Pestizide: „Wir schauen hoffnungsvoll auf die Debatte in Europa.“

Medardo Avila Vazquez ist Kinderarzt und Neonatologe in der Caraffa-Klinik in Córdoba, Argentinien. Wie auch in Paraguay werden in Argentinien im Rahmen einer ressourcenintensiven industrialisierten Landwirtschaft, die vor allem auf den Export von Soja setzt, jährlich Millionen Liter Agrarchemikalien versprüht. Welche Folgen dies seit vielen Jahren für die lokale Bevölkerung hat, erzählt der Arzt im Interview.

Dr. Medardo Avila Vazquez, Kinderarzt und Neonatologe aus Córdoba. Foto: MISEREOR

Was beobachten Sie bei Ihrer täglichen Arbeit in der Klinik mit Blick auf die Folgen, die der großflächige Anbau von Soja in dieser Region für die Bevölkerung hat?

Wir beobachten eine klare Verschlechterung der Krankheitsbilder in den Gemeinden, die dem Einsatz von Pestiziden ausgesetzt sind. Seit 1996 wird in der Region im Südwesten von Cordoba gentechnisch veränderte Soja und Mais angebaut und jedes Jahr werden mehr Pestizide eingesetzt. Die Ärzte, die in den ländlichen Regionen Argentiniens arbeiten, sind längst daran gewöhnt, die allgemein typischen Krankheitsbilder zu behandeln, die Folge der massiven Belastung durch Pestizide sind. Waren es bislang 10 Prozent der Kinder mit Asthma, sind es heute bis zu 50 Prozent. Ein Beispiel: Das Dorf Monte Maíz mit 8000 Einwohnern liegt rund 300 Kilometer von Córdoba entfernt. Hier wird seit 1996 intensiv Soja angebaut. Wir haben dort das Regenwasser untersucht in den Zeiten, in denen Pestizide hauptsächlich gespritzt werden. In Argentinien ist das von September bis Februar. In den ersten 30 Millilitern des gesammelten Regenwassers fanden wir eine extrem hohe Glyphosatbelastung; bis zu 600 Mikrogramm pro Liter. Das bedeutet: Der Regen reinigt die Luft und bindet die darin befindlichen chemischen Substanzen, die wir sonst einatmen. Die Pestizide befinden sich nicht nur im Boden und in der Pflanze, sondern ein großer Teil davon wird von der Luft aufgenommen und bleibt in der Atmosphäre. Deshalb leiden so viele Kinder an Asthma.

Gibt es weitere Folgen, die Sie ausmachen?

Wir beobachten außerdem endokrine Erkrankungen (Anm.d.Red.: Hormon- und Stoffwechselstörungen), vor allem Schilddrüsenüberfunktionen kommen in den Sojaanbau-Regionen häufig vor. Normalerweise sind Frauen davon stärker betroffen, hier kommt es bei Frauen und Männern fast gleich häufig vor. Normalerweise sind eher Personen über 50 davon betroffen, bei uns sind 25 Prozent der Menschen zwischen 20 und 40 Jahren von der Überfunktion betroffen. Außerdem gibt es reproduktive Probleme. Die Fruchtbarkeit nimmt ab, und wir beobachten eine größere Gefahr von Fehlgeburten. Im Vergleich: Im argentinischen Durchschnitt haben drei von 100 Frauen in fünf Jahren eine Fehlgeburt. In den Dörfern, die der Pestizidbelastung ausgesetzt sind, sind es zehn bis 20 Prozent. Junge, gesunde Frauen. Dazu kommt, dass vermehrt Kinder mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Normalerweise gibt es einen Durchschnitt von zwei von 100 Kindern, die mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Wir haben hier vier bis sechs Prozent der Kinder mit Fehlbildungen, also das Doppelt bis Dreifache. Das gleiche gilt für Krebserkrankungen. Brustkrebs kommt in den Dörfern besonders häufig vor, auch Prostatakrebs, selbst bei jungen Männern. Bodenanalysen haben gezeigt, dass manche Dörfer sogar stärker von der Pestizidbelastung betroffen sind als die Anbaugebiete selbst. Denn dort werden die Fahrzeuge und Maschinen befüllt, Pestizidvorräte und die leeren Behälter aufbewahrt.

Die Europäische Union muss bald darüber entscheiden, ob Glyphosat für weitere zehn Jahre in ihren Mitgliedsstaaten zugelassen wird. Hätte diese Entscheidung auch Einfluss auf die Debatte in Südamerika?

Hier in Argentinien und in unseren Nachbarländern ist die Debatte um Glyphosat sehr eingeschränkt, quasi bei null. Unsere staatlichen Behörden schützen das Agrobusiness, in den entscheidenden Gremien sitzen Vertreter der Unternehmen, die diese Produkte verkaufen. Ihre Interessen sind ganz offensichtlich. Daher schauen wir sehr hoffnungsvoll auf die Debatte und die Entscheidungen in Europa.

Das Interview führte Sarah Schneider, Referentin für Landwirtschaft und Welternährung bei MISEREOR, während einer Projekt-Reise durch Paraguay und Argentinien.


Weitere Informationen

Pressemeldung vom 11. Oktober 2017: „Welternährungstag am 16. Oktober – MISEREOR fordert: Kleinbauern stärken, Konzernmacht begrenzen.“

Gelingt die Fusion von Bayer mit Monsanto,  würde „BaySanto“ zum größten Anbieter für Saatgut und Pestizide weltweit; mit enormem Einfluss auf unsere Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt. Bäuerinnen und Bauern weltweit brauchen deshalb nicht nur die Unterstützung durch die Politik, sondern auch durch uns Verbraucherinnen und Verbraucher. Informationen zur MISEREOR-Kampagne  „Saat für Vielfalt“.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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